Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IA 43



105 Ia 43

10. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
9. März 1979 i.S. Seiler gegen Korporation Kerns und Verwaltungsgericht
des Kantons Obwalden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 88 OG; Legitimation.

    1. Die Zulässigkeit und Höhe einer Gebühr überprüft das Bundesgericht
grundsätzlich nach Massgabe von Art. 4 BV. Ist die Rechtmässigkeit der
Gebühr indessen abhängig von der Zulässigkeit einer Eigentumsbeschränkung,
so kann auch die Eigentumsgarantie angerufen werden (E. 1b).

    2. Der Mieter ist befugt, sich gegen Eingriffe in das Eigentum zu
wehren, wenn er dadurch in seinen Rechten als Mieter betroffen wird
(E. 1c).

Sachverhalt

    A.- Die Alpgenossenschaft Kerns ausserhalb der steinernen
Brücke erliess im Jahre 1973 im Rahmen einer Verkehrssanierung
des Gebietes Melchsee-Frutt oberhalb des öffentlichen Parkplatzes
Dempfelsmatt ein generelles Fahrverbot. Für bestimmte Personenkreise,
insbesondere für die Anwohner, sah sie gegen Gebühr die Erteilung einer
Ausnahmebewilligung vor. Weiter wurde bestimmt, dass die Fahrzeuge,
welche nicht beim betreffenden Objekt in eine geschlossene Garage
eingestellt werden können, innerhalb einer Stunde auf den Parkplatz
Dempfelsmatt zurückgeführt werden müssen. U. Seiler ist Dauermieter
eines Ferienhauses auf Melchsee-Frutt. Am 27. Juli 1973 erteilte ihm der
zuständige Korporationsrat Kerns gegen die vorgesehene Gebühr von Fr. 40.-
die Bewilligung, die vom Parkplatz zu den Ferienhäusern führende Strasse
zu benützen. In dieser Gebühr ist eine Pauschale für die Benützung des
öffentlichen Parkplatzes inbegriffen. Seiler focht diese Verfügung
beim Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden ohne
Erfolg an. Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts richtet sich die
vorliegende staatsrechtliche Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Gemäss Art. 88 OG kommt das Recht zur Beschwerdeführung
Bürgern und Korporationen "bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die
sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich treffende Erlasse
oder Verfügungen erlitten haben". Dem Einzelnen steht dieses Rechtsmittel
demnach lediglich zur Geltendmachung seiner eigenen rechtlich geschützten
Interessen offen (BGE 91 I 413 mit Hinweisen). Bei den speziellen
Grundrechten müssen zudem die rechtlich erheblichen Interessen, die der
angefochtene Entscheid berührt und die der Beschwerdeführer als verkürzt
betrachtet, auf dem Gebiete liegen, welches die von ihm angerufene
Verfassungsbestimmung beschlägt (BGE 91 I 419 mit Hinweisen). Der
Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 4 BV und auf die Eigentumsgarantie.

    b) Angefochten ist im vorliegenden Fall die beim Beschwerdeführer
erhobene Gebühr von Fr. 40.- pro Saison. Durch die Gebührenerhebung
wird der Beschwerdeführer in seiner Rechtsstellung berührt, und er
behauptet mit hinlänglicher Begründung, dass er in dieser Rechtsstellung
benachteiligt werde. Der Gleichheitssatz und das Willkürverbot des Art. 4
BV schützen als allgemeine verfassungsmässige Rechte alle rechtlich
erheblichen Interessen der Bürger. Der Beschwerdeführer ist daher ohne
weitere Voraussetzung befugt, sich auf Art. 4 BV zu berufen (BGE 91 I
419). Soweit die Zulässigkeit und die Höhe einer Gebühr in Frage steht,
ist grundsätzlich einzig Art. 4 BV massgebend (BGE 102 Ia 9; MEIER-HAYOZ,
Komm. zum Sachenrecht, Systematischer Teil N. 216c). Vorliegend ist die
Rechtmässigkeit der Gebühr indessen abhängig von der Zulässigkeit von
zwei Eigentumsbeschränkungen: Einerseits beeinträchtigt die Einführung
einer Bewilligungspflicht für die Durchfahrt zum Ferienhaus das dinglich
gesicherte Durchfahrtsrecht zugunsten des Hauseigentümers und zulasten
der Alpgenossenschaft; dieses ist wie das Eigentum selber dem Schutz der
Eigentumsgarantie unterstellt (BGE 91 I 419; 57 I 387; AUBERT, Traité de
Droit Constitutionnel Suisse, vol. II, No 2173). Andererseits beschränkt
das Parkverbot auf der eigenen Liegenschaft ausserhalb einer Garage
das Eigentum selber. Sind diese Beschränkungen unzulässig, darf für die
Durchfahrt und für die in diesem Fall nicht erforderliche Benutzung des
öffentlichen Parkplatzes auch keine Gebühr erhoben werden. Daraus geht
hervor, dass die Gebührenerhebung vorliegend auch den Schutzbereich der
Eigentumsgarantie beschlägt.

    c) Der Beschwerdeführer ist freilich nicht Eigentümer, sondern bloss
Dauermieter der im Eigentum der Korporation Freiteil, Sarnen, stehenden
Liegenschaft, und es stellt sich die Frage, ob er in dieser Eigenschaft
befugt ist, die Eigentumsgarantie anzurufen. Das Bundesgericht hat in einer
älteren Rechtsprechung die Ansicht vertreten, dass der Beschwerdeführer
Träger des in Frage stehenden subjektiven Rechts sein müsse (BGE 90 I
185; 89 I 517/18; 88 I 179/80; 87 I 211; 86 I 102).In der Folge hat es
aufgrund der in der Doktrin geäusserten Kritik (HUBER, ZBJV 98/1962,
S. 380 f.) die Legitimationsvoraussetzungen gelockert und nicht mehr
verlangt, dass das geltend gemachte rechtlich geschützte Interesse
geradezu in einem dem Beschwerdeführer zustehenden subjektiven Zivilrecht
bestehen muss, sondern es hat vielmehr angenommen, dass jemand in seiner
Rechtsstellung auch durch eine Verfügung beeinträchtigt werden kann, die
nicht unmittelbar, sondern bloss mittelbar gegen ihn gerichtet ist (97
I 265; 94 I 138; 93 I 517 E. 2b; 92 I 208; 91 I 409). Im Lichte dieser
Rechtsprechung muss auch der Mieter befugt sein, sich gegen Eingriffe
in das Eigentum zu wehren, wenn er dadurch in seinen Rechten als Mieter
beschränkt wird. Es ist nicht zu verkennen, dass der Mieter oftmals
unter Beschränkungen der Mietsache weit unmittelbarer zu leiden hat als
der Eigentümer des Objektes, der vielfach weitab wohnt und nicht immer
dieselben Interessen vertritt wie der Mieter (LEUTENEGGER, Das formelle
Baurecht, 2. Aufl. 1978, S. 445). Da die beiden Eigentumsbeschränkungen
die rechtlich geschützten Interessen des Mieters betreffen, ist dieser
befugt, eine Verletzung der Eigentumsgarantie zu rügen. Hinzu kommt, dass
die Eigentumsgarantie neben dem Eigentum im sachenrechtlichen Sinn einen
weiteren Kreis vermögenswerter Rechte schützt. Zu diesen Rechten gehört
auch der Besitz (BGE 40 I 259; 3 314; MEIER-HAYOZ, aaO, Systematischer
Teil N. 215b). Da dem Beschwerdeführer als Mieter der Besitz der von
der Eigentumsbeschränkung betroffenen Liegenschaft zusteht, kann er die
Eigentumsgarantie anrufen und auch geltend machen, sein Besitz werde in
verfassungswidriger Weise eingeschränkt.