Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 35



104 IV 35

12. Urteil des Kassationshofes vom 11. Januar 1978 i.S. H. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    Art. 91 Abs. 1 SVG, Art. 63, 41 StGB.

    1. Eventualvorsätzliches Fahren in angetrunkenem Zustand (E. 1).

    2. Das Ausmass der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer
durch angetrunkene Fahrzeuglenker ist beim Verschulden zu
berücksichtigen. Sozialer Zwang zum Trinken ist kein Entlastungsgrund
(E. 2a und b).

    3. Verweigerung des bedingten Strafvollzuges (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Das Bezirksgericht Zürich hatte H. am 24. April 1963 wegen
Fahrens in angetrunkenem Zustand mit einer Busse von Fr. 100.- und am 31.
Januar 1975 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand sowie fahrlässiger
Körperverletzung mit zwei Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar mit einer
Probezeit von drei Jahren, und mit einer Busse von Fr. 500.- bestraft.

    Am 12. Mai 1976, kurz vor Mitternacht, lenkte H. mit 1,45
Gewichtspromille Alkohol im Blut seinen Personenwagen von Zollikon durch
die Stadt Zürich auf die Autobahn N 1 in Richtung Dietikon.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich sprach H. wegen der
neuen Verfehlung am 20. Juni 1977 des eventualvorsätzlichen Fahrens
in angetrunkenem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG) schuldig und verurteilte
ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten Gefängnis, deren Vollzug
es nicht aufschob. Ferner ordnete das Obergericht den Vollzug der 1975
bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe an.

    C.- H. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie eine bedingt vollziehbare Strafe von höchstens einem Monat
Gefängnis ausspreche und die frühere Gefängnisstrafe als nicht vollziehbar
erkläre.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht ist der Ansicht, der Beschwerdeführer habe
die Tat nicht nur fahrlässig, sondern zum mindesten mit Eventualvorsatz
begangen. Damit stellt es fest, der Beschwerdeführer habe den Deliktserfolg
als möglich vorausgesehen und für den Fall, dass er eintrete, in Kauf
genommen. Mit welchem Wissen und Willen der Täter handelt, betrifft
eine Frage des inneren Tatbestandes und damit eine solche tatsächlicher
Natur. Die von der Vorinstanz darüber getroffenen Feststellungen sind
daher für den Kassationshof verbindlich und mit der Nichtigkeitsbeschwerde
nicht anfechtbar (Art. 277bis Abs. 1 BStP; BGE 101 IV 50 E. 3, 98 IV 66,
96 IV 101).

    Dass die Vorinstanz den Begriff des Eventualvorsatzes verkannt
habe, wird vom Beschwerdeführer weder ausdrücklich behauptet noch
dargetan. Die Erwägungen des angefochtenen Urteils bieten hiefür auch
keine Anhaltspunkte. Der Beschwerdeführer fuhr mit seinem Wagen zu
einem Anlass, von dem er zum vorneherein wusste, dass Alkohol getrunken
werde. Auch kannte er die Gefährlichkeit übermässigen Alkoholkonsums und
die Folgen, die das Fahren in angetrunkenem Zustand nach sich zieht,
war er doch deswegen bereits zweimal bestraft worden. Zudem wusste er
aus den früheren Erfahrungen, dass er in alkoholisiertem Zustand über
keine hinreichende Selbstkritik verfügte und sich fälschlicherweise
für fahrtüchtig hielt, so dass er damit zu rechnen hatte, er könnte
sich wieder täuschen. Dazu kommt, dass er seit seiner Verurteilung im
Jahre 1975 den Alkoholkonsum beschränkte und selbst der Meinung war, er
sei deshalb weniger alkoholtolerant. Wenn er trotzdem nichts unternahm,
um einen Rückfall auszuschliessen, sondern im Übermass Alkohol trank und
ungeachtet des Blutalkoholgehalts von 1,45 %o und der dabei zwangsläufig
auftretenden Ausfallerscheinungen die Heimfahrt im eigenen Wagen antrat, so
drängte sich der Schluss, er habe bewusst in Kauf genommen, möglicherweise
angetrunken zu fahren, geradezu auf. Die Vorinstanz hat daher durch die
Annahme des Handelns mit Eventualvorsatz Bundesrecht nicht verletzt.

    Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe sich vor Antritt der
Heimfahrt noch ernstlich überlegt, ob er genügend fahrtüchtig sei,
ist unerheblich. Die gleiche Überlegung wollte er schon in den beiden
früheren Fällen gemacht haben, in denen er, wie er wusste, zu einem
falschen Ergebnis gelangt war. Er bestätigt in der Beschwerde übrigens
selber, dass sein Zustand ein einigermassen sicheres Urteil über seine
Fahrtüchtigkeit verunmöglicht habe.

Erwägung 2

    2.- a) Bei der Bewertung des Verschuldens erachtete das Obergericht
als belastend, dass der Beschwerdeführer in angetrunkenem Zustand
die lange Strecke von Zollikon nach Dietikon zurücklegte. Dem Einwand
des Beschwerdeführers, es habe schwacher Verkehr geherrscht, hielt die
Vorinstanz entgegen, dass Fahren in angetrunkenem Zustand zur Nachtzeit
erfahrungsgemäss nicht weniger gefährlich sei als bei Tageslicht.

    Diese Betrachtungsweise ist nicht zu beanstanden. Es entspricht
ständiger Praxis des Bundesgerichts, dem Ausmass der Gefährdung, der
andere Verkehrsteilnehmer durch angetrunkene Fahrzeuglenker ausgesetzt
werden, bei der Beurteilung des Verschuldens Rechnung zu tragen. Entgegen
der Auffassung des Beschwerdeführers ist eine Gefährdung nicht erst
dann zu berücksichtigen, wenn die zurückgelegte Strecke besonders lang
ist. Entscheidend ist überhaupt nicht so sehr die Länge der gefahrenen
Strecke an sich, als vielmehr die Vielfalt der Gefahrenquellen, die
auf einer Strecke wegen ihrer Beschaffenheit (z.B. viele Kreuzungen)
oder aus Gründen der Verkehrsintensität auftreten und zu Unfällen
Anlass geben können. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nicht
etwa auf einer verkehrsarmen Nebenstrasse heimkehrte, sondern zunächst
die Stadt Zürich durchquerte und dann ein Stück weit die Autobahn
benützte, belastet ihn daher erheblich. Der Umstand, dass der Verkehr zur
Nachtzeit schwächer als bei Tag war, wird dadurch mehr als wettgemacht,
dass angetrunkene Fahrzeugführer nachts stärker behindert werden als
nicht alkoholisierte Führer, indem bei ihnen die Blendempfindlichkeit
grösser, die Wahrnehmungsfähigkeit stärker herabgesetzt und das Blickfeld
eingeschränkter ist.

    b) Der Beschwerdeführer beruft sich erneut darauf, dass er unter
einem sozialen Zwang zum Trinken gestanden sei, den das Obergericht nicht
genügend berücksichtigt habe.

    Die Vorinstanz hat den Einwand zu Recht verworfen. Selbst wenn sich
der Beschwerdeführer verpflichtet glaubte, in Anwesenheit von Gästen
mittrinken zu müssen, so hinderte ihn dieser Umstand nicht, das Verbot
des Fahrens in angetrunkenem Zustand zu beachten. Er kannte seine Lage zum
voraus und hätte entsprechende Vorkehren treffen können, indem er statt mit
seinem Wagen in einem Taxi zum Anlass gefahren wäre oder jedenfalls ein
solches für die Heimfahrt benützt hätte. Der angerufene Entlastungsgrund
hat übrigens auch insofern an Bedeutung verloren, als es gesellschaftlich
allgemein akzeptiert wird, wenn ein Automobilist unter Hinweis auf seine
Führerpflichten den Genuss alkoholischer Getränke ablehnt.

    c) Das Obergericht hat nach der am 1. August 1975 in Kraft getretenen
Revision des Art. 91 Abs. 1 SVG, die einen erweiterten Strafrahmen brachte,
seine bisherige Praxis aufgegeben, nach der es rückfällige angetrunkene
Fahrzeugführer beim Fehlen besonderer entlastender oder belastender
Umstände in der Regel mit einem Monat Gefängnis bestrafte. Ob diese Praxis
richtig war, kann dahingestellt bleiben. Denn zu entscheiden ist einzig, ob
die im vorliegenden Fall ausgesprochene Strafe von zwei Monaten Gefängnis
Bundesrecht verletze. Das trifft nicht zu. Die Vorinstanz hat alle für
die Strafzumessung massgebenden Gründe und Umstände berücksichtigt und
eine Strafe ausgefällt, die den Rahmen des zulässigen Ermessens keineswegs
überschreitet.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hat bei der Prüfung der Frage des bedingten
Strafvollzuges Vorleben und Charakter des Beschwerdeführers eingehend
gewürdigt, seinen guten Leumund nicht verkannt und sein gesamtes
Persönlichkeitsbild in Betracht gezogen. Wenn sie annahm, es handle
sich bei der neuen Tat nicht um eine einmalige, persönlichkeitsfremde
Entgleisung, sondern sie sei im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer
schon zweimal wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand bestraft wurde und das
neue Vergehen innerhalb der zuletzt angesetzten Bewährungsfrist beging,
auf einen Charakterfehler zurückzuführen, der einer günstigen Prognose
entgegenstehe, so war dieser Schluss in Anbetracht der gesamten Umstände
des Falles nicht unzulässig.

    Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, die Vorinstanz habe ausser
acht gelassen, dass er sich seit der neuen Tat des Alkohols vollständig
enthalte. Dieses Vorbringen ist offenbar neu und daher unbeachtlich,
denn die Vorinstanz erwähnt es nicht und im bezirksgerichtlichen Urteil,
auf das der Beschwerdeführer verweist, wird lediglich erklärt, der
Beschwerdeführer habe sich gemäss seinen Angaben nach der Verurteilung
von 1975 im Trinken ausserordentlich zurückgehalten. Von einem ernst zu
nehmenden Abstinenzversprechen ist also nicht die Rede. Selbst wenn davon
ausgegangen wird, der Beschwerdeführer habe den Willen zur Besserung
gehabt, so zeigt doch sein neues Versagen, dass seine Schwäche es ihm
verunmöglichte, die guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Unter diesen
Umständen besteht nicht genügend Gewähr dafür, dass der Beschwerdeführer
bei künftigen Gelegenheiten sich des Alkohols enthalten werde.

Erwägung 4

    4.- Das Obergericht ordnete den Widerruf des 1975 gewährten
bedingten Strafaufschubes an, weil es die neue Verfehlung für nicht
leicht hielt. Diese Bewertung ist aufgrund der gesamten Umstände des
neuen Falles nicht bundesrechtswidrig. Der Beschwerdeführer verweist
zur Begründung seiner gegenteiligen Annahme auf die zur Strafzumessung
vorgebrachten Rügen, die sich jedoch als haltlos erwiesen haben und daher
auch im Zusammenhang mit der Frage des Widerrufs nicht stichhaltig sind.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.