Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 105 IA 219



105 Ia 219

44. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26.
September 1979 i.S. Dr. Blaser und Mitbeteiligte gegen Einwohnergemeinde
der Stadt Thun und Regierungsrat des Kantons Bern (staatsrechtliche
Beschwerde) Regeste

    Art. 4 und 22ter BV; Strandwegprojekt, Interessen der Seeanstösser.

    Der Anstoss eines Grundstückes an ein öffentliches Gewässer bildet -
abweichende kantonale Vorschriften vorbehalten - lediglich einen für den
Eigentümer günstigen tatsächlichen Zustand, der im öffentlichen Interesse
geändert werden kann. Die tatsächliche Vorzugsstellung verschafft dem
Anstösser kein unter dem Schutz der Eigentumsgarantie stehendes Recht
auf Fortbestand des Seeanstosses (E. 2).

    Das Strandwegprojekt verletzt den Grundsatz der Verhältnismässigkeit
nicht (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Einwohnergemeinde der Stadt Thun stimmte am 13. März 1977 dem
Überbauungsplan "Strandweg (Lindermatte-Hechtweg)" zu. Dieser Plan setzt
die Baulinien für ein Projekt fest, wonach am linken unteren Thunerseeufer
das fehlende Strandwegstück Lindermatte-Hechtweg eingefügt werden soll,
um einen durchgehenden Wanderweg vom Lachengebiet bis in den Bonstettenpark
zu schaffen. Der vorgesehene Strandweg soll in einer Entfernung von 30-40 m
von der heutigen Uferlinie über künstlich aufgeschüttete Inseln, die durch
Steg- und Brückenbauten miteinander verbunden sind, von der Lindermatte bis
zum Hechtweg führen. Gegen den Überbauungsplan hatten Dr. E. Blaser und
12 weitere Seeanstösser gemeinsam Einsprache erhoben, da die Seezufahrt
zu ihren Grundstücken durch den geplanten Strandweg eingeschränkt
werde. Die Baudirektion des Kantons Bern genehmigte mit Beschluss vom 31.
Januar 1978 den Überbauungsplan "Strandweg (Lindermatte-Hechtweg)" und
wies die Einsprache ab. Die 13 Grundeigentümer erhoben dagegen ohne Erfolg
Verwaltungsbeschwerde. Der Regierungsrat wies diese am 17. Januar 1979 ab,
soweit er darauf eintrat, und genehmigte den genannten Überbauungsplan.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde gestützt auf Art. 4 und 22ter BV
beantragen Dr. E. Blaser und Konsorten, der Entscheid des Regierungsrates
sei aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Thunersee gehört als öffentliches Gewässer zu den öffentlichen
Sachen und unterliegt daher dem Gemeingebrauch. Den Anstössern ist wegen
der besonderen Lage ihrer Liegenschaften die Ausübung des Gemeingebrauchs
erleichtert. Gemäss Art. 664 ZGB wird die Benutzung öffentlicher Sachen
durch das kantonale Recht geregelt. Dieses kann den Gemeingebrauch aufheben
oder beschränken (BGE 100 Ia 136 E. 5b); es kann aber auch den Anstössern
eine bessere Rechtsstellung einräumen. Der Kanton Bern hat von dieser
Möglichkeit zugunsten der Strassenanstösser Gebrauch gemacht. Nach Art. 50
Abs. 5 des bernischen Gesetzes über den Bau und Unterhalt der Strassen vom
2. Februar 1964 hat der Anstösser im Falle des Entzuges seiner Verbindung
mit der öffentlichen Strasse Anspruch auf eine andere Verbindung oder
allenfalls auf Entschädigung. Hinsichtlich der öffentlichen Gewässer
fehlt indes eine gesetzliche Regelung, die den Anstössern gewisse
Vorrechte verleihen würde. Welche Rechte ein privates, im Grundbuch
eingetragenes Ländterecht dem Anstösser zu verschaffen vermöchte, kann
dahingestellt bleiben. Die Beschwerdeführer machen zwar unter Art. 5 ihrer
Rechtsschrift geltend, das unwiderrufliche Kanalbenützungsrecht der Erben
Zbinden stehe seit ca. 1930 fest, und bezüglich der Parzelle Hoffmann
wird ein Zitat ohne Quellenangabe angeführt, wonach der Gemeinderat
1943 ein privates Ländterecht gegenüber dem Grundbuchamt anerkannt haben
soll. Diese Ausführungen entbehren jedoch der notwendigen Klarheit. Die
Beschwerdeführer legen nicht dar, wo diese Rechte festgehalten sein sollen
und wie sie im einzelnen umschrieben seien. Es wird auch nicht ausgeführt,
worin in diesem Zusammenhang die Verletzung eines verfassungsmässigen
Rechtes liegen soll. Die Beschwerdebegründung genügt insoweit den
Anforderungen des Art. 90 OG nicht.

    Die Beschwerdeführer weisen darauf hin, ihre Grundstücke seien in den
Katasterplänen und im Grundbuch ausdrücklich als "an den See anstossend"
bezeichnet. Sie leiten daraus offenbar ein Recht auf Fortbestand
des Seeanstosses und Erhaltung der uneingeschränkten Seezufahrt zu
ihren Grundstücken ab. Diese Ansicht ist unzutreffend. Die erwähnte
Bezeichnung im Grundbuch ist Teil der Liegenschaftsbeschreibung im
Sinne von Art. 942 Abs. 2 ZGB und Art. 4 der Verordnung des Bundesrates
betreffend das Grundbuch (HOMBERGER, Komm. zu Art. 942 ZGB, N. 8). Die
Liegenschaftsbeschreibung hat dem jeweiligen Zustand des Grundstückes
zu entsprechen; wesentliche Veränderungen sind nachzutragen. Es
kommt ihr jedoch nur deskriptive und nicht konstitutive Bedeutung zu
(HOMBERGER, aaO, N. 12). Aufgrund von Art. 973 ZGB in Verbindung mit
der Liegenschaftsbeschreibung gemäss Art. 942 Abs. 2 ZGB werden dem
Erwerber keine Rechte gegenüber dem Staat eingeräumt. Art. 973 ZGB
hat lediglich die zivilrechtliche Bedeutung, den gutgläubigen Erwerber
eines Grundstückes vor Beeinträchtigungen durch Dritte zu schützen, die
sich auf nicht im Grundbuch eingetragene dingliche Rechte stützen würden
(nichtveröffentlichte Urteile des Bundesgerichts vom 22. Dezember 1972 i.S.
Hochuli und vom 24. Juni 1976 i.S. Hutmacher E. 2b).

    Es stellt sich somit nur noch die Frage, ob Lehre und Rechtsprechung
dem Gewässeranstösser auch ohne entsprechende kantonale Vorschriften
ein Recht auf Fortbestand der Anstössereigenschaften und damit auf
ungehinderte Seezufahrt zu ihren Grundstücken zubilligen. Das ist nicht
der Fall. Nach Lehre und Rechtsprechung begründet der Anstoss eines
Grundstückes an ein öffentliches Gewässer nicht einen Rechtsanspruch; er
bildet lediglich einen für den Eigentümer günstigen tatsächlichen Zustand,
der im öffentlichen Interesse geändert werden kann. Die tatsächliche
Vorzugsstellung verschafft dem Anstösser kein unter dem Schutz der
Eigentumsgarantie stehendes Recht. Er ist daher im Falle der Aufhebung oder
Einschränkung des Seeanstosses nicht berechtigt, die Wiederherstellung
oder eine Entschädigung zu verlangen (MEIER-HAYOZ, Komm. zu Art. 664
ZGB, N. 166; HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, Komm. zu Art. 664 ZGB, N.
21; HANSJÖRG STEINER, Die Rechtsstellung des Anstössers an öffentlichen
Gewässern, Europäische Hochschulschriften, 1974, Reihe II Bd. 89, S. 171
ff., BGE 100 Ia 137 E. 5d mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer berufen
sich zu Unrecht auf BGE 56 I 268. Das Bundesgericht hat bereits in jenem
Entscheid festgestellt, der Eigentümer eines Ufergrundstückes besitze zwar
tatsächlich eine grössere Leichtigkeit, den Gemeingebrauch auszuüben,
eine rechtliche Vorzugsstellung oder gar Abwehrrechte andern gegenüber
stünden ihm jedoch in dieser Hinsicht nicht zu.

    Werden demnach die Beschwerdeführer durch das dem Überbauungsplan
zugrundeliegende Strandwegprojekt bloss in ihren tatsächlichen Interessen,
nicht aber in ihrer Rechtsstellung als Grundeigentümer berührt, so
können sie sich nicht auf die Eigentumsgarantie berufen. Die Rüge,
der angefochtene Entscheid verstosse gegen Art. 22ter BV, ist daher
unbegründet.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer beklagen sich ausserdem über eine Verletzung
der Rechtsgleichheit. Auch dieser Vorwurf geht fehl. Es wird in keiner
Weise dargetan, dass die kantonale Behörde einen andern, ebenfalls vom
Überbauungsplan betroffenen Anstösser ohne sachlichen Grund anders als
die Beschwerdeführer behandelt hätte. Sofern sie eine rechtsungleiche
Behandlung darin erblicken, dass jenen Anstössern, deren Grundstücke
nicht im Bereich Lindermatte-Hechtweg gelegen sind, die freie Seezufahrt
weiterhin zustehe, ist das unzutreffend. Da sich die Liegenschaften dieser
Anstösser in einem Uferabschnitt befinden, der nicht vom Überbauungsplan
betroffen ist, sind die Verhältnisse nicht die selben wie bei den
Beschwerdeführern, so dass von einer rechtsungleichen Behandlung nicht
die Rede sein kann.

    Die Beschwerdeführer machen mit ihren Vorbringen unter Art. 9 ihrer
Rechtsschrift zwar nicht ausdrücklich, wohl aber sinngemäss geltend,
das vom Regierungsrat genehmigte Strandwegprojekt verstosse gegen den
Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Die Rüge dringt nicht durch. Das
fragliche Projekt liegt ohne Zweifel im öffentlichen Interesse, denn mit
der Errichtung eines Strandweges im Bereich Lindermatte-Hechtweg wird
ein weiterer Teil des Seeufers der Allgemeinheit zugänglich gemacht
und für diese ein durchgehender Spazierweg grösstenteils dem Seeufer
entlang vom Lachengebiet bis in den Bonstettenpark geschaffen. Das
öffentliche Interesse überwiegt die privaten Interessen der Anstösser. Die
Beschwerdeführer werden durch das Strandwegprojekt insoweit betroffen,
als die freie Zufahrt vom offenen See her zu ihren Liegenschaften und
umgekehrt mit Segelbooten nicht mehr möglich sein wird, während dagegen
Boote ohne Mast in der Regel unter der im Überbauungsplan vorgesehenen
Brücke werden durchfahren können. Die Zufahrt mit Segelbooten ist jedoch
für die Beschwerdeführer nicht eine Frage des Zugangs zu ihren Grundstücken
an sich - sind diese doch von der Strasse her erreichbar -, sondern
lediglich eine Frage der bequemeren Ausübung des Segelsports. Die Schaffung
eines Strandweges dem bestehenden Ufer entlang gemäss den Baulinien von
1929 würde die Beschwerdeführer wesentlich härter treffen. Das mit dem
angefochtenen Entscheid genehmigte Strandwegprojekt Lindermatte-Hechtweg
kann nach dem Gesagten nicht als unverhältnismässig bezeichnet werden. Die
Beschwerde erweist sich damit auch insoweit als unbegründet.