Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IV 156



104 IV 156

38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. August 1978 i.S. A.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau Regeste

    Art. 137 StGB, Diebstahl.

    a) Begriffe des Gewahrsamsüberganges vom Eigentümer der Sache auf
den Dieb und der Aneignung (Erw. 1).
   b) Verhältnis zur Entwendung, Art. 138 StGB (Erw. 2).  c) Gehilfenschaft
   zum Diebstahl (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- A. verfügte als Abwart-Stellvertreter des Hotels Aarauerhof
in Aarau über einen Passepartout, mit welchem er sich auch zum
Getränkekeller Zutritt verschaffen konnte. Er nahm aus diesem im Sommer
1975 unbefugterweise mehrmals allein Whisky und zweimal zusammen mit
dem als Barmann angestellten F. Whisky und Wein, die in einem Fach der
Bar versteckt wurden. Er überliess F. ferner mehrmals den Passepartout,
damit auch dieser unberechtigterweise Getränke aus dem Getränkekeller an
sich nehmen konnte. Vom Whisky, den F. so aus dem Getränkekeller geholt
hatte, trank A. mehrmals.

    B.- Das Bezirksgericht Aarau sprach A. des fortgesetzten Diebstahls,
der fortgesetzten Gehilfenschaft zu Diebstahl und der fortgesetzten
Hehlerei schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von 4 Wochen.

    In teilweiser Gutheissung der Berufung des A. setzte das Obergericht
des Kantons Aargau am 15. März 1978 die Dauer der Gefängnisstrafe auf 14
Tage herab.

    C.- A. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung
des Urteils des Obergerichts und Rückweisung der Sache an dieses zum
Freispruch, eventuell zu neuem Entscheid.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, an den vom Keller in die
Bar verbrachten Getränken den Gewahrsam der Eigentümerin nicht gebrochen
und keinen eigenen Gewahrsam begründet zu haben. Es fehle zudem an einer
Aneignung.

    a) Als tatsächliche Sachherrschaft (BGE 97 IV 196 E. 3a) erfordert
der Gewahrsam die Herrschaftsmöglichkeit und den Herrschaftswillen über
eine Sache (STRATENWERTH, I S. 185; SCHWANDER, S. 325 Nr. 534). Entfällt
die Herrschaftsmöglichkeit, so dauert der Gewahrsam selbst bei währendem
Herrschaftswillen nicht fort (STRATENWERTH, I S. 188). Verbleibt die Sache
zwar in der Herrschaftssphäre des bisherigen Gewahrsamsinhabers, fehlt
diesem aber die Möglichkeit zur Ausübung der tatsächlichen Sachherrschaft,
beispielsweise wenn die Sache durch einen anderen versteckt worden ist, um
ihn davon auszuschliessen, und weiss er deshalb nicht, wo sich die Sache
befindet, so ist der Gewahrsam aufgehoben (STRATENWERTH, I S. 185/86 und
189; SCHWANDER, S. 327 Nr. 534a).

    Die Vorinstanz stellt für den Kassationshof verbindlich fest
(Art. 277bis Abs. 1 BStP), der Beschwerdeführer habe unberechtigterweise
allein und zusammen mit F. mehrmals aus dem Getränkekeller alkoholische
Getränke an sich genommen und sie in einem Fach in der Bar versteckt. Das
geschah, um sie kostenlos nach und nach konsumieren zu können. Durch
das Vorgehen des Beschwerdeführers und des F. wurde die Eigentümerin
der Getränke, obwohl diese bis zur vollständigen Konsumation in ihrer
Herrschaftssphäre blieben, davon ausgeschlossen, in gleicher Weise wie
über die als Stock im Keller gelagerten und in der Bar offen zum Ausschank
gegen Entgelt aufgestellten Getränke die tatsächliche Sachherrschaft
auszuüben, zumal sie nicht wusste, dass sich in der Bar, versteckt und
nur dem Beschwerdeführer, F. und der Barmaid Marie B. bekannt, weitere
Getränke befanden. Durch F. und Fräulein B. als für die Bar Verantwortliche
konnte sie den Gewahrsam nicht ausüben lassen, weil diese dazu nicht
bereit waren. An die Stelle ihrer eigenen tatsächlichen Sachherrschaft
war demnach jene des Beschwerdeführers und des F. getreten. Es ist nicht
streitig, dass dies gegen den Willen der Getränkeeigentümerin geschah
und der Beschwerdeführer sowie F. den Willen zur Ausübung eigener, durch
Ausschluss der Eigentümerin hievon bewirkter faktischer Herrschaft hatten.

    Wäre ein Gewahrsamsübergang gegen den Willen der Getränkeeigentümerin
nicht bereits für jenen Zeitpunkt zu bejahen, wo der Beschwerdeführer
allein oder zusammen mit F. die Getränke aus dem Keller entfernte und in
der Bar versteckte, dann aber jedenfalls für den Moment, wo diese durch
den Beschwerdeführer und F. unberechtigterweise konsumiert wurden.

    b) Hatte es der Beschwerdeführer nach der verbindlichen tatsächlichen
Feststellung der Vorinstanz (BGE 100 IV 221 E. 2 und 237 E. 4; Art. 277bis
Abs. 1 BStP) darauf angelegt, die aus dem Keller unbefugterweise
behändigten und in der Bar versteckten alkoholischen Getränke nach und
nach zu konsumieren, was in der Folge denn auch der Fall war, so kann
nicht zweifelhaft sein, dass er sich diese aneignete. Wer eine Sache
an sich nimmt, um sie zu verbrauchen, der verleibt ihren Wert seinem
eigenen Vermögen ein; mehr aber ist für eine Aneignung nicht verlangt
(BGE 85 IV 19 E. 2 mit Verweisen).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt, es hätte wegen des geringen Wertes der
von ihm teils allein teils zusammen mit F. weggenommenen alkoholischen
Getränke auf Entwendung statt auf Diebstahl erkannt werden müssen.

    Wenn die Vorinstanz die Deliktssumme auch nicht beziffert, so
stellt sie doch fest, der Beschwerdeführer habe im Monat vier bis fünf
Whiskyflaschen beiseite geschafft. Veranschlagt man deren Ankaufpreis auf
bloss je Fr. 20.-, so übersteigt bereits, was innerhalb eines einzigen
Monats an Getränken weggenommen wurde, die Grenze dessen, was unter
den gegebenen Umständen noch als Sachen von geringem Wert im Sinne von
Art. 138 StGB bezeichnet werden könnte. Nach der Anklageschrift dauerte
das deliktische Verhalten des Beschwerdeführers zudem von Juni bis Oktober
1975. Es fehlt im übrigen offensichtlich an den subjektiven Voraussetzungen
für die Anwendung jener Bestimmung. Der Beschwerdeführer hat nicht aus Not,
Leichtsinn oder zur Befriedigung eines Gelüstes gehandelt.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer bestreitet, dass sein Vorsatz auf die
Unterstützung der durch F. verübten Getränkediebstähle gerichtet war. Er
habe diesem den Passepartout ausschliesslich in Ausübung dienstlicher
Pflichten übergeben, damit er aus dem Keller Getränke zur Konsumation
durch Gäste an der Bar gegen Entgelt holen könne. Wenn Teilnahme vorläge,
so würde diese zudem in der Täterschaft aufgehen.

    Die Sachbehauptung, den Passepartout F. in Ausübung dienstlicher
Pflichten ausgehändigt zu haben, ist neu und daher unzulässig (Art. 273
Abs. 1 lit. b BStP). Die Vorinstanz stellt fest, der Beschwerdeführer
habe F. den Passepartout mehrmals im Bewusstsein übergeben, dass dieser
"den Schlüssel dazu verwende, um aus dem Keller Getränke zu stehlen, was
dieser auch tat". Diese Feststellung betrifft tatsächliche Verhältnisse
(BGE 100 IV 221 E. 2, 237 E. 4) und ist daher für den Kassationshof
verbindlich (Art. 277bis Abs. 1 BStP); die gegenteilige Behauptung des
Beschwerdeführers ist unbeachtlich (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Wusste
der Beschwerdeführer aber bei der Übergabe des Passepartouts an F., dass
dieser ihn einzig zum Zwecke des Diebstahls von Getränken aus dem Keller
zu verwenden beabsichtigte und auch verwendete, so kann, wenn er dessen
ungeachtet von der Übergabe nicht abstand, sein Verhalten vernünftigerweise
nur dahin ausgelegt werden, er habe diesen Erfolg auch gebilligt. Es vermag
dem Beschwerdeführer daher nicht zu helfen, wenn die Vorinstanz nicht
ausdrücklich feststellt, er habe auch den dahingehenden Willen gehabt;
ihre Erwägungen können nicht anders denn dahin verstanden werden, dass
sie neben dem Wissen auch den Willen des Beschwerdeführers zu solchem
Tun voraussetzte. Mit der Übergabe des Passepartouts an F. zur Begehung
von Getränkediebstählen hat der Beschwerdeführer einen für das Verbrechen
kausalen Tatbeitrag geleistet (BGE 98 IV 85 E. 2c mit Verweisen). Er ist
daher zu Recht der Gehilfenschaft zu Diebstahl schuldig erklärt worden.

    Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer bloss in jenen Fällen, wo
er selber entweder allein oder zusammen mit F. Getränke aus dem Keller
an sich nahm und in der Bar versteckte, des Diebstahls schuldig erklärt,
nicht auch in denjenigen, wo er F. bloss den Passepartout zum Zwecke der
Diebstahlsverübung aushändigte, an der eigentlichen Tatausführung aber
nicht beteiligt war. Es ist deshalb nicht einzusehen, wie unter solchen
Umständen die Teilnahme in der Täterschaft aufgehen könnte.