Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 88



104 IV 88

25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Februar 1978 i.S. S.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau Regeste

    Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 StGB, unzüchtige Handlungen mit einem Kinde.

    Bejaht im Fall eines überraschenden Griffs gegen die Brüste einer
halbwüchsigen Unbekannten.

Sachverhalt

    A.- Am 15. Dezember 1976 vor 14 Uhr sprach S., der mit seinem
Kastenwagen in jener Gegend umhergefahren war, im Buchbergwald auf der
Strasse Diessenhofen-Unterschlatt die Sekundarschülerin B., geb. 1961,
die ihr Fahrrad neben sich herstiess, an und griff ihr unvermittelt mit
einer anzüglichen Bemerkung über der Windjacke an die Brust, worauf sie
sich schreiend wehrte, das Fahrrad fallen liess und zum Langfurrihof floh.

    B.- Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte S. am 3. November
1977 wegen unzüchtiger Handlungen mit einem Kinde (Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1
StGB) zu einer Gefängnisstrafe von 2 Monaten.

    C.- Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt S. Rückweisung der Sache an
das Obergericht zur Freisprechung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Unter Berufung auf verschiedene Urteile des Kassationshofes und die
Tatsache, dass heute das Geschlechtsleben allgemein mit weniger Prüderie
beurteilt wird als früher, macht der Beschwerdeführer geltend, sein
Verhalten erfülle nicht den Tatbestand von Art. 191 Ziff. 2 Abs. 1 StGB.

Erwägung 3

    3.- Es ist richtig, dass in der Beurteilung geschlechtlicher
Verhaltensweisen ein gewisser Wandel im Sinne einer versachlichten und
natürlichen Betrachtungsweise eingetreten ist (BGE 96 IV 70). Unzüchtig
ist demgemäss, was das durchschnittliche sittliche Empfinden der heutigen
Wohnbevölkerung der Schweiz in nicht leicht zu nehmender Weise verletzt.
Wann das der Fall ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab,
beim Tatbestand des Art. 191 Ziff. 2 StGB insbesondere auch von den
persönlichen Beziehungen der beteiligten Personen.

    Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis
Abs. 1 BStP) trieb sich der Beschwerdeführer mit seinem Auto im Wald
umher, weil er beabsichtigte, sich an einsamer Stelle unzüchtig an ein
Schulmädchen heranzumachen. Er hielt denn auch die ihm unbekannte B. unter
einem Vorwand an und griff dem Mädchen überraschend mit einem anzüglichen
Ausspruch an die Brust. Das Mädchen empfand dies als unzüchtigen Angriff
und rannte schreiend davon.

    Die Handlung des Beschwerdeführers beruhte also ausschliesslich auf
dem Wunsch nach sexueller Triebbefriedigung. Zwischen den beiden Personen
bestand überhaupt keine, geschweige denn eine auf gegenseitiger Zuneigung
beruhende Beziehung; der Griff nach der Brust des Mädchens war weder
eine gesteigerte Zärtlichkeit zwischen Liebenden noch eine aus anderem
Zusammenhang sich ergebende Berührung, sondern ein Überraschungsangriff
auf die Intimsphäre der Halbwüchsigen. Die Reaktion des Mädchens zeigt,
dass es selbst diesen Angriff als keineswegs harmlos empfand.

    Unter diesen Umständen hat die Vorinstanz den unzüchtigen Charakter
der Handlung ohne Rechtsverletzung bejaht. Daran vermag nichts zu ändern,
dass der Täter das Mädchen nur über der Windjacke anpackte und dieses
sich weiteren Zudringlichkeiten durch sofortige Flucht entzog.

Erwägung 4

    4.- Ob das durchschnittliche sittliche Empfinden in nicht leicht
zu nehmender Weise verletzt und eine Handlung daher als unzüchtig zu
betrachten ist, hängt, wie oben ausgeführt, von den gesamten Umständen ab.
Meist ist es von geringer Bedeutung, ob das Alter des Opfers nahe oder
deutlich unter der Schutzgrenze von 16 Jahren liegt. Im vorliegenden
Fall entlastet den Beschwerdeführer nicht, dass das Mädchen bereits 15
1/2 Jahre alt war, denn sein unsittlicher Angriff auf die unbekannte
Schülerin war weder nach allgemeinem Empfinden noch nach der Wirkung auf
das Opfer harmloser, als wenn er sich gegen ein wesentlich jüngeres Kind
gerichtet hätte.

    Auch der Hinweis auf die heute viel freizügigeren Darstellungen
in Presse, Film usw. hilft dem Beschwerdeführer nichts. Es geht nicht
darum, ob die Abbildung eines Mannes, der die Brust einer Frau mit der
Hand umfasst, unzüchtig ist, sondern ob der überraschende Griff gegen
die Brüste einer halbwüchsigen Unbekannten, die sofort erschreckt die
Flucht ergreift, als unzüchtig zu betrachten sei. Das ist zu bejahen. Die
versachlichte Würdigung geschlechtlicher Vorgänge ist kein Freibrief für
unsittliche Angriffe.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.