Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 V 191



104 V 191

47. Auszug aus dem Urteil vom 28. Dezember 1978 i.S. Mertens gegen
Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern Regeste

    Beginn des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 IVG). Die Wartezeit nach
Variante II kann schon zu laufen beginnen, während der Versicherte noch
Taggelder der Arbeitslosenversicherung bezieht.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    a) Streitig ist die Frage des Rentenbeginns. Entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers gingen die Verwaltung und die Vorinstanz zu Recht
davon aus, dass vorliegend die Variante II zur Anwendung kommt: Das Leiden
des Beschwerdeführers hatte in keinem Zeitpunkt die für die Anwendung der
Variante I erforderliche Stabilität erreicht. So beschrieb Dr. K., der
den Beschwerdeführer vom 21. Oktober 1975 bis 7. April 1976 beobachtete,
den Krankheitszustand als unverändert bis leicht progredient. Dr. M.,
bei dem der Beschwerdeführer vorher während mehrerer Jahre in Behandlung
war, bescheinigte ein starkes Fortschreiten des Leidens, das er auf Grund
einer am 16. September 1976 erfolgten Untersuchung als sich weiterhin
verschlechternd betrachtete. Der Beschwerdeführer kann somit eine Rente
erst beanspruchen, wenn er während 360 Tagen durchschnittlich zur Hälfte
arbeitsunfähig war.

    Zur Frage, welcher minimale Grad für die Eröffnung der Wartezeit
erforderlich ist, hat das Eidg. Versicherungsgericht erkannt, dass
jedenfalls ein Behinderungsgrad von 25% bereits als erheblich zu betrachten
ist (BGE 96 V 34 ff., insbesondere 40).

    b) Die Vorinstanz hat den Rentenbeginn nicht auf Grund der
erwähnten Durchschnittsberechnung ermittelt, weil sie der Auffassung
war, dass die 360tägige Frist nicht zu laufen beginne, solange ein
Versicherter Taggelder der Arbeitslosenversicherung beziehe; Personen,
die ein Taggeld beziehen, hätten als vermittlungsfähig und somit auch
als arbeitsfähig zu gelten. Diese Überlegung stützt sich auf die
verwaltungsinterne Weisung des Bundesamtes für Sozialversicherung,
wonach die Gewährung einer Rente während und auch nach dem Bezug
von Taggeldern der Arbeitslosenversicherung ausgeschlossen sein soll
(Kreisschreiben vom 30. Mai 1975 betr. Eingliederungsmassnahmen und
Rentenanspruch bei Invaliden, die zufolge Änderung in der Wirtschaftslage
ihren Arbeitsplatz verloren haben). Diese Weisung wurde inzwischen
vom Bundesamt relativiert. So könne ein Versicherter, der ein Taggeld
der Arbeitslosenversicherung beziehe, kumulativ Anspruch auf eine halbe
Rente haben. Auch könne es vorkommen, dass sich der Gesundheitszustand
eines Taggeldberechtigten in einer Weise verschlechtere, dass er von
einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr als vermittlungsfähig betrachtet
werden könne, so dass auch nach der Ausrichtung von Arbeitslosengeld ein
Rentenanspruch möglich sei. Grundsätzlich werde aber an der im erwähnten
Kreisschreiben genannten Regelung festgehalten (ZAK 1976 S. 487).

    c) In Art. 16 AlVV werden die Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung
von Invaliden in der Arbeitslosenversicherung genannt. So wird
festgehalten, dass Bezüger einer ganzen Invalidenrente und Behinderte,
die eine Tätigkeit in einer geschützten Werkstätte ausüben können,
nicht als vermittlungsfähig gelten (Abs. 5). Ist einem Versicherten
noch eine Halbtagsarbeit zuzumuten, so darf ihm nur eine halbe
Invalidenrente zugesprochen werden. Für den restlichen, wirtschaftlich
und nicht gesundheitlich bedingten Erwerbsausfall muss er an die
Arbeitslosenversicherung gelangen, gilt er doch in der Regel für
eine Halbtagsarbeit als vermittlungsfähig (vgl. Abs. 3). Insoweit
können korrespondierende Schlüsse aus der Anspruchsberechtigung der
Arbeitslosenversicherung und der Invalidenversicherung gezogen werden.
Weitergehende Folgerungen aus den Bestimmungen über das Verhältnis
der einen Versicherung zur andern zu ziehen, erscheint indessen
problematisch. Jedenfalls trifft es nicht zu, dass die Wartezeit
der Variante II in der Invalidenversicherung erst ab Einstellung der
Taggelder eröffnet wird. Da die Wartezeit auch in Fällen laufen kann,
in denen der betreffende Versicherte keine Erwerbseinbusse erleidet oder
keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (BGE 97 V 231, 102 V 167 ff.), kann
sie auch in einem Zeitpunkt eröffnet werden, in dem der Versicherte noch
Arbeitslosenentschädigung erhält. Da in der Invalidenversicherung während
der Wartezeit nach der Variante II von Art. 29 Abs. 1 IVG lediglich
eine durchschnittlich hälftige Arbeitsunfähigkeit verlangt wird, kann
ein Versicherter im Zeitraum von 360 Tagen durchaus noch zeitweise
vermittlungsfähig im Sinne des Arbeitslosenversicherungsrechts sein.