Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 266



104 IV 266

61. Urteil des Kassationshofes vom 30. November 1978 i.S. Schweizerische
Bundesanwaltschaft gegen K. Regeste

    Art. 11 VStrR. Verjährung im Verwaltungsstrafrecht.

    Soweit Art. 11 VStrR oder das einzelne Verwaltungsgesetz
keine Sondernormen über die Verjährung aufstellt, bleiben
die Verjährungsbestimmungen des StGB anwendbar (E. 2). Die neue
Verjährungsordnung gilt auch für Taten, die vor dem Inkrafttreten des
VStrR verübt worden sind (E. 1).

Sachverhalt

    A.- Am 26. September 1972 auferlegte die Eidgenössische
Steuerverwaltung K. wegen Hinterziehung von Warenumsatzsteuern eine Busse
von Fr. 60'000.-, die sie nach seiner vorbehaltlosen Unterziehungserklärung
vom 18. Oktober 1972 auf Fr. 45'000.- herabsetzte. Nach Leistung einiger
Teilzahlungen und Durchführung einer fruchtlosen Betreibung verlangte die
Steuerverwaltung am 13. August 1976 die Umwandlung des uneinbringlichen
Teils der Busse in Haft.

    B.- Die Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen wies am
26. Juni 1978 das Gesuch um Bussenumwandlung ab mit der Begründung, die
Vollstreckung der Übertretungsstrafe sei im Oktober 1977 mit Ablauf der
fünfjährigen Frist des Art. 11 Abs. 4 VStrR verjährt.

    C.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts sei aufzuheben und die
Sache zur Umwandlung der Busse in Haft an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    K. hat keine Gegenbemerkungen eingereicht.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Strafverfügung der Eidgenössischen Steuerverwaltung ist im
Jahre 1972 ergangen, also vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über
das Verwaltungsstrafrecht. Unter der Herrschaft des alten Rechts waren
die Strafen für Übertretungen fiskalischer Bundesgesetze unverjährbar
(BGE 83 IV 176), wogegen sie nun nach Art. 11 VStrR in Übereinstimmung
mit dem Strafgesetzbuch der absoluten Verjährung unterliegen. Das
neue Recht ist somit das mildere im Sinne des Art. 2 Abs. 2 StGB. Die
Übergangsbestimmungen des Art. 106 VStrR schliessen die Anwendung der
neuen Verjährungsbestimmungen auf Taten, die vor dem Inkrafttreten des
VStrR verübt wurden, nicht aus, auch Abs. 1 nicht, dessen Vorbehalt nur
für das Verfahrensrecht gilt. Die Frage der Verjährung war daher zu prüfen.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 2 VStrR gelten die allgemeinen Bestimmungen
des Strafgesetzbuches auch für strafbare Handlungen der
Verwaltungsgesetzgebung, soweit das VStrR oder das einzelne
Verwaltungsgesetz nichts anderes bestimmt.

    Der BRB über die Warenumsatzsteuer enthält keine eigenen
Verjährungsbestimmungen, sondern erklärt in Art. 41 Abs. 1 die Vorschriften
des VStrR für anwendbar. Das VStrR stellt in Art. 11 Sonderbestimmungen
über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung auf. Hinsichtlich
der letztern schreibt Absatz 4 vor, die Strafe einer Übertretung
verjähre in fünf Jahren. Damit wird die in Art. 109 StGB vorgesehene
Verjährungsfrist von zwei auf fünf Jahre erhöht. Dass es sich um eine
absolute Frist handle, wird nicht gesagt. Das VStrR kennt auch keine
weiteren Bestimmungen über die Vollstreckungsverjährung. Namentlich sind
ihm keine dem StGB entsprechenden Regeln über den Beginn, das Ruhen und
die Unterbrechung der fünfjährigen Frist zu entnehmen, und es fehlt auch
eine Bestimmung über die Vollstreckungsverjährung bei Vergehen. Von einer
abschliessenden Sonderordnung kann also keine Rede sein. Art. 11 Abs. 4
VStrR bedarf daher notwendig der Ergänzung. Zu diesem Zweck bestimmt
Art. 2 VStrR, dass die allgemeinen Bestimmungen des StGB Anwendung
finden, soweit das VStrR oder das einzelne Verwaltungsgesetz keine
abweichenden Regeln aufstellt. Insoweit das VStrR schweigt, behalten
demzufolge die Verjährungsbestimmungen des StGB ihre Gültigkeit und sind
subsidiär anzuwenden (Botschaft vom 21. April 1971 in BBl 1971 I 1007
zu Art. 10 des Entwurfes; Sten Bull SR 81, S. 842, Votum Munz; PETER,
ZStR 93, S. 360). Da Art. 11 Abs. 4 VStrR einzig die Verjährungsfrist
abweichend vom StGB regelt, bleiben alle andern Bestimmungen des
StGB über die Vollstreckungsverjährung, insbesondere jene über den
Beginn und die Unterbrechung (Art. 74 und 75 Ziff. 2), anwendbar. Die
fünfjährige Frist des Art. 11 Abs. 4 VStrR ist daher als ordentliche,
nicht als absolute Verjährungsfrist zu verstehen. Die gegenteilige
Ansicht der Vorinstanz liefe der Verjährungsordnung des StGB zuwider,
und es wäre zudem widersprüchlich, die Unterbrechung der ordentlichen
Verjährungsfrist bei der Verfolgungsverjährung gelten zu lassen (Art. 11
Abs. 2 VStrR), bei der Vollstreckungsverjährung dagegen nicht. Wenn die
absolute Verjährung lediglich in Art. 11 Abs. 2 VStrR erwähnt und dort
ausdrücklich auf 7 1/2 Jahre begrenzt wird, so liegt der Grund einzig
darin, dass die in diesem Absatz genannten Widerhandlungen als Übertretung
und Vergehen verübt werden können und Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 StGB die
absolute Verfolgungsverjährung für beide Deliktsarten verschieden regelt.
Bliebe diese Bestimmung anwendbar, so träte die unhaltbare Folge ein, dass
die Strafverfolgung beim Abgabebetrug als Vergehen nach 7 1/2 Jahren, bei
der Steuerhinterziehung als Übertretung aber erst nach 10 Jahren verjährt
wäre. Im Gegensatz dazu bedurfte die absolute Vollstreckungsverjährung
keiner besonderen Regelung, weil gemäss Art. 75 Ziff. 2 Abs. 2 StGB alle
Strafen, auch Übertretungsstrafen, in jedem Fall verjährt sind, wenn
die ordentliche Verjährungsfrist um die Hälfte überschritten ist. Die
Strafe einer unter das VStrR fallenden Übertretung verjährt somit gemäss
Art. 11 Abs. 4 VStrR in Verbindung mit Art. 75 und 102 StGB spätestens
nach siebeneinhalb Jahren.

Erwägung 3

    3.- Die in Frage stehende Steuerbusse ist mit der vorbehaltlosen
Unterziehungserklärung des Beschwerdegegners vom 18. Oktober 1972 rechtlich
vollstreckbar geworden, so dass mit diesem Tag die Vollstreckungsverjährung
begann (Art. 74 StGB). Die ordentliche fünfjährige Verjährungsfrist
des Art. 11 Abs. 4 VStrR ist seither durch mehrere auf Vollstreckung
gerichtete Handlungen (Betreibung, Pfändungsbegehren, Gesuch vom 13. August
1976 um Umwandlung der Busse in Haft) unterbrochen worden und hat mit
jeder Unterbrechung neu zu laufen begonnen (Art. 75 Ziff. 2 Abs. 1 und 2
StGB). Ist somit die ordentliche Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen,
geschweige denn die absolute Verjährung eingetreten, hat die Vorinstanz
das Umwandlungsgesuch zu Unrecht wegen Verjährung abgewiesen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Kantonsgerichts St. Gallen vom 26. Juni 1978 aufgehoben und die Sache zu
neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.