Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IB 165



105 Ib 165

26. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 21. September 1979 i.S. V. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Fremdenpolizeiliche Ausweisung.

    1. Das Verhältnis zwischen strafrechtlicher Landesverweisung und
fremdenpolizeilicher Ausweisung (E. 5).

    2. Angemessenheit der Ausweisung (Art. 11 Abs. 3 ANAG). Die Begehung
eines schweren Verbrechens rechtfertigt nicht in jedem Fall die Ausweisung
(E. 6).

Sachverhalt

    A.- Am 3. Januar 1932 wurde die jugoslawische Staatsangehörige
V. in Jugoslawien geboren. 1950 heiratete sie den Landsmann B.
Kurz nach der Scheidung dieser Ehe suchte V. Arbeit im Ausland. Am
21. Juli 1966 erhielt sie von der Fremdenpolizei des Kantons Zürich
die Einreisebewilligung. Vom August 1966 bis Oktober 1972 arbeitete
sie in verschiedenen Betrieben als Office- und Buffetangestellte, als
Hilfsköchin, Köchin und als Verkäuferin. Zwei Arbeitgeber stellten ihr
lediglich eine Arbeitsbestätigung aus; die übrigen erklärten sich mit ihren
Arbeitsleistungen sehr zufrieden und bezeichneten Frau V. als zuverlässige,
freundliche und saubere Mitarbeiterin. Anlässlich der Behandlung ihres
Aufenthaltsverlängerungsgesuches führte der zuständige Polizeibeamte am 15.
Oktober 1970 aus, polizeiliche Aktenvorgänge seien keine vorhanden und
über Frau V. sei nichts Nachteiliges bekannt. Lediglich im Mai 1967 hatte
sie es einmal unterlassen, sich anlässlich einer Übernachtung in einem
Hotel in die Hotelkontrolle einzutragen.

    Im Oktober 1967 lernte Frau V. den türkischen Staatsangehörigen
K. kennen, der allein in Zürich lebte; dessen Frau war zusammen mit
ihren Kindern in der Türkei geblieben. Seit Mai 1971 lebten Frau V. und
K. zusammen. Im September 1972 kehrte K. in die Türkei zurück, angeblich um
seinen kranken Sohn zu holen und in der Schweiz pflegen zu lassen; anfangs
Oktober 1972 kam er zusammen mit seiner Frau in die Schweiz zurück. Es
folgten heftige Spannungen, doch konnte sich Frau V. nicht entscheiden,
die Verbindung mit K. aufzulösen. Am 15. Oktober 1972 tötete sie dessen
Frau. Am 13. Dezember 1973 wurde sie durch das Obergericht des Kantons
Zürich wegen vorsätzlicher Tötung zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt und 15
Jahre des Landes verwiesen. In der Begründung führte das Obergericht aus,
in objektiver Hinsicht wiege das Verschulden der Angeklagten schwer,
doch lägen Umstände vor, die ihre Schuld geringer erscheinen liessen,
als es zunächst den Anschein habe. Insbesondere sei ihren Ausführungen,
wonach sie von K. zur Tat gedrängt worden sei, Glauben zu schenken. Wenn
auch sein Verhalten nicht allein zu der Ausnahmesituation geführt habe, aus
welcher sie die Tat begangen habe, sei es doch geeignet, sie zu entlasten.

    Am 20. Mai 1974 verfügte die Eidgenössische Fremdenpolizei in Anwendung
von Art. 13 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung
der Ausländer (ANAG; SR 142.20) eine unbefristete Einreisesperre nach
der Haftentlassung. Am 6. August 1974 hob dieselbe Behörde die Verfügung
wieder auf.

    Frau V. verbüsste ihre Strafe in der Strafanstalt Hindelbank. Am
14. März 1977 konnte sie in die Halbfreiheit versetzt werden;
vom Übergangsheim Steinhof in Burgdorf aus ging sie regelmässig im
Bezirksspital Burgdorf ihrer Arbeit nach. Am 7. Dezember 1977 verfügte
die Direktion der Justiz des Kantons Zürich die bedingte Entlassung von
Frau V. und setzte ihr eine dreijährige Probezeit an; gleichzeitig wurde
der Vollzug der Landesverweisung für die Dauer der Probezeit bedingt
aufgeschoben.

    Trotz dieser Verfügung beschloss der Regierungsrat auf Antrag der
Direktion der Polizei am 5. April 1978, Frau V. in Anwendung von Art. 10
Abs. 1 lit. a ANAG für dauernd aus der Schweiz auszuweisen. Gegen diesen
Entscheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Am 8. April 1979 reichte die Vertreterin von Frau V. einen Bericht
ein, der die Verhältnisse seit Beschwerdeeinreichung darstellt. Sie führt
darin aus, dass sich Frau V. am 25. September 1978 mit V. verheiratet
habe. Das am 14. April 1978 geborene mongoloide Kind sei in einem sehr
gut geeigneten Kinderheim in Basel untergebracht, wo es immer noch mit
der Sonde ernährt werden müsse. Die Schädigung sei schwerster Art. Die
Mutter hänge an diesem Kind und helfe bei der Pflege mit. Die Ehe sei
harmonisch und allmählich sei eine Aufhellung der Depression von Frau
V. festzustellen. Aus den Akten geht zudem hervor, dass ihr jetziger
Ehemann in Jugoslawien aus politischen Gründen zu einer zweijährigen
Haftstrafe verurteilt worden war und ihm die Schweiz politisches Asyl
gewährte.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, der angefochtene
Entscheid stütze sich auf eine unrichtige oder unvollständige
Tatsachenfeststellung. Der Regierungsrat führte in seinem Entscheid
in allgemeiner Weise aus, das Verhalten der Beschwerdeführerin
habe zu schweren Klagen Anlass gegeben. Tatsächlich lässt das dem
Bundesgericht übergebene Dossier diesen allgemeinen Schluss nicht
zu. Die Beschwerdeführerin verhielt sich seit ihrer Ankunft in der
Schweiz im August 1966 bis zum 16. Oktober 1972, abgesehen von einer
nicht ins Gewicht fallenden Bagatellsache, völlig klaglos, und erfuhr
von den meisten Arbeitgebern eine sehr gute Beurteilung. Auch ihre
Aufenthaltsbewilligung wurde stets anstandslos verlängert, zuletzt
am 30. Juni 1972 bis zum 8. August 1974. Während des Strafvollzugs,
in der Halbfreiheit und schliesslich in der Freiheit gab sie zu keinen
Beschwerden Anlass. Die Beurteilungen aus dieser Zeit lauten durchwegs
positiv. In der Vernehmlassung anerkennt denn der Regierungsrat selber,
dass sich die "schweren Klagen" im Tötungsdelikt erschöpfen.

Erwägung 5

    5.- Für dieses Verbrechen wurde die Beschwerdeführerin zu 8 Jahren
Zuchthaus verurteilt sowie gemäss Art. 55 StGB für 15 Jahre aus dem Gebiet
der Schweiz verwiesen. Wegen guter Führung wurde sie mit einer Probefrist
von 3 Jahren bedingt entlassen, nachdem zwei Drittel der Strafe vollzogen
waren. In dieser Verfügung vom 7. Dezember 1977 erwog die Justizdirektion
des Kantons Zürich zudem, dass sich angesichts der günstigen Prognose,
die Frau V. gestellt werden könne, nicht behaupten lasse, dass sich der
Vollzug der Landesverweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit
aufdränge. Bei der Frage, ob die Schweiz oder Jugoslawien die besseren
Voraussetzungen für die Resozialisierung biete, sei zu berücksichtigen,
dass sie sich seit dem Jahre 1966 in der Schweiz aufhalte und sich
im allgemeinen recht eingelebt habe. Bindungen ans Heimatland seien
heute nicht mehr vorhanden. Das sie in Jugoslawien erwartende Schicksal
sei infolge der Beziehung zu ihrem Verlobten (und heutigen Ehemann),
welcher dort wegen einer Denunziation als Antikommunist eine zweijährige
Freiheitsstrafe verbüsst und nun in Basel das schweizerische Asylrecht
erhalten habe, zumindest ungewiss. Jedenfalls sei es schwierig für sie,
dort Arbeit zu finden. Aus diesen Gründen schob die Justizdirektion
des Kantons Zürich den Vollzug der Landesverweisung bedingt auf. Ebenso
beschloss die Eidgenössische Fremdenpolizei am 6. August 1974, die auf
unbestimmte Dauer verfügte Einreisesperre vorläufig zu annullieren.

    Das Bundesgericht hat zwar wiederholt festgestellt, dass gemäss
Art. 10 Abs. 4 ANAG die strafrechtliche Landesverweisung von der im ANAG
geregelten fremdenpolizeilichen Ausweisung unberührt bleibt. Sowohl
die gesetzliche Grundlage als auch der Zweck von Landesverweisung
und administrativer Ausweisung sind voneinander verschieden. Bei der
Verhängung der als Nebenstrafe vorgesehenen Landesverweisung stehen
strafrechtliche Gesichtspunkte im Vordergrund, während dem Entscheid
der Verwaltungsbehörde fremdenpolizeiliche Kriterien zugrunde liegen
(BGE 98 Ib 89; 97 I 64; Urteil vom 10. November 1978 i.S. S.-W.). Die
Berechtigung dieses Dualismus ist aber nicht unbestritten und dessen
Auswirkungen vermögen im Einzelfall nicht immer zu befriedigen. Das
ist vor allem dann der Fall, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen
gleich sind, das heisst, wenn sich die administrative Ausweisung vor
allem auf eine strafbare Handlung stützt, wie das vorliegend der Fall
ist. Unter diesen Voraussetzungen wäre im Interesse der Rechtssicherheit
und der Rechtseinheit zu erwarten, dass sich die verschiedenen Behörden
bemühen würden, ihre Tätigkeit zu koordinieren (vgl. BGE 96 I 774;
Urteil vom 22. Mai 1975 i.S. E.). Der Umstand, dass die instruierende
Polizeidirektion und der Regierungsrat den Erwägungen der Justizdirektion
nicht Rechnung getragen haben, führt indessen allein nicht zur Gutheissung
der Beschwerde, denn das Bundesgericht hat die geltende Ordnung und damit
die Unabhängigkeit von Landesverweisung und Ausweisung so einzuhalten,
wie sie vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (Art. 113 Abs. 3 BV).

Erwägung 6

    6.- a) Nach Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG kann ein Ausländer aus
der Schweiz ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder
Vergehens gerichtlich bestraft worden ist. Diese Voraussetzung ist im
vorliegenden Fall erfüllt. Nach Art. 11 Abs. 3 ANAG soll die Ausweisung
indessen nur verfügt werden, wenn sie nach den gesamten Umständen
angemessen erscheint. Für die Beurteilung der Angemessenheit sind gemäss
Art. 16 Abs. 3 ANAV namentlich wichtig die Schwere des Verschuldens des
Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz sowie die ihm und
seiner Familie drohenden Nachteile. Die Frage der Angemessenheit einer
Ausweisungsverfügung haben in erster Linie die kantonalen Behörden zu
entscheiden. Das Bundesgericht prüft auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde hin
ausschliesslich, ob die entscheidende Behörde ihr Ermessen überschritten
oder missbraucht hat (Art. 104 lit. a OG; BGE 98 Ib 3 ff.). Wenn eine
Ausweisung nach Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG zwar rechtlich begründet, aber
nach den Umständen nicht angemessen erscheint, soll sie bloss angedroht
werden (Art. 16 Abs. 3 ANAV).

    b) Die Beschwerdeführerin hat die Frau ihres Freundes im Jahre
1972 vorsätzlich getötet. Selbst wenn ihr zahlreiche Milderungsgründe
angerechnet wurden, trifft sie bezüglich dieser Tat ein schweres
Verschulden.

    Auf der andern Seite befindet sich die Beschwerdeführerin seit 13
Jahren in der Schweiz und hat sich hier eingelebt. Zudem würden ihr
und ihrer Familie wesentliche Nachteile drohen, wenn sie ausgewiesen
würde. Die Sachlage hat sich insbesondere nach dem Ausweisungsbeschluss
des Regierungsrates zugunsten der Beschwerdeführerin geändert. Das
Bundesgericht hat in konstanter Rechtsprechung erkannt, dass bei der
Frage, ob eine Ausweisung angemessen sei oder nicht, auch Tatsachen zu
berücksichtigen sind, die erst nach Fällung des angefochtenen Entscheides
eingetreten sind (BGE 105 Ia 163; 98 Ib 178 mit Hinweisen, 512 E.
1b). Vorliegend hat die Beschwerdeführerin im September 1978 V. geheiratet,
dem die Schweiz politisches Asyl gewährte. Die beiden Ehegatten leben in
Basel und kümmern sich um ihr gemeinsames mongoloides Kind, welches nach
wie vor intensiver Pflege in einem Heim bedarf. Diese Angaben stützen sich
im wesentlichen auf das Schreiben der Vertreterin der Beschwerdeführerin
vom 8. April 1979. Treffen sie zu, so verletzt die Ausweisung von Frau
V. Bundesrecht. Es rechtfertigt sich unter diesen Umständen, die Sache
zur Neubeurteilung an den Regierungsrat zurückzuweisen. Dieser wird den
Sachverhalt überprüfen müssen und gegebenenfalls zu entscheiden haben, ob
die Ausweisung lediglich anzudrohen (BGE 98 Ib 179 E. 2d; vgl. auch Urteil
vom 19. Mai 1978 i.S. G., E. 2c) oder von einer Administrativmassnahme
überhaupt abzusehen sei. Hingegen ginge es nicht an, den Vollzug der
Ausweisung auf unbestimmte Zeit aufzuschieben (BGE 98 Ib 179).