Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IA 379



105 Ia 379

67. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 31. Oktober 1979 i.S. X. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Persönliche Freiheit; Art. 6 EMRK.

    Es bedeutet weder eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen
Freiheit noch der Europäischen Menschenrechtskonvention, wenn das Recht des
unbeaufsichtigten Verkehrs mit den Untersuchungs- und Sicherheitsgefangenen
nur dem Verteidiger selbst, nicht aber seinen Hilfspersonen gewährt wird.

Sachverhalt

    A.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich führte gegen X. eine
Strafuntersuchung, in deren Verlauf dieser in Untersuchungshaft gesetzt
wurde. Nach Abschluss der Untersuchung blieb X. in Sicherheitshaft,
und zwar wurde diese mit seinem Einverständnis in der Strafanstalt
Regensdorf vollzogen. Während der Haftdauer wurde X. dreimal von Z.,
einer Angestellten eines Anwaltskollektivs, besucht. Sie wies sich dabei
mit einer von dem die Untersuchung führenden Bezirksanwalt ausgestellten
Dauerbewilligung aus und wurde - da das Anstaltspersonal davon ausging, sie
sei Anwältin - zu unbeaufsichtigten Besuchen bei X. zugelassen. Nachdem der
wahre Sachverhalt erkannt worden war, traf die Justizdirektion des Kantons
Zürich eine Verfügung, in welcher festgehalten wurde, dass Z. nur insoweit
zu Besuchen bei Insassen der Strafanstalt Regensdorf berechtigt sei,
als entsprechende Bewilligungen des Direktors der Strafanstalt vorlägen,
ferner dass die Korrespondenz von Insassen der Strafanstalt Regensdorf
mit Hilfspersonen von Rechtsanwälten keinerlei Privilegien geniesse und
insbesondere der Kontrolle unterliege. Ein Rekurs gegen diese Verfügung
wurde vom Regierungsrat des Kantons Zürich abgewiesen.

    X. führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, der
regierungsrätliche Entscheid sei wegen Verletzung von Art. 4 BV, Art. 6
EMRK und des ungeschriebenen verfassungsmässigen Rechtes der persönlichen
Freiheit aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Zur Hauptsache nimmt der Beschwerdeführer den Standpunkt ein,
Hilfspersonen des Verteidigers gehörten zum Institut der Verteidigung
und könnten daher hinsichtlich der Besuche bei Untersuchungs- und
Sicherheitsgefangenen die nämlichen Rechte geltend machen wie der
Verteidiger selbst. Da das Grundrecht der persönlichen Freiheit und die
EMRK angerufen sind, entscheidet das Bundesgericht hierüber mit freier
Prüfungsbefugnis.

    Das Recht des verhafteten Angeschuldigten, grundsätzlich frei und
unbeaufsichtigt mit seinem Verteidiger verkehren zu können, ist vom
Bundesgericht seit jeher auf Grund von Art. 4 BV als geschützt betrachtet
worden. Ausnahmen werden zugelassen, soweit sie auf gesetzlicher Grundlage
beruhen und verhältnismässig sind. Insbesondere darf dadurch der Anspruch
des Angeschuldigten, sich im Hinblick auf die gerichtliche Verhandlung
unter Beizug seines Verteidigers hinreichend vorbereiten zu können,
nicht beeinträchtigt werden (BGE 103 Ia 304 ff.; 101 Ia 49 f.; 100 Ia
186). Im vorliegenden Fall wird nicht geltend gemacht, der Verkehr des
Beschwerdeführers mit seinem Verteidiger selbst werde in irgendeiner
Form beeinträchtigt, sondern lediglich, eine wirksame Verteidigung
erfordere auch unbeaufsichtigte Besprechungen des Angeschuldigten mit
Hilfspersonen der Verteidigung, um damit die Übermacht der Vertreter des
Staates auszugleichen.

    Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Wenn dem
Verteidiger von Verfassungs wegen und nach den meisten kantonalen
Strafprozessgesetzen gegenüber anderen Besuchern von Untersuchungs-
und Sicherheitsgefangenen weitgehende Privilegien eingeräumt werden, so
geschieht dies zur Gewährleistung einer wirksamen Verteidigung; doch trägt
der Verteidiger dafür die alleinige und persönliche Verantwortung, die
er nicht an Dritte delegieren kann. Als Verteidiger amten denn auch fast
ausschliesslich Rechtsanwälte; andere Personen wären dieser anspruchsvollen
Aufgabe gerade mit Rücksicht auf die vom Beschwerdeführer selbst erwähnten
Schwierigkeiten im Regelfall nicht gewachsen. Die Rechtsanwälte gelten
im Kanton Zürich wie übrigens in den meisten Kantonen als Personen
öffentlichen Vertrauens. Sie sind verpflichtet, ihre Berufstätigkeit
gewissenhaft auszuüben, sich also dabei an die bestehenden Gesetze und
Verordnungen zu halten; sie werden im Kanton Zürich nach ihrer Prüfung
vom Obergerichtspräsidenten formell zur Einhaltung dieser Pflicht ermahnt
(zürcherisches Gesetz über den Rechtsanwaltsberuf - AnwG - §§ 7 und 8;
Verordnung über die Fähigkeitsprüfung für den Rechtsanwaltsberuf, § 20).
Die Rechtsanwälte unterstehen der Aufsicht durch eine aus Richtern
und Anwälten zusammengesetzte Behörde. Diese oder auf ihren Antrag das
Obergericht können bei Pflichtverletzungen Disziplinarmassnahmen verhängen,
die vom Verweis bis zum Entzug des Rechtes auf Berufsausübung gehen
(AnwG §§ 15-32). Damit ist eine wesentlich verstärkte Garantie dafür
gegeben, dass die Anwälte beim Besuch verhafteter Klienten das Vorrecht
des unbeaufsichtigten Kontaktes nicht missbrauchen. Diese Garantie ist
bei Hilfspersonen der Anwälte nicht in gleichem Masse gegeben, auch
wenn die erwähnte Möglichkeit besteht, nach allfälligen Missbräuchen
einzuschreiten. Im Strafverfahren gilt es nicht in erster Linie,
nachträglich gegen Vertrauensverletzungen vorzugehen, sondern solche
im vornherein nach Möglichkeit zu verhindern, wozu die Beschränkung
des unbeaufsichtigten Verkehrs des Angeschuldigten auf die Person
des Verteidigers selbst ein taugliches und verhältnismässiges Mittel
darstellt. Dass im Kanton Zürich auch Nichtanwälte als Verteidiger
zugelassen sind (§ 8 StPO), sofern sie nicht berufsmässig handeln,
ändert an diesem Ergebnis nichts. Das gleiche gilt für den Einwand des
Beschwerdeführers, auch die persönliche Betreuung des Angeschuldigten
gehöre zu den Aufgaben der Verteidigung, und in diesem Bereich könne die
Hilfsperson dem Verteidiger ausgezeichnete Dienste leisten. Wohl ergibt
sich aus dem ungeschriebenen Grundrecht der persönlichen Freiheit, dass
der Verhaftete Anspruch auf Betreuung hat, sofern sein körperlicher oder
geistiger Zustand dies erfordert; doch wird diese Betreuung in erster
Linie durch geeignetes staatliches Personal sichergestellt, das von
der Anklagebehörde vollständig unabhängig ist. Das Bundesgericht hat
demgemäss in BGE 102 Ia 300 ff. festgestellt, es verletze die Garantie
der persönlichen Freiheit nicht, wenn einem Untersuchungsgefangenen
nicht gestattet werde, sich durch einen Psychologen seiner Wahl
beraten zu lassen, und in BGE 102 Ia 302 ff. wurde weiter dargelegt,
es bestehe kein Anspruch auf Beizug eines Arztes nach freier Wahl des
Gefangenen, wohl aber ein solcher auf ausreichende, d.h. nötigenfalls
auch spezialärztliche Betreuung. Im Lichte dieser Rechtsprechung kann
von einer unzulässigen Beschränkung der persönlichen Freiheit oder der
durch Art. 4 BV gewährleisteten Verteidigungsrechte dadurch, dass die
Vorrechte des Verteidigers nicht an Hilfspersonen delegiert werden können,
nicht gesprochen werden. Beigefügt werden mag, dass solche Hilfspersonen
selbstverständlich von Besuchen bei Gefangenen nicht ausgeschlossen sind;
sie haben sich dabei lediglich an die für jede Privatperson geltenden,
in den Vollzugsverordnungen festgehaltenen Einschränkungen zu halten.

Erwägung 6

    6.- Der Beschwerdeführer beruft sich auch auf das sich aus der EMRK
ergebende Gebot der Waffengleichheit. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass
die Anrufung eines derart allgemeinen Satzes dort nicht begründet ist,
wo die konkreten Rechte des Untersuchungsgefangenen im Konventionstext
unmittelbar geregelt sind, wie dies beim Anspruch auf Verteidigung in
Art. 6 Ziff. 3 lit. c der Fall ist. Der Beschwerdeführer macht nicht
geltend, diese Bestimmung gewährleiste auch den unbeaufsichtigten
Verkehr mit Hilfspersonen des Verteidigers, und er behauptet auch nicht,
dass die Konventionsorgane je in diesem Sinne entschieden hätten. Im
übrigen ist festzustellen, dass nach einer wesentlichen Bestimmung des
zürcherischen Strafprozessrechtes der Untersuchungsbeamte den belastenden
und den entlastenden Tatsachen mit gleicher Sorgfalt nachgehen soll (§
31 StPO), was der Behauptung, der Grundsatz der Waffengleichheit werde
durch das zürcherische Untersuchungs- und Haftvollzugssystem an sich
verletzt, jede Berechtigung nimmt (vgl. über die beschränkte Tragweite
des Waffengleichheitsprinzips für das kontinentale Untersuchungsverfahren
auch TRECHSEL, Die Verteidigungsrechte in der Praxis zur EMRK, in ZStrR
96/1979, S. 377/378). Dass die erwähnte Bestimmung oder die eigentlichen
Verteidigungsrechte im Falle des Beschwerdeführers konkret verletzt
worden wären, wird nicht dargetan. Die Beschwerde erweist sich somit
als unbegründet.