Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 22



104 IV 22

7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. Januar 1978 i.S. W.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden Regeste

    Art. 312 StGB.

    Amtsmissbrauch ist auch dann gegeben, wenn ein Beamter zwar legitime
Ziele verfolgt, aber zur Erreichung derselben in unverhältnismässiger
Weise Gewalt anwendet.

Sachverhalt

    A.- Da ein an Z's. Wohnadresse in B. gesandtes Bussendekret als
unzustellbar zurückgeschickt worden war und zudem der Verdacht bestand,
dieser habe strafbare Handlungen begangen, beauftragte der Chef der
kantonalen Kriminalpolizei die Fahndungsabteilung, Z. anzuhalten, um
ihm die Strafverfügung auszuhändigen und ihn bei dieser Gelegenheit
über seine Wohn-, Arbeits- und Einkommensverhältnisse zu befragen. Am
Vormittag des 26. September 1975 meldete sich Z. auf persönliche Vorladung
des Kantonspolizisten W. hin in dessen Büro. Dort kam es anlässlich der
Befragung zu Tätlichkeiten, da sich Z. einer erkennungsdienstlichen
Behandlung widersetzte.

    Da nach der Befragung einige Punkte näherer Abklärung bedurften,
wurde eine vorübergehende Arrestierung Z's. während der Mittagszeit
angeordnet. Nachdem sich Z. entgegen den Vorschriften der Zellenordnung
geweigert hatte, seine persönlichen Effekten abzugeben, kam es zu einem
weiteren Handgemenge zwischen ihm und W., in dessen Verlauf Z. zwei Zähne
ausgeschlagen wurden.

    B.- Das Kreisgericht Chur sprach mit Urteil vom 10. März 1977 W. von
der Anklage des Amtsmissbrauchs frei und stellte das Verfahren wegen
einfacher Körperverletzung ein.

    Auf Berufung der Staatsanwaltschaft Graubünden hin sprach der
Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden W. am 11. Oktober 1977 des
Amtsmissbrauchs schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten
Gefängnisstrafe von acht Tagen.

    C.- W. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen
Entscheid aufzuheben und zur Freisprechung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 312 StGB ist u.a. strafbar ein Beamter, der seine
Amtsgewalt missbraucht, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen
Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen. Ein
solcher Missbrauch liegt dann vor, wenn der Beamte die Machtbefugnisse,
die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet, d.h. kraft seines Amtes
verfügt oder Zwang ausübt, wo dies nicht geschehen dürfte (BGE 88 IV 71;
vgl. auch BGE 99 IV 13 f.). Diese Voraussetzung ist auch dann gegeben,
wenn ein Beamter zwar legitime Ziele verfolgt, aber zur Erreichung
derselben in unverhältnismässiger Weise Gewalt anwendet.

    a) Dass das Vorgehen des Beschwerdeführers einen Amtsmissbrauch
darstellt, ist offensichtlich. Selbst wenn sich Z. zu Unrecht gegen
die polizeilichen Massnahmen gesträubt hätte, was bezüglich der
erkennungsdienstlichen Behandlung als fraglich erscheint, hätte sein
Widerstand nur mit zulässigen und verhältnismässigen Mitteln gebrochen
werden dürfen. Reissen an den Haaren, Faustschläge und dergleichen
waren aber unter den gegebenen Umständen sowohl im Büro des Polizisten
als auch in der Arrestzelle eine unangemessene Gewaltanwendung, wie der
Kantonsgerichtsausschuss zutreffend dargelegt hat. Den in der Beschwerde
dagegen erhobenen Einwänden kann nicht gefolgt werden: Ein Situationszwang
lag ebensowenig vor wie eine aus den Umständen entschuldbare unwesentliche
Überschreitung der amtlichen Befugnisse. Es ging nämlich weder um die
Verhinderung einer Flucht noch um die Abwehr eines Angriffes. Die Vorgänge
spielten sich in den Räumlichkeiten der Polizei ab, und es waren weitere
Beamte verfügbar, welche der Beschwerdeführer allenfalls hätte zu Hilfe
holen können. W. hat hier zu Methoden gegriffen, die in einem Rechtsstaat
nicht geduldet werden können.