Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 24



104 IV 24

8. Urteil des Kassationshofes vom 11. April 1978 i.S. Sch. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau Regeste

    Art. 3 SVG. Verkehrsbeschränkungen, Publikation.

    1. Welcher Art eine bestimmte Verkehrsbeschränkung ist, entscheidet
sich nach Art. 3 Abs. 3 und Abs. 4 SVG, nicht aufgrund von Absatz 2
(E. 3a).

    2. Das signalisierte Verbot, die Einfahrt zu einem Parkplatz
in der Gegenrichtung als Ausfahrt zu benutzen, ist eine örtliche
Verkehrsbeschränkung im Sinne des Art. 3 Abs. 4 SVG. Sie ist ohne amtliche
Veröffentlichung grundsätzlich ungültig (E. 3b und c).

Sachverhalt

    A.- Am 12. Februar 1977, um 22.30 Uhr, fuhr Sch. am Steuer seines
Personenwagens vom Parkplatz des Restaurants Freihof in Matzingen
hinaus auf die Frauenfelder Strasse. Er benützte dazu die Einfahrt
zum Parkplatz, bei der links und rechts je eine Signaltafel Nr. 202
(verbotene Fahrtrichtung) angebracht war, welche die Ausfahrt an dieser
Stelle untersagte.

    B.- Am 15. Februar 1977 büsste das Bezirksamt Frauenfeld Sch. wegen
Missachtung von Art. 27 Abs. 1 SVG und 16 Abs. 2 SSV mit Fr. 30.-.

    Die Bezirksgerichtskommission Frauenfeld wies am 14. November 1977
eine gegen den Strafentscheid erhobene Einsprache des Gebüssten ab, und
am 10. Januar 1978 bestätigte die Rekurskommission des Obergerichtes des
Kantons Thurgau den Bussenentscheid.

    C.- Sch. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil der
Rekurskommission sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Signalisation
bei der Einfahrt zum Parkplatz des Restaurants Freihof sei nicht
amtlich veröffentlicht worden, wie das in Art. 82 Abs. 4 SSV für
Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen gemäss Art. 3 Abs. 4 SVG
vorgeschrieben werde. Die Auffassung der Vorinstanz, eine Publikation
sei nicht nötig gewesen, weil es sich hier nicht um eine "andere
Beschränkung oder Anordnung" im Sinne des Art. 3 Abs. 4, sondern um eine
Verkehrsbeschränkung im Sinne von Abs. 2 des genannten Artikels handle,
gehe fehl und verstosse gegen Bundesrecht. Mangels Publikation sei jene
Signalisation nichtig gewesen, weshalb der Strafentscheid aufzuheben sei.

Erwägung 2

    2.- Dem wegen Missachtung einer signalisierten Verkehrsbeschränkung
- also einer Allgemeinverfügung - in ein Strafverfahren verwickelten
Beschwerdeführer steht nach neuerer Rechtsprechung unter gewissen
Voraussetzungen ein Anspruch auf vorfrageweise Prüfung der
Rechtsbeständigkeit der Verfügung durch den Strafrichter zu unter
Ausschluss der Prüfung der Angemessenheit (BGE 99 IV 166, 98 IV
111 und 266). Im vorliegenden Fall konnte der Beschwerdeführer die
Rechtsbeständigkeit der Verfügung auf dem Rechtsmittelweg in einem
verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht überprüfen lassen, weil einerseits
im Kanton Thurgau noch kein Verwaltungsgericht besteht und anderseits die
Verkehrsbeschränkung nicht veröffentlicht worden ist, somit ein Hinweis
auf eine allfällige Beschwerdemöglichkeit ohnehin nicht ergangen ist. Der
Kassationshof kann deshalb die Frage der Rechtsbeständigkeit der genannten
Verfügung frei überprüfen.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz ist der Meinung, die mit der Aufstellung des
Signals Nr. 202 getroffene Anordnung, nach der die Einfahrt zum Parkplatz
des Restaurants Freihof nicht auch in der Gegenrichtung als Ausfahrt
benutzt werden darf, zähle zu den "Fahrverboten, Verkehrsbeschränkungen
und Anordnungen zur Regelung des Verkehrs" auf bestimmten Strassen gemäss
Art. 3 Abs. 2 SVG, weshalb eine Publikation nicht geboten gewesen sei.

    a) Aus der Systematik des Art. 3 SVG ergibt sich folgendes:
Absatz 1 hält fest, dass die Strassenhoheit der Kantone im Rahmen
des Bundesrechts gewahrt bleibe. Absatz 2 macht abweichend von der
früheren weitergehenden Regelung klar, dass die Kantone befugt sind,
Fahrverbote, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung
des Verkehrs für bestimmte Strassen zu erlassen (BUSSY/RUSCONI, Code
suisse de la circulation routière annoté, N. 3.1 zu Art. 3 SVG). Die
Absätze 3 und 4 bestimmen sodann des näheren, in welchem Rahmen bzw.
unter welchen Voraussetzungen solche Massnahmen von den Kantonen getroffen
werden können und welches die gegen ihren Entscheid gegebenen Rechtsmittel
sind. SCHLEGEL/GIGER (Strassenverkehrsgesetz, 3. Aufl., S. 9) bemerken dazu
mit Recht, dass die in Abs. 2 grundsätzlich verankerte Befugnis der Kantone
zum Erlass von Fahrverboten, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur
Regelung des Verkehrs nach Massgabe der folgenden Bestimmungen zu verstehen
sei. Welcher Art eine bestimmte Verkehrsbeschränkung ist, entscheidet sich
demnach nicht aufgrund von Abs. 2, sondern nach Abs. 3 und 4. Entsprechend
ist auch die Frage der Publikation nach diesen beiden Bestimmungen zu
beantworten, schreibt doch Art. 82 Abs. 4 SSV eine solche nur für örtliche,
sog. funktionelle Verkehrsbeschränkungen des Art. 3 Abs. 4 SVG vor.

    b) Das im vorliegenden Fall signalisierte Verbot, die Einfahrt zu
dem dem öffentlichen Verkehr offen stehenden Parkplatz des Restaurants
Freihof auch als Ausfahrt zu benutzen, ist ohne Zweifel nicht eine
Anordnung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 SVG, wird doch dadurch der
Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr auf Strassen weder vollständig
untersagt noch zeitlich beschränkt. Vielmehr handelt es sich um eine
funktionelle, durch die örtlichen Verhältnisse bedingte Beschränkung, die
die Sicherheit des Strassenverkehrs bezweckt. Das erhellt ohne weiteres,
wenn man berücksichtigt, dass einerseits der Führer bei der Ausfahrt an
der betreffenden Stelle ein Bahngeleise queren muss und dass anderseits
seine Sicht in die Strasse jedenfalls nach der einen Seite hin durch einen
Lebhag beschränkt ist. Die fragliche Massnahme ist deshalb gleicherweise
wie die Anordnung, die den Fahrverkehr über die Grenze zwischen einer
Strasse und einem Grundstück untersagt (BGE 94 I 142) oder die Aufhebung
eines Rechtsvortritts (s. BGE 102 IV 109) eine "andere Beschränkung"
im Sinne des Art. 3 Abs. 4 SVG.

    c) Die vom Regierungsrat des Kantons Thurgau beschlossene, in der
Folge an Ort und Stelle signalisierte Verkehrsbeschränkung, die länger als
30 Tage dauern sollte, musste daher nach Art. 82 Abs. 4 SSV unter Hinweis
auf die Beschwerdemöglichkeit amtlich veröffentlicht werden. Das ist nach
dem angefochtenen Urteil nicht geschehen. Nach der Rechtsprechung ist eine
solche Publikation aber Gültigkeitsvoraussetzung der Verkehrsbeschränkung,
ohne die sie der rechtlichen Verbindlichkeit grundsätzlich entbehrt
(BGE 99 IV 167). Dass eine der in BGE 99 IV 168 f. genannten Ausnahmen
vorliege, in denen auch ein nicht rechtsgültig aufgestelltes Signal zu
beachten ist, wird von der Vorinstanz nicht festgestellt. Insbesondere
nimmt sie selber nicht an, dass der Beschwerdeführer durch die Missachtung
des Signals andere Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet habe. Er ist
daher zu Unrecht wegen Übertretung des Art. 27 Abs. 1 SVG bestraft
worden. Das angefochtene Urteil ist demzufolge aufzuheben und die Sache
zur Freisprechung zurückzuweisen, ohne dass weiter geprüft werden muss,
ob die Signalisation auch mit Art. 73 Abs. 2 SSV vereinbar gewesen sei und
ob der Beschwerdeführer die Signaltafeln aus mangelnder Aufmerksamkeit
nicht gesehen habe; eine Übertretung von Art. 31 SVG wurde ihm von der
Vorinstanz nicht zur Last gelegt.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der
Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 10. Januar
1978 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an
die Vorinstanz zurückgewiesen.