Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IB 45



105 Ib 45

8. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. März 1979 i.S.
Grabowsky gegen Bultot und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft
(Staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Schweiz.-belgisches Vollstreckungsabkommen vom 29. April 1959.

    Die in zahlreichen Vollstreckungsabkommen vorgesehene Bestimmung,
wonach Säumnisurteile nur anerkannt werden, wenn die den Prozess
einleitende Verfügung oder Ladung in besonderer Form zugestellt worden ist,
bezieht sich nicht auf spätere Verfügungen oder Ladungen.

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 15. Juni 1978 bewilligte der
Bezirksgerichtspräsident Arlesheim (BL) dem in Belgien wohnhaften Marcel
Bultot die definitive Rechtsöffnung für einen Betrag von Fr. 18'489.-
gegen den in Arlesheim wohnhaften Eynar Grabowsky. Die Rechtsöffnung
stützt sich auf ein Urteil des Handelsgerichts von Charleroi (Belgien). Das
Obergericht des Kantons Basel-Landschaft wies die gegen die Erteilung der
Rechtsöffnung gerichtete Beschwerde Grabowskys ab. Dieser erhebt gestützt
auf Art. 84 lit. c OG staatsrechtliche Beschwerde; er rügt eine Verletzung
von Art. 1 Abs. 1 lit. d des Abkommens zwischen der Schweiz und Belgien
über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen
und Schiedssprüchen vom 29. April 1959 (AS 1962 S. 894 ff.; im folgenden:
Abkommen). Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. d des Abkommens wird das in einem
der beiden Staaten gefällte gerichtliche Säumnisurteil in Zivil- und
Handelssachen im andern Staat anerkannt, wenn die den Prozess einleitende
Verfügung oder Ladung dem Beklagten gemäss dem Rechte des Staates, wo die
Entscheidung ergangen ist, und den allenfalls zwischen den beiden Ländern
bestehenden Abkommen, zugestellt worden ist und ihn rechtzeitig erreicht
hat. Dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Formvorschrift nur die den
Prozess einleitende Verfügung oder Ladung, nicht aber spätere Verfügungen
betrifft, ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Bestimmung, sondern
geht auch aus der Botschaft des Bundesrates vom 31. Juli 1959 hervor, in
der ausgeführt wird, die Bestimmung bezwecke den Schutz des Beklagten,
der in einem Prozess, an dem er sich nicht beteiligt habe, unterlegen
sei. Das Abkommen verlange, dass die den Prozess einleitende Verfügung
oder Ladung den Beklagten rechtzeitig erreicht habe, d.h. so früh, dass
dieser seine Verteidigung hätte geltend machen können, wenn er es gewollt
hätte. Diese Voraussetzung für die Anerkennung und Vollstreckung habe in
das Abkommen aufgenommen werden müssen, um zu verhindern, dass irgendeine
fiktive Zustellung der Vorladung, wie eine Ediktalladung, zum vorneherein
als genügend erachtet werde (BBl 1959 II 313).

    Während die ältesten Vollstreckungsabkommen forderten, dass die
Parteien gehörig zitiert oder regelrecht geladen wurden (Abkommen mit
Frankreich, Art. 17 Abs. 1 Ziff. 2, BS 12 S. 352; mit Spanien, Art. 2
Abs. 2 Ziff. 2, BS 12 S. 379; mit der Tschechoslowakei, Art. 1 Ziff. 2, BS
12 S. 382), präzisieren die übrigen Abkommen, dass dies lediglich für die
den Prozess einleitenden Verfügungen oder Ladungen gelte (Abkommen mit dem
Deutschen Reich, Art. 4 Abs. 3, BS 12 S. 361; mit Italien, Art. 1 Abs. 1
Ziff. 4, BS 12 S. 364; mit Österreich, Art. 1 Abs. 1 Ziff. 4, AS 1962
S. 266; mit Schweden, Art. 4 Ziff. 5, BS 12 S. 374; mit Liechtenstein,
Art. 1 Ziff. 4, AS 1970 S. 79). Der Zweck dieser Bestimmungen besteht
darin, dem Beklagten die Garantie zu geben, dass er von der Einleitung
des gegen ihn gerichteten ausländischen Prozessverfahrens in einer
Weise Kenntnis erhält, die ihm die Verteidigung vor dem Prozessgericht
ermöglicht (BGE 97 I 254). Diese Regelung wird in der Lehre nicht
der Kritik unterzogen (ALEXANDER, Die internationale Vollstreckung
von Zivilurteilen, insbesondere im Verhältnis zu den Nachbarstaaten,
ZBJV 1931 S. 15; KALLMANN, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer
Zivilurteile und gerichtlicher Vergleiche, Basel 1946, S. 284 ff.;
GULDENER, Das internationale und interkantonale Zivilprozessrecht in der
Schweiz, S. 152; PROBST, Die Vollstreckung ausländischer Zivilurteile
in der Schweiz nach den geltenden Staatsverträgen, Bern 1936, S. 107;
DAVID und MAIER, Die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und
Schiedssprüchen im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Schweiz, S. 15). Sie findet sich auch in Abkommen zwischen Drittstaaten
(vgl. JELLINEK, Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung
ausländischer Zivilurteile, Berlin und Tübingen, S. 208 ff.). Angesichts
dieser klaren Rechtslage rechtfertigt sich keine Ausdehnung der in Art. 1
Abs. 1 lit. d des Abkommens enthaltenen Formvorschrift auf spätere
Vorladungen (vgl. BGE 102 Ia 311; 98 Ia 311; 97 I 254).

    b) Gemäss Art. 1 Abs. 1 lit. a des Abkommens muss die Anerkennung
der Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung des Staates, in dem die
Entscheidung angerufen wird, vereinbar sein, und man kann sich die
Frage stellen, ob die Vollstreckung eines belgischen Säumnisurteils
gegen den schweizerischen ordre public verstosse, wenn eine zweite
Vorladung lediglich mit eingeschriebenem Brief zugestellt wurde. Ein
Urteil kann nicht nur wegen seines materiellen Inhalts, sondern auch wegen
Verfahrensfehler der öffentlichen Ordnung widersprechen (BGE 103 Ia 201;
102 Ia 313).

    Die staatsvertragliche ordre public-Klausel geht als Spezialnorm
dem allgemeinen Begriff des ordre public, wie er unter anderem in den
kantonalen Zivilprozessordnungen enthalten ist, vor. Ihr Anwendungsbereich
wird in dem Umfang eingeschränkt, als die Voraussetzungen, unter
welchen ein ausländisches Urteil zu vollstrecken ist, im Staatsvertrag
näher umschrieben sind (BGE 103 Ia 200; 102 Ia 316). Gemäss Art. 7 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 lit. d des Abkommens ergibt sich e contrario,
dass ein Säumnisurteil vollstreckt werden muss, wenn die vertraglichen
Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere wenn die den Prozess einleitende
Verfügung oder Ladung der Konvention entsprechend zugestellt wurde. Die
Vertragsstaaten sind aus diesem Grunde nicht befugt, an die weiteren
Ladungen besondere Anforderungen bezüglich der Form zu stellen.

    Auch die schweizerischen Behörden eröffnen Verfügungen in der Regel
nicht auf dem Weg der Rechtshilfe sondern fordern von den ausländischen
Prozessparteien, dass sie in der Schweiz ein Zustellungsdomizil
bezeichnen (Art. 29 Abs. 4 OG und ähnliche Bestimmungen in den kantonalen
Verfahrensrechten; BGE 102 Ia 315; 97 I 260). Im weiteren anerkennt die
Schweiz, dass bestimmte Verfügungen von ausländischen Gerichten direkt
mit der Post an den Adressaten in der Schweiz zugestellt werden (BGE 94
I 245). Man könnte sich allenfalls fragen, ob die ordre public-Klausel
verletzt sei, wenn der Beklagte anlässlich einer späteren Verhandlung
verurteilt wurde, zu welcher er überhaupt nicht geladen wurde oder die
Ladung ihn zumindest nicht erreichte (JELLINEK, aaO, S. 210; vgl. BGE
102 Ia 314; 98 Ia 554; 97 I 258). Diese Frage braucht indessen nicht
entschieden zu werden, weil dem Beschwerdeführer die zweite Ladung mit
eingeschriebenem Brief zugestellt wurde und er auch nicht bestreitet,
sie erhalten zu haben. Da der angefochtene Entscheid aus diesen Gründen
das Abkommen nicht verletzt, muss die Beschwerde abgewiesen werden.