Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 V 153



104 V 153

36. Auszug aus dem Urteil vom 3. Juli 1978 i.S. Leonardelli gegen
Ausgleichskasse der Aargauischen Industrie- und Handelskammer und
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft Regeste

    Art. 91 Abs. 1 IVV und Art. 35 VwVG. Zur Pflicht der Ausgleichskassen,
ihre Verfügungen zu begründen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    Im Schreiben vom 6. April 1977, das der Beschwerde an
die Vorinstanz beilag, beanstandete Dr. H., dass die Kasse die
Rentenherabsetzung vorgenommen habe, "ohne ihr Vorgehen auch nur
mit einem Buchstaben zu begründen". In der Tat enthalten weder der
Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission noch die Verfügung
der Ausgleichskasse eine Begründung. Eine solche ergibt sich vielmehr
erst aus der Vernehmlassung der Invalidenversicherungs-Kommission im
vorinstanzlichen Verfahren.

    Art. 91 Abs. 1 IVV schreibt vor, dass Verwaltungsakte, mit welchen über
Rechte und Pflichten eines Versicherten befunden wird, in die Form einer
schriftlichen, von der zuständigen Ausgleichskasse zu erlassenden Verfügung
zu kleiden sind (vgl. auch Art. 128 Abs. 1 AHVV). Dass die Verfügung
auch zu begründen sei, wird weder in der genannten noch in einer anderen
Bestimmung im Bereiche des Invalidenversicherungsrechts verlangt. Wohl
sieht Art. 35 Abs. 1 VwVG vor, dass schriftliche Verfügungen zu begründen
sind, doch gilt diese Norm nur für die Eidgenössische Ausgleichskasse
und die Schweizerische Ausgleichskasse (vgl. Art. 62 AHVG und Art. 110
bis 113 AHVV, wonach diese Kassen vom Bundesrat errichtet werden und
demnach als Amtsstellen des Bundes im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. a VwVG
gelten). Auf die Verbandsausgleichskassen, zu denen die im vorliegenden
Verfahren beteiligte Ausgleichskasse zu zählen ist, und auf die kantonalen
Ausgleichskassen findet Art. 35 Abs. 1 VwVG hingegen keine Anwendung,
da es sich bei ihnen nicht um Bundesverwaltungsbehörden im Sinne des
Verwaltungsverfahrensgesetzes handelt (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. e in
Verbindung mit Art. 3 lit. a VwVG).

    Es entspricht indessen allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien,
insbesondere dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, dass die
Entscheidungsgründe dem Betroffenen bekannt sein sollen. Denn ohne
Kenntnis der Tatsachen und Rechtsnormen, welche für die verfügende Behörde
massgeblich waren, kann er sich oftmals kein Bild über die Tragweite der
Verfügung machen (BGE 101 Ia 49 Erw. 3, 98 Ia 464 Erw. 5a). Er vermag
die Gründe, welche für oder gegen eine Beschwerdeerhebung sprechen,
nicht richtig abzuwägen und kann die Verfügung gegebenenfalls nicht
sachgemäss anfechten. Dies führt zu Rückfragen bei der Verwaltung oder zu
provisorischen Beschwerden, um die Entscheidungsgründe auf diesem Weg zu
erfahren. Mit Recht ordnete deshalb das Bundesamt für Sozialversicherung -
gestützt auf sein Weisungsrecht nach Art. 92 Abs. 1 IVV in Verbindung
mit Art. 64 Abs. 1 IVG und Art. 72 Abs. 1 AHVG - in Rz 198 f. des
Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung, gültig
ab 1. April 1964, an, dass Verfügungen, mit welchen Leistungen ganz oder
zum Teil abgelehnt werden, in knapper Form begründet werden müssen. Diese
Regel hat auch dann Gültigkeit, wenn eine bislang gewährte Leistung
ganz oder teilweise entzogen wird. Nachdem jedoch dem Beschwerdeführer
die Begründung der angefochtenen Kassenverfügung im Beschwerdeverfahren
zur Kenntnis gelangte und er im vorliegenden Verfahren dazu Stellung
nehmen konnte, darf der formelle Mangel der fehlenden Begründung der
Kassenverfügung als geheilt gelten.