Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 293



104 II 293

50. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Oktober 1978
i.S. G. gegen B. Regeste

    Art. 277 Abs. 2 ZGB; Dauer der Unterhaltspflicht der Eltern.

    Es bedeutet keine Verletzung von Bundesrecht, wenn die
Unterhaltspflicht der Eltern über die Mündigkeit des Kindes hinaus bis
zum Abschluss seiner Ausbildung nicht im Urteilsdispositiv, sondern nur
in den Urteilserwägungen festgehalten wird. Dies gilt auf jeden Fall dann,
wenn bei Erlass des Urteils noch nicht im entferntesten feststeht, ob das
Kind seine Ausbildung bei Erreichung der Mündigkeit abgeschlossen haben
werde oder nicht.

Sachverhalt

    A.- Der am 12. Oktober 1969 geborene G. leitete anfangs 1970 gegen
B. eine Vaterschaftsklage ein. Das Bezirksgericht Zürich verpflichtete
den Beklagten mit Urteil vom 2. November 1976, dem Kläger bis zu dessen
vollendetem 18. Altersjahr monatlich Fr. 180.- zuzüglich allfällige
Kinderzulagen zu zahlen. Der Kläger beantragte mit einer Berufung, die
Unterhaltsbeiträge seien mit Wirkung ab 1. April 1977 zu indexieren. Das
Obergericht des Kantons Zürich erblickte darin eine unzulässige
Klageerweiterung und wies diesen Antrag mit Beschluss vom 29. April
1977 ab. Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hob am 7. Juli 1977
diesen Beschluss auf und wies die Sache zur materiellen Beurteilung der
erweiterten Klage an das Obergericht zurück.

    Am 6. Januar 1978 stellte der Kläger in Anwendung von Art. 13 SchlT
ZGB den Antrag, es sei das Kindesverhältnis zwischen ihm und dem Beklagten
festzustellen und der Beklagte sei in Abänderung des Klagebegehrens zu
verpflichten, die eingeklagten Unterhaltsbeiträge bis zur Mündigkeit
des Kindes und weiterhin, bis seine Ausbildung ordentlicherweise
abgeschlossen werden kann, zu erbringen. Das Obergericht des Kantons
Zürich stellte mit Urteil vom 17. März 1978 fest, dass mit Wirkung ab
1. Januar 1978 zwischen dem Kläger und dem Beklagten das Kindesverhältnis
bestehe. Es verpflichtete den Beklagten als Vater des Klägers zur Zahlung
von monatlichen Unterhaltsbeiträgen von Fr. 180.- von der Geburt des
Klägers an bis zum 31. Dezember 1977 und von Fr. 270.- ab 1. Januar 1978
bis zur Mündigkeit des Klägers, zuzüglich allfällige Kinderzulagen.
Die ab 1. Januar 1978 zu leistenden Unterhaltsbeiträge wurden mit einer
Indexklausel versehen.

    Gegen das Urteil des Obergerichts erhob der Kläger sowohl eine
kantonalrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde, die vom Kassationsgericht des
Kantons Zürich am 20. Juni 1978 abgewiesen wurde, soweit darauf einzutreten
war, als auch eine Berufung an das Bundesgericht. Mit dieser wurde
beantragt, die dem Beklagten auferlegte Unterhaltspflicht sei nicht auf
den Zeitpunkt, in dem die Mündigkeit des Klägers eintritt, zu beschränken,
sondern der Beklagte sei in Entsprechung des klägerischen Begehrens zu
verpflichten, den Unterhaltsbeitrag weiterhin, bis die Ausbildung des
Kindes ordentlicherweise abgeschlossen werden kann, zu erbringen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Zur Dauer der Unterhaltspflicht führte die Vorinstanz im
angefochtenen Urteil aus, nach dem neuen Recht dauere die Unterhaltspflicht
des Klägers bis zur Mündigkeit des Kindes (Art. 277 Abs. 1 ZGB). Das
sei ins Urteilsdispositiv aufzunehmen. Darüber, ob der Beklagte für das
Kind über dessen Mündigkeit hinaus bis zum Abschluss seiner Ausbildung
aufzukommen habe (Art. 277 Abs. 2 ZGB), sei heute nicht zu bestimmen,
da noch ungewiss sei, ob der Kläger eine sich über die Mündigkeit hinaus
erstreckende Ausbildung geniessen werde.

    Die Vorinstanz befristete also die Unterhaltspflicht des Beklagten
nicht endgültig bis zur Mündigkeit des Klägers, sondern räumte ein,
dass entsprechend der gesetzlichen Regelung des Art. 277 Abs. 2 ZGB die
Unterhaltspflicht über das Mündigkeitsalter hinaus dauern könne, bis der
Kläger ordentlicherweise seine berufliche Ausbildung abgeschlossen haben
werde. Bezüglich dieser möglichen Pflicht zu weiteren Unterhaltsleistungen
über das Mündigkeitsalter des Klägers hinaus besteht zwischen den Parteien
kein Streit. Der Kläger will mit seiner Berufung lediglich erreichen,
dass diese mögliche weitere Pflicht nicht nur in den Urteilserwägungen,
sondern auch im Urteilsdispositiv ausdrücklich festgehalten werde. Zu
prüfen ist demnach nur, ob in Vaterschafts- (oder Scheidungs-)urteilen der
Inhalt von Art. 277 Abs. 2 ZGB über die Dauer der Unterhaltspflicht von
Bundesrechts wegen ins Dispositiv aufzunehmen sei bzw. ob eine Verletzung
von Bundesrecht vorliege, wenn ein kantonales Gericht den Inhalt der
genannten Bestimmung im Urteilsdispositiv nicht eigens erwähnt.

    b) Befindet sich ein Kind bei Erreichen der Mündigkeit noch in
Ausbildung, so haben gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB seine Eltern, soweit
es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen
Unterhalt aufzukommen, bis diese Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen
werden kann. Die Ausdehnung der Unterhaltspflicht über das Mündigkeitsalter
hinaus in Fällen, in denen das Kind sich noch in Ausbildung befindet, ist
also vom Gesetz zwingend vorgeschrieben. Wo aber das Gesetz verbindlich
vorschreibt, dass in Zukunft unter gewissen Bedingungen Forderungsrechte
weiterdauern, entstehen oder untergehen, ist es nicht bundesrechtswidrig,
wenn dies in einem Urteilsdispositiv nicht auch noch besonders erwähnt
wird. So wird in den Urteilsdispositiven in der Regel nicht eigens
festgehalten, dass Unterhaltsbeiträge im Sinne von Art. 151/152 ZGB
bei Wiederverheiratung des anspruchsberechtigten Ehegatten dahinfallen
(Art. 153 Abs. 1 ZGB), dass eine Bedürftigkeitsrente aufgehoben oder
herabgesetzt werden kann, wenn die Bedürftigkeit nicht mehr besteht
oder in erheblichem Masse abgenommen hat (Art. 153 Abs. 2 ZGB),
dass ein Unterhaltsbeitrag bei veränderten Verhältnissen im Sinne von
Art. 157 ZGB erhöht oder herabgesetzt werden kann oder dass die Eltern
von der Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind in dem Masse befreit sind,
als diesem schon vor Erreichen der Mündigkeit zugemutet werden kann, den
Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln selbst zu bestreiten
(Art. 276 Abs. 3 ZGB). Warum es bezüglich des Art. 277 Abs. 2 ZGB anders
sein soll, ist nicht ersichtlich. Die Nichtaufnahme seines Inhalts in
das Urteilsdispositiv ist jedenfalls dann nicht bundesrechtswidrig, wenn
bei Erlass des Urteils noch nicht einmal im entferntesten feststeht, ob
das Kind seine Ausbildung im Zeitpunkt, da es mündig wird, abgeschlossen
haben werde oder nicht.

    Steht ein Kind bei der Regelung seiner Unterhaltsbeiträge im
Vaterschafts- oder Scheidungsprozess kurz vor der Erreichung seiner
Mündigkeit, befindet es sich dabei in einer Ausbildung, die aller
Voraussicht nach über diesen Zeitpunkt hinaus dauern wird und sind
auch die Verhältnisse der Eltern hinreichend bekannt, so dürfte es sich
empfehlen, im Urteilsdispositiv die Unterhaltsbeiträge auch für die Zeit
nach Erreichung der Mündigkeit zu regeln. Im vorliegenden Fall ist aber
noch alles offen. Der Kläger war bei der Ausfällung des angefochtenen
Entscheids noch nicht ganz 9 1/2 Jahre alt. Die Vorinstanz hielt in
den Urteilserwägungen fest, es sei ungewiss, ob er eine sich über die
Mündigkeit hinaus erstreckende Ausbildung erhalten werde. Das ist eine
Feststellung tatsächlicher Art, die nicht angefochten und an die das
Bundesgericht gebunden ist. Man weiss also nicht, ob das Kind überhaupt
eine Ausbildung erhalten werde, die über den Eintritt der Mündigkeit
hinaus dauert; man weiss nichts über die allfällige Art dieser Ausbildung
und die damit zusammenhängende Höhe der Ausbildungskosten; man kennt
die dannzumaligen Verhältnisse der Eltern nicht und kann somit nicht
beurteilen, ob und inwieweit ihnen nach den gesamten Umständen zuzumuten
sein wird, für die Ausbildung des Kindes weiterhin aufzukommen. Wenn in
einer solchen Situation ein Gericht darauf verzichtet, für die Zeit nach
Erreichen der Mündigkeit des Kindes im Urteilsdispositiv eine Regelung zu
treffen, von der nicht einmal feststeht, ob sie überhaupt je praktische
Bedeutung erlangen werde, stellt dies keine Verletzung von Bundesrecht dar.

    c) Was der Kläger dagegen vorbringt, dringt nicht durch. Es kann
ihm zwar darin beigepflichtet werden, dass der Richter nicht befugt ist,
den Unterhaltsanspruch zum Nachteil des Kindes zu beschränken. Das tat
die Vorinstanz indessen nicht, hat sie doch den Anspruch aus Art. 277
Abs. 2 ZGB in den Erwägungen des angefochtenen Entscheids ausdrücklich
vorbehalten. Wohl hat die Vorinstanz im Urteilsdispositiv dem Kläger
formell weniger zugesprochen, als er mit seinem Klagebegehren verlangt
hatte. Nach den Ausführungen des Kassationsgerichts des Kantons Zürich
war dies indessen zulässig, weil der Beklagte die Klage nicht anerkannt
hatte. Das Kassationsgericht hielt auch fest, prozessrechtlich sei es nicht
zu beanstanden, dass das Obergericht mit der von ihm gegebenen Begründung
von den Anträgen des Klägers bezüglich der Dauer der Unterhaltspflicht
abgewichen sei.

    In der Berufungsschrift wird ausgeführt, wenn im Urteilsdispositiv
die Unterhaltspflicht über den Eintritt der Mündigkeit hinaus bis zum
Abschluss der Ausbildung festgehalten werde, sei damit allen Beteiligten
zum Bewusstsein gebracht, dass das Kind unter Umständen einen Beruf
ergreifen dürfe, dessen Ausbildung in das Mündigkeitsalter hineinreiche,
und dass es von seinen Eltern bis zum Abschluss seiner Ausbildung
finanziell unterstützt werden müsse. Dies mag zutreffen, doch ist ein
solcher Hinweis im Urteilsdispositiv bundesrechtlich weder vorgeschrieben
noch notwendig. Im vorliegenden Fall ergab sich der Hinweis schon aus den
Urteilserwägungen. Das genügte. Die fragliche Regelung kann im übrigen
auch dem Gesetz selbst entnommen werden, was ebenfalls genügt.

    Des weitern wird in der Berufungsschrift geltend gemacht, wenn dem
Kind im Urteilsdispositiv von allem Anfang an Unterhaltsbeiträge über die
Mündigkeit hinaus zugesprochen werden, müsse dieses nicht unmittelbar nach
Erreichen der Mündigkeit gegen seinen Vater einen Prozess anstrengen,
wozu die Überwindung erheblicher psychischer Hemmungen erforderlich
sei. Dieses Argument mag in jenen Fällen zutreffen, in denen die
für die Zeit unmittelbar vor Eintritt der Mündigkeit zu zahlenden
Unterhaltsbeiträge der Höhe nach gleich sind wie jene, die dem mündigen
Kind die Weiterbildung ermöglichen können und die den Eltern nach den
gegebenen Umständen zugemutet werden dürfen. Solche Fälle dürften indessen
die Ausnahme sein. Wenn Unterhaltsbeiträge für Kinder unter 10-15 Jahren
festgelegt werden müssen, wird sich meistens noch nicht voraussehen
lassen, welchen Ausbildungsweg das Kind einschlagen wird, welche Mittel
dazu erforderlich sein werden und wie dannzumal die finanzielle Situation
seiner Eltern sein wird. Kommt ein Kind dann tatsächlich in den Genuss
einer Ausbildung, die über den Eintritt der Mündigkeit hinaus dauert, wird
in der Regel eine Neuordnung der Unterhaltsbeiträge nötig sein. Sofern
diese nicht auf gütlichem Wege erreicht werden kann, ist dazu ein Prozess
erforderlich, auch dann, wenn die Unterhaltspflicht im Urteil seinerzeit
dem Grundsatz nach festgehalten oder der Höhe nach bestimmt worden war. Der
Umstand, dass es sich in vereinzelten Fällen als nützlich erweisen kann,
schon von allem Anfang an Unterhaltsbeiträge über das Mündigkeitsalter
hinaus im Urteilsdispositiv festzulegen, bedeutet im übrigen nicht, dass
es von Bundesrechts wegen immer so gemacht werden müsse und dass das von
der Vorinstanz gewählte Vorgehen bundesrechtswidrig sei.

    Dem Kläger kann darin beigepflichtet werden, dass die Ausbildungszeiten
für viele Berufe immer wieder verlängert werden und dass immer mehr Kinder
bei Erreichen ihrer Mündigkeit noch in Ausbildung stehen. Für diese Zeit
ihrer Ausbildung ist ihr Anspruch auf Unterstützung aber bereits durch
Art. 277 Abs. 2 ZGB garantiert. Einer weiteren zusätzlichen Garantie
durch eine besondere Bestimmung im Urteilsdispositiv bedarf es nicht.

    Dass der Kläger berechtigt war, Unterhaltsbeiträge für die
ganze künftige Dauer der Unterhaltspflicht einzuklagen, ist nicht
bestritten. Wohl gehören zu diesen Unterhaltspflichten auch solche gemäss
Art. 277 Abs. 2 ZGB. Die Vorinstanz hat denn auch diese Ansprüche in den
Erwägungen ihres Urteils ausdrücklich vorbehalten. Wenn sie sie nicht
ins Urteilsdispositiv aufnahm, schmälert dies die Rechtsstellung und die
Ansprüche des Klägers nicht.

    Ob in den aussergerichtlich abgeschlossenen Unterhaltsverträgen
der Schuldner sich regelmässig verpflichte, auch über die Mündigkeit
des Kindes hinaus Unterhaltsbeiträge zu erbringen, bis dieses seine
Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen haben wird, ist für den
Entscheid im vorliegenden Verfahren unerheblich weil aussergerichtliche
Vereinbarungen weitergehen können als gerichtliche Entscheide. Aus allen
diesen Erwägungen erscheint die Berufung in diesem Punkt als unbegründet.