Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 261



104 IV 261

59. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 28. November 1978
i.S. F., E. und H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn Regeste

    1. Art. 9 Abs. 2 VRV. Kein besonderes Vortrittsrecht, wenn Fahrzeuge
ohne gegenseitige Behinderung aneinander vorbeifahren können (E. 1).

    2. Art. 19 Abs. 2 StGB. Der Fahrzeugführer, namentlich der Lenker eines
überbreiten Motorwagens, muss die genaue Breite seines Fahrzeuges kennen.
Begeht er zufolge Unkenntnis der Abmessung eine Widerhandlung gegen eine
Verkehrsvorschrift, z. B. eine Verkehrsbeschränkung, kann er sich nicht
auf unverschuldeten Irrtum berufen (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Den Beschwerdeführern wird eine Verletzung der Vorschrift des
Art. 9 Abs. 2 VRV vorgeworfen, die bestimmt, dass schwere Motorwagen
vor leichten den Vortritt haben, wenn auf schmalen Strassen das Kreuzen
nicht möglich ist. Unmöglich ist das Kreuzen auf solchen Strassen, wenn
bei korrekter Fahrweise ein Fahrzeug die Fahrzone des andern beanspruchen
muss, nicht aber, wenn jedes Fahrzeug ohne Benützung der Fahrfläche des
andern seine Fahrt fortsetzen kann (vgl. SCHULTZ, Die strafrechtliche
Rechtsprechung zum neuen Strassenverkehrsrecht, S. 157).

    Die Vorinstanz stellt in tatsächlicher Hinsicht nirgends fest, ein
Kreuzen der beteiligten Fahrzeuge sei an der fraglichen Stelle, wo sie
ohne gegenseitige Berührung aneinander vorbeifahren konnten, unmöglich
gewesen. Ebensowenig kann dem angefochtenen Urteil entnommen werden, das
Sattelmotorfahrzeug sei beim Kreuzen von einem der beiden Personenwagen
in seiner Fahrt behindert worden, wie die Verletzung des Vortrittsrechts
voraussetzt (vgl. Art. 14 Abs. 1 VRV). Auch werden keine näheren Angaben
darüber gemacht, wie das Kreuzen vor sich ging, insbesondere, wie weit
die Personenwagen nach rechts auswichen bzw. mit welchem seitlichen
Abstand sie am Sattelschlepper vorbeifuhren und ob dieser bereits
vor, während oder erst nach dem Kreuzen über den Asphaltbelag hinaus
geriet. Fehlen aber bestimmte Anhaltspunkte für eine Behinderung des
Sattelschleppers, so muss angenommen werden, das Kreuzen sei möglich
gewesen. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur
Freisprechung der Beschwerdeführer von der Anschuldigung der Verletzung
des Art. 9 Abs. 2 VRV an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe um die Überbreite
(2,45 m) seines Sattelmotorfahrzeuges nicht gewusst, da er weder
beim Erwerb von der Fachfirma noch bei den mehreren Vorführungen des
Wagens von der kantonalen Motorfahrzeugkontrolle darauf aufmerksam
gemacht worden sei und auf die Richtigkeit des Fahrzeugausweises
vertraut habe, der keine entsprechende Auflage enthalte. Unter diesen
Umständen habe er keine Veranlassung gehabt, die Breite des Fahrzeuges
selber nachzumessen. Demzufolge liege auch kein selbstverschuldeter
Sachverhaltsirrtum vor, wie die Vorinstanz angenommen habe.

    Die Fahrzeugbreite bildet Gegenstand sowohl genereller wie besonderer,
d.h. örtlich begrenzter Verkehrsbeschränkungen. Um diese befolgen
zu können, muss der Fahrzeugführer, insbesondere der Lenker schwerer
Motorwagen, die häufig Überbreiten aufweisen, die genaue Breite seines
Fahrzeuges kennen. Diese kann dem Fahrzeugausweis nicht entnommen werden,
weil das genaue Mass der Breite im Ausweis nicht eingetragen wird. Es
ist selbst dann aus ihm nicht zu ersehen, wenn das Fahrzeug gemäss
Fahrzeugausweis nur zum Verkehr auf den für 2,5 m breite Fahrzeuge
geöffneten Strassen zugelassen ist und ein Breitezeichen zu tragen
hat. Der Fahrzeugführer muss sich daher ausnahmslos auf andere Weise
als durch Einsicht in den Fahrzeugausweis von der genauen Breite seines
Fahrzeuges zuverlässig Kenntnis verschaffen. Besteht aber eine allgemeine
Pflicht, die Breite des Fahrzeuges zu kennen, und kann ihr nur durch
andere Vorkehren als die Einsicht in den Fahrzeugausweis genügt werden,
so hätte der Beschwerdeführer als Transportunternehmer und Berufschauffeur
bei pflichtgemässer Vorsicht seinen Irrtum vermeiden können. Die Vorinstanz
hat somit zu Recht angenommen, der Sachverhaltsirrtum des Beschwerdeführers
sei selbst verschuldet.