Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 V 77



104 V 77

16. Urteil vom 11. Mai 1978 i. S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen
Seleger und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 12 Abs. 1 IVG. Vom Anspruch auf medizinische Massnahmen bei
Spondylolisthesis (Zusammenfassung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Irene Seleger leidet an Spondylolisthesis L5/S1. Mit Verfügung
vom 5. Mai 1976 lehnte die Ausgleichskasse ein Gesuch der Versicherten
um Übernahme der Spondylodese ab.

    Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich hiess durch Entscheid
vom 16. November 1976 die von der Versicherten erhobene Beschwerde
gut, hob die angefochtene Kassenverfügung auf und verpflichtete die
Ausgleichskasse, die Kosten der Spondylodese zu übernehmen.

    Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das
Bundesamt für Sozialversicherung, der kantonale Entscheid sei aufzuheben
und die Kassenverfügung wiederherzustellen. Irene Seleger lässt den Antrag
auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) (Hinweis auf BGE 102 V 41 E. 1).

    b) Die Spondylolisthesis ist ein krankhafter Prozess an der
Wirbelsäule, der meistens während der Wachstumsperiode beginnt und sich
nach deren Abschluss stabilisiert. Mit zunehmendem Alter des Patienten
nehmen die Schmerzen zu und die degenerativen Folgeerscheinungen
der in Frage stehenden Anomalien können sich ausbreiten und zu
einer Generalisierung des Leidens im Bereich der gesamten Wirbelsäule
führen. Diese sekundären Störungen, die als labiles Leiden in Erscheinung
treten, machen wegen ihrer Schmerzhaftigkeit unter Umständen eine
Versteifungsoperation notwendig. Namentlich weil der zeitliche Abstand
zum Stadium der Stabilisierung grösser wird und das labile pathologische
Geschehen - rechtlich gesehen - zunehmend in den Vordergrund tritt,
ist die Versteifungsoperation im Lumbosakralbereich als Eingriff in
umfassenderes labiles pathologisches Geschehen gekennzeichnet und daher
von der Invalidenversicherung gemäss ständiger Rechtsprechung nicht als
medizinische Eingliederungsmassnahme zu übernehmen (nicht veröffentlichte
Urteile Stäuble vom 7. April 1972, Rutschmann vom 4. Oktober 1973,
Brändli vom 9. Oktober 1974 und Hotz vom 19. Januar 1978).

    Bei jüngeren Erwachsenen dagegen steht das labile pathologische
Geschehen, bei deutlicher Lokalisierung des Defektes, im Verhältnis zu
der am Ende des Wachstums stabilisierten Wirbelsäulenanomalie noch im
Hintergrund. Aus diesem Grunde kann bei ihnen die Versteifungsoperation
in der Regel unter bestimmten Voraussetzungen als medizinische
Eingliederungsmassnahme übernommen werden (EVGE 1966, S. 105, 209;
nicht veröffentlichte Urteile Gander vom 19. Dezember 1975 und Hotz vom
19. Januar 1978).

Erwägung 2

    2.- Vor dieser Rechtsprechung vermag der angefochtene kantonale
Entscheid nicht zu bestehen. Die 1928 geborene Beschwerdegegnerin litt seit
1964 an zunehmenden lumbalen Beschwerden, wie den in den Akten liegenden
ärztlichen Stellungnahmen zu entnehmen ist. Diese sekundären Störungen,
die rechtlich als labiles pathologisches Geschehen zu betrachten sind,
wurden im Herbst 1976 operativ angegangen. Die Spondylodese stellt
demnach keinen von der Invalidenversicherung als medizinische Massnahme
zu übernehmenden Eingriff dar. Unerheblich ist dabei, dass damit ein
erheblicher Eingliederungserfolg erzielt werden konnte.

    Bei dieser Sachlage kann die Frage offen bleiben, ob das Leiden
der Beschwerdegegnerin sich bereits generalisierte und ob zusätzliche
Nebenbefunde an der Wirbelsäule vorliegen, welche den vom Gesetz verlangten
dauernden und wesentlichen Eingliederungserfolg zu beeinträchtigen
vermögen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der
AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich vom 16. November 1976 aufgehoben.