Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IA 243



105 Ia 243

47. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
11. Mai 1979 i.S. Bauert gegen Gemeinde Richterswil und Regierungsrat
des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 85 lit. a OG; kant. Volksabstimmung.

    Es verletzt das politische Stimmrecht nicht, wenn eine Gemeinde in
einen kantonalen Abstimmungskampf eingreift, an dessen Ausgang sie ein
unmittelbares und besonderes Interesse hat (E. 4). Im vorliegenden Fall
kann auch die Art des Eingreifens nicht beanstandet werden (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Mit Beschluss vom 4. September 1978 bewilligte der Zürcher
Kantonsrat einen Kredit von 27 Mio. Franken für den Bau der Seestrasse
zur Umfahrung des Dorfkerns von Richterswil. Die Volksabstimmung wurde
auf den 3. Dezember 1978 angesetzt.

    Am 25. September 1978 bewilligte die Gemeindeversammlung von
Richterswil einen Kredit von Fr. 73'000.- für "sachliche Aufklärungsarbeit
im Gebiet des Kantons Zürich" zur kantonalen Volksabstimmung vom
3. Dezember 1978. Mit dem Kredit wurden in der Folge eine Tonbildschau
sowie zwei Inserate finanziert, die in 21 zürcherischen Tageszeitungen
zwei- bis dreimal veröffentlicht wurden. Insgesamt erschienen 71
Inserate. Die Tonbildschau wurde auf Verlangen allen Personen und
Vereinigungen für deren Veranstaltungen zur Verfügung gestellt.

    Rolf Bauert rekurrierte gegen den Kreditbeschluss der
Gemeindeversammlung Richterswil an den Bezirksrat Horgen und anschliessend
an den Regierungsrat des Kantons Zürich. Der Regierungsrat wies den Rekurs
mit Entscheid vom 15. November 1978 ab. Er verwarf unter anderem den
Einwand, die Gemeinde sei nicht befugt, mit Steuergeldern einseitig in
die Auseinandersetzung vor der kantonalen Abstimmung einzugreifen.

    Das Bundesgericht weist die dagegen erhobene staatsrechtliche
Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Fall hat der Gemeinderat von Richterswil in
einen kantonalen Abstimmungskampf eingegriffen. Er hat zur Unterstützung
des kantonsrätlichen Kreditbeschlusses für die Umfahrung des Dorfkerns
von Richterswil eine Tonbildschau erstellen lassen, die zum Ausdruck
bringen sollte, dass der Bau der Umfahrungsstrasse im Interesse der
Gemeinde liege. Ferner hat er in 21 zürcherischen Tageszeitungen
insgesamt 71 Inserate erscheinen lassen, mit denen das gleiche Ziel
verfolgt wurde. Die Kosten dieser Aktion beliefen sich auf Fr. 65'000.-;
der von der Gemeindeversammlung bewilligte Kredit wurde demnach nicht
vollständig ausgeschöpft.

    Es kann nicht gesagt werden, dass das vom Bundesrecht gewährleistete
politische Stimmrecht eine solche Intervention der Gemeinde in einen
kantonalen Abstimmungskampf verbiete. Die Stimmbürger des Kantons
Zürich hatten sich in der Volksabstimmung vom 3. Dezember über einen
Kreditbeschluss des Kantonsrates auszusprechen, der dem obligatorischen
Finanzreferendum unterlag und der zur Sanierung der Verkehrsverhältnisse
in Richterswil bestimmt war. Es ist offenkundig, dass für die Gemeinde
Richterswil und ihre Stimmbürger ein unmittelbares und besonderes Interesse
am Ausgang der Abstimmung bestand, das jenes der übrigen zürcherischen
Gemeinden bei weitem überstieg. Bei dieser Sachlage verletzte es
das politische Stimmrecht nicht, wenn der Gemeinderat im kantonalen
Abstimmungskampf namens der Gemeinde für die Annahme der Vorlage eintrat
und zuhanden der kantonalen Stimmbürger darlegte, weshalb der Vorlage aus
der Sicht der direkt interessierten Gemeinde zuzustimmen sei. Aus den
Akten geht übrigens hervor, dass derartige kommunale Interventionen in
einen kantonalen Abstimmungskampf schon verschiedentlich vorgekommen sind,
so z.B. beim Entscheid über den Bau des Waffenplatzes im Reppischtal
oder im Zusammenhang mit dem Flughafen Zürich. Auch in der Literatur
werden Beispiele kommunaler Interventionen genannt, die dem vorliegenden
Fall entsprechen (vgl. STRASSER, Rechtliche Probleme der öffentlichen
Meinungsbildung vor Volksentscheiden, Diss. Basel 1971, S. 109: Verteilung
einer kommunalen Informationsbroschüre zur kantonalen Volksabstimmung über
den Bau einer Umfahrungsstrasse für Riehen). Es mag fraglich erscheinen,
ob das Eingreifen einer Gemeinde in den kantonalen Abstimmungskampf mit der
bundesrechtlichen Garantie des politischen Stimmrechts auch dann vereinbar
wäre, wenn die kantonale Vorlage die Interessen der Gemeinde weniger direkt
berühren würde, als das hier der Fall ist, und wenn namentlich nicht eine
Abstimmung über einen Kreditbeschluss, sondern über eine Verfassungs-
oder Gesetzesvorlage in Frage stände. Wie es sich damit verhält, kann
jedoch dahingestellt bleiben, da einer Intervention der Gemeinde jedenfalls
unter den hier zu beurteilenden Umständen nichts entgegensteht.

Erwägung 5

    5.- Im vorliegenden Fall kann auch die Art des Eingreifens in den
Abstimmungskampf nicht als unzulässige Beeinflussung der Stimmbürger
erachtet werden.

    a) Die kommunale Behörde, die den Standpunkt der Gemeinde zu einer sie
besonders betreffenden kantonalen Volksabstimmung darlegt, ist befugt, jene
Mittel der Meinungsbildung einzusetzen, die in einem Abstimmungskampf von
den Befürwortern und Gegnern der Vorlage üblicherweise verwendet werden. Es
steht der Gemeinde deshalb zu, ihre Auffassung durch Flugblätter,
besondere Broschüren, Zeitungsinserate oder durch Plakate zum Ausdruck
zu bringen. Auch die Darstellung ihrer Meinung in einer Tonbildschau
sprengt diesen Rahmen nicht. Die Behörde ist aber gehalten, die kommunalen
Interessen in objektiver und sachlicher Weise zu vertreten. Dabei darf von
ihr ein höherer Grad an Objektivität und Sachlichkeit erwartet werden als
von privaten politischen Gruppierungen. Das heisst aber nicht, dass die
Gemeindebehörde bei ihrer Intervention an die gleich strengen Grundsätze
gebunden sei, die sie bei der Abgabe eines erläuternden Berichts zu einer
kommunalen Abstimmung zu beachten hätte. Schon bei der Abfassung eines
solchen Berichts darf sich die Gemeinde darauf beschränken, diejenigen
Gründe darzulegen, die für die Mehrheit des Gemeindegesetzgebers massgebend
waren, und sie ist von Bundesrechts wegen nicht gehalten, sämtliche für und
gegen die Vorlage sprechenden Gründe darzulegen. Das gilt noch vermehrt,
wenn sie die Auffassung der Gemeinde zu einer kantonalen Abstimmungsvorlage
zum Ausdruck bringt.

    b) Diesen Anforderungen wurde im vorliegenden Fall Genüge getan. Die
Gemeindeversammlung von Richterswil bewilligte den für das Eingreifen
in den kantonalen Abstimmungskampf bestimmten Kredit mit 338 zu
87 Stimmen. Die Inserate wurden mit dem Vermerk versehen, dass sie
aufgrund eines Kreditbeschlusses der Gemeindeversammlung finanziert
worden seien. Dabei wurde nicht der Eindruck erweckt, die Gemeinde stehe
einhellig hinter der Vorlage. Ferner bestand aufgrund der Tatsache, dass
die Gemeindeversammlung den Kredit zwar mit grosser Mehrheit, aber dennoch
nicht einstimmig bewilligt hatte, keine Verpflichtung des Gemeinderates,
in der Tonbildschau und in den Inseraten auch die gegen die Vorlage
sprechenden Argumente aufzuführen oder gar, wie der Beschwerdeführer
verlangt, einen Teil des Kredits den Gegnern der Vorlage zur Verfügung
zu stellen.