Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 V 95



104 V 95

22. Urteil vom 24. April 1978 i.S. Schweizerische Krankenkasse Helvetia
gegen G. und Versicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 12 Abs. 1 KUVG. Die Implantation von Brustprothesen gehört nicht
zu den Pflichtleistungen.

Sachverhalt

    A.- Die 1925 geborene, bei der Schweizerischen Krankenkasse
Helvetia kollektiv-versicherte G. musste sich am 24. August 1976 den
rechtsseitigen Brustdrüsenkörper entfernen lassen. Die Kasse erbrachte
ihr dafür die vertraglichen Leistungen. Am 29. November 1976 wurde eine
Mamma-Prothese eingesetzt. Um eine möglichst gute Symmetrie zu erreichen,
wurde gleichzeitig auch die linke Brustdrüse entfernt und die entsprechende
Prothese auch links eingesetzt. Da sich bei der linken Brustoperation
Komplikationen ergaben, musste zu deren Behebung am 2. Februar 1977 ein
weiterer Eingriff vorgenommen werden. Bei der gleichen Operation wurden
an der rechten Brust nochmals verdächtige Knoten entfernt.

    Mit Verfügung vom 3. Februar 1977 lehnte die Kasse die Übernahme der
Kosten des Aufenthalts der Versicherten in der Klinik vom 28. November bis
7. Dezember 1976 sowie der entsprechenden Arztkosten ab, da implantierte
Brustprothesen nicht zu den Pflichtleistungen der Kasse gehören würden.

    B.- G. liess beim Versicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde
erheben.

    Die Vorinstanz hat die Beschwerde am 6. Mai 1977 gutgeheissen und die
Kasse gestützt auf BGE 102 V 71 verpflichtet, für die beiden Operationen
vom 29. November 1976 und 2. Februar 1977 die vertraglichen Leistungen
zu erbringen. Diese Eingriffe hätten der vollständigen Beseitigung der
körperlichen und psychischen Beeinträchtigung gedient.

    C.- Gegen diesen Entscheid führt die Kasse
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Wiederherstellung ihrer
Verfügung vom 3. Februar 1977.

    G. beantragt für seine Ehefrau die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Zur Begründung bringt er im wesentlichen
vor, dass Folgeoperationen nach einem schwerwiegenden lebensrettenden
Eingriff, der eine schwere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität
des Patienten mit sich gebracht habe, Pflichtleistungen der Kassen sein
müssten. Im vorliegenden Fall hätten diese Folgeoperationen entgegen
der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht bloss kosmetischen Charakter
gehabt.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung vertritt den Standpunkt, die
Beschwerdegegnerin habe Anspruch auf Übernahme der Kosten, welche durch
die Anfertigung der rechtsseitigen Prothese entstanden seien, und beantragt
in diesem Sinne die teilweise Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig ist, ob die Krankenkasse für die operative Implantation
der beiden Brustprothesen aufzukommen hat, die nach der rechtsseitigen
krankheitsbedingten Mamma-Amputation vorgenommen worden ist. Während die
Vorinstanz und die Beschwerdegegnerin im Gegensatz zur Krankenkasse dies
bejahen, meint das Bundesamt, die Beschwerdeführerin habe lediglich
die Kosten der rechtsseitigen Implantation zu übernehmen. Sowohl der
kantonale Richter wie auch alle am Rechtsstreit Beteiligten berufen sich
zur Begründung ihres Standpunktes auf BGE 102 V 69

    In diesem Urteil hat das Eidg. Versicherungsgericht folgendes erklärt:
Zweck der ärztlichen Behandlung als gesetzliche Pflichtleistung ist die
möglichst vollständige Beseitigung der körperlichen oder psychischen
Beeinträchtigung. Eine Operation hat daher nicht nur der eigentlichen
Heilung einer Krankheit oder unmittelbarer Unfallfolgen zu dienen, sondern
auch andere, sekundäre krankheits- oder unfallbedingte Beeinträchtigungen
zu beseitigen. Insbesondere werden mit chirurgischen Eingriffen auch
äusserliche Verunstaltungen vor allem an sichtbaren und in ästhetischer
Beziehung speziell empfindlichen Körperteilen - besonders im Gesicht -
angegangen. Solange ein derartiger krankheits- oder unfallbedingter Mangel
besteht, der ein gewisses Ausmass erreicht und sich durch kosmetische
Operation beheben lässt, ist ein solcher Eingriff von der Versicherung
zu übernehmen, unter der Voraussetzung allerdings, dass diese auch für
die Behandlung der primären Unfall- und Krankheitsfolgen aufzukommen
hatte. Das Eidg. Versicherungsgericht hat aber im gleichen Urteil
ausdrücklich erklärt, dass sich diese Leistungspflicht der Kassen für
kosmetische Operationen "in allgemein üblichen Grenzen und im Rahmen der
Wirtschaftlichkeit zu halten" habe (S. 72). Insbesondere die Voraussetzung
der Wirtschaftlichkeit der Behandlung steht im Einklang mit Art. 23 KUVG,
wonach sich unter anderem die Ärzte, Apotheker und Heilanstalten in der
Behandlung, Verordnung und Abgabe von Arzneimitteln sowie in der Anordnung
und Durchführung von wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen auf das
durch das Interesse des Versicherten und den Behandlungszweck erforderliche
Mass zu beschränken haben.

    Die Implantation von Brustprothesen bezweckt, die durch eine
Mamma-Amputation bewirkte ästhetische Beeinträchtigung zu beheben. Der
gleiche Zweck lässt sich aber auch mit einer abnehmbaren Brustprothese
erreichen. Eine solche ist wesentlich weniger kostspielig als die
operative Implantation von Brustprothesen. In der vorinstanzlichen
Beschwerde werden die Kosten der beiden Operationen vom 29. November
1976 und 2. Februar 1977 auf rund 13'000 Franken veranschlagt. Dabei ist
allerdings zu beachten, dass diese Summe auch die nochmalige Entfernung
verdächtiger Knoten rechts am 2. Februar 1977 umfasst. Aber selbst
wenn man dies berücksichtigt, müssen die beiden Prothesenoperationen
bei den geschilderten Umständen im Sinne von Art. 23 KUVG und der
Rechtsprechung als unwirtschaftlich bezeichnet werden. Sie stellen daher
keine Pflichtleistung der Krankenkassen dar, ohne dass noch zu prüfen
wäre, ob diese Eingriffe nicht ohnehin über jene Massnahmen hinausgehen,
die nach einer Brustamputation allgemein üblich sind.

Erwägung 2

    2.- Bei der Operation vom 2. Februar 1977 wurden, wie gesagt,
nochmals verdächtige Knoten entfernt. Für die dadurch bedingten ärztlichen
Leistungen hat die Krankenkasse aufzukommen. Der entsprechende Betrag
wird daher von den gesamten Operationskosten auszuscheiden und von der
Kasse zu vergüten sein.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 6. Mai 1977
aufgehoben und die Sache an die Krankenkasse Helvetia zurückgewiesen,
damit sie im Sinne der Erwägung 2 verfahre.