Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 289



104 II 289

49. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Oktober 1978
i.S. M. gegen M. Regeste

    Abänderung des Scheidungsurteils; sachliche Zuständigkeit.

    Für die Ergänzung eines lückenhaften Scheidungsurteils ist der
Scheidungsrichter zuständig, auch wenn sich die Lücke auf Ansprüche
bezieht, die weitgehend der Parteidisposition unterstehen. Wird hingegen
eine Abänderung des Scheidungsurteils wegen veränderter Verhältnisse
verlangt, so ist hiefür der Richter am Wohnsitz der beklagten Partei
zuständig (Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Am 21. Juni 1974 wurde die Ehe der Parteien geschieden.
Gleichzeitig genehmigte das Amtsgericht die von den Eheleuten
über die Nebenfolgen der Scheidung am 31. Mai 1974 abgeschlossene
schriftliche Vereinbarung. Ziffer 6 dieser Konvention befasst sich
mit der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Abschliessend findet sich
folgender Vermerk:

    "Mit dieser Vereinbarung erklären sich die Parteien güterrechtlich
   als vollständig auseinandergesetzt."

    Am 16. November 1976 reichte M. beim gleichen Amtsgericht gegen seine
geschiedene Ehefrau Klage ein mit dem Rechtsbegehren, das Scheidungsurteil
vom 21. Juni 1974 sei in einem Nachverfahren dahingehend zu ergänzen, dass
die Beklagte verurteilt werde, dem Kläger 40 Namenaktien der Firma M.
herauszugeben, wobei jeder Aktientitel mit dem hiefür notwendigen
schriftlichen Übertragungsvermerk an den Kläger zu versehen sei. Zur
Begründung seines Begehrens machte der Kläger geltend, im Zuge der
Konventionsverhandlungen, an denen noch weitere Personen, u.a. der
Anwalt der Ehefrau, mitgewirkt hätten, sei vereinbart worden, dass
die Ehefrau von den in ihrem Besitz befindlichen 50 Aktien der Firma
M. deren 40 auf den Ehemann übertrage. Weil man sich hierüber allseits
einig gewesen sei, habe man es offenbar als überflüssig erachtet, diese
Vereinbarung in die schriftliche Konvention aufzunehmen, weshalb dieser
Teil der Scheidungskonvention dem Gericht auch nicht zur Genehmigung
unterbreitet worden sei. Insoweit enthalte die Konvention eine Lücke,
die vom Scheidungsrichter in einem Nachverfahren zu schliessen sei.

    Das Amtsgericht erachtete sich als sachlich nicht zuständig zur
Beurteilung der aufgeworfenen Streitfrage, weil die Herausgabe der 40
Namenaktien beim ordentlichen Zivilrichter verlangt werden müsse, und
trat mit Urteil vom 21. Oktober 1977 auf die Klage nicht ein.

    Der Kläger zog dieses Urteil an den Appellationshof des Kantons
Bern weiter, welcher die Appellation am 28. Februar 1978 abwies und das
erstinstanzliche Urteil bestätigte. In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht
gelangte er zum Ergebnis, die Klage gehe nicht auf Ergänzung, sondern
auf Abänderung des Scheidungsurteils, weil dieses dem Kläger nicht etwa
als unvollständig, sondern als falsch erscheine. Klagen auf Abänderung
einer Scheidungskonvention fielen in die Kompetenz des ordentlichen
Zivilrichters. Durch BGE 81 II 313 ff., worauf sich der Kläger berufe,
seien ausdrücklich nur jene Fälle in das sogenannte Nachverfahren vor
dem Scheidungsrichter gewiesen worden, in denen es um die Ergänzung
eines lückenhaften Scheidungsurteils gehe. Dies sei aber hier nicht der
Fall. Der Kläger habe es sich selber zuzuschreiben, wenn von den Aktien in
der Konvention nicht die Rede gewesen sei; für den Scheidungsrichter habe
kein Anlass bestanden, die vorgelegte Konvention nicht zu genehmigen. Das
Amtsgericht habe daher seine sachliche Zuständigkeit zu Recht verneint.

    Der Kläger reichte Berufung beim Bundesgericht ein. Er beantragt
Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache zur
materiellen Behandlung an das Amtsgericht.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt das angefochtene Urteil
auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an
die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Das Bundesgericht hat in BGE 44 I 155 und 81 II 315 festgelegt,
unter welchen Voraussetzungen der Scheidungsrichter von Bundesrechts wegen
ein Scheidungsurteil in einem Nachverfahren zu ergänzen hat. Hat er es
nämlich aus Versehen oder Rechtsirrtum oder wegen Unkenntnis einer Tatsache
unterlassen, eine Frage zu regeln, die bei der Scheidung notwendigerweise
geregelt werden muss, so weist das Scheidungsurteil eine Lücke auf, die
durch eine entsprechende Ergänzung dieses Urteils auszufüllen ist, und
zwar ist hiezu nach Bundesrecht der Richter zuständig, der die Scheidung
ausgesprochen hat. Für die Beurteilung von Begehren, mit denen wegen
veränderter Verhältnisse eine Abänderung des Scheidungsurteils im Sinne
von Art. 153 und 157 ZGB verlangt wird, ist dagegen nach Bundesrecht,
wenn die Parteien in der Schweiz wohnen, der Richter am Wohnsitz der
beklagten Partei zuständig (BGE 81 II 315/16 mit Hinweisen).

    Diese Auffassung hat in der Doktrin einhellige Zustimmung
gefunden (GMÜR, N. 24, und EGGER, N. 16 zu Art. 158 ZGB; HINDERLING,
Schweizerisches Ehescheidungsrecht, 3. Aufl., S. 188/89 und 225/26). Auch
das angefochtene Urteil bestreitet sie grundsätzlich nicht. Hingegen
will die Vorinstanz ein Nachverfahren vor dem Scheidungsrichter nur
zulassen, wenn die Lücke im Scheidungsurteil eine Frage betrifft,
die der Scheidungsrichter von Amtes wegen und ohne Rücksicht auf die
Parteianträge hätte regeln sollen. Die zitierte Rechtsprechung und Lehre
lassen indessen ein Nachverfahren auch zu, wenn es sich um Ansprüche
handelt, die weitgehend der Parteidisposition unterstehen. So ging
es insbesondere in BGE 44 I 155 um rein güterrechtliche Vereinbarungen
zwischen den Ehegatten. Allerdings hatte dort der Richter Kenntnis davon,
dass die Parteien ihre güterrechtlichen Verhältnisse aussergerichtlich
geregelt hatten, wobei sie aber weder um die gerichtliche Genehmigung
der Regelung ersucht noch auch dem Richter deren Inhalt bekannt gegeben
hatten. Im vorliegenden Fall wurde hingegen dem Scheidungsrichter eine
Konvention über die güterrechtliche Auseinandersetzung unterbreitet,
die überdies die Klausel enthielt, mit der getroffenen Regelung seien
die Parteien endgültig auseinandergesetzt. Es ist dem Appellationshof
zuzustimmen, dass der Richter unter diesen Umständen keinen Anlass hatte,
danach zu forschen, ob neben der gerichtlichen, ihm zur Genehmigung
vorgelegten Scheidungskonvention noch weitere mündliche oder schriftliche
Abmachungen der Parteien existierten. Das bedeutet aber noch nicht,
dass ein Nachverfahren und eine nachträgliche richterliche Genehmigung
einer allfälligen zusätzlichen Vereinbarung ausgeschlossen sei,
wenn das Scheidungsurteil sich als lückenhaft erweise. Gerade diese
Frage hat der Kläger mit seinem Klagebegehren dem Gericht zur Prüfung
unterbreitet. Die Vorinstanz ist ihr einfach unter Hinweis auf BGE 81 II
315 mit der Verneinung der sachlichen Zuständigkeit des Scheidungsrichters
ausgewichen. In diesem Entscheid wird jedoch die sachliche Zuständigkeit
des Scheidungsrichters nur für den Fall verneint, dass es sich um
Begehren handelt, mit denen wegen nachträglich veränderter Verhältnisse
eine Abänderung des Scheidungsurteils verlangt wird, was hier nicht
zutrifft. Die Ausführungen des Appellationshofs zu diesem Punkt bedeuten
im Grunde genommen eine materielle Stellungnahme zur Klage, die mit der
Frage der sachlichen Zuständigkeit nichts zu tun hat. Man könnte sich
sogar fragen, ob der Appellationshof mit diesen Ausführungen nicht im
Sinne einer Eventualbegründung die Klage abgewiesen habe. Das lässt sich
indessen dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen. Der Appellationshof
sagt nicht, die Klage wäre, wenn auf sie einzutreten wäre, unbegründet,
sondern er macht die materiellen Ausführungen zur Stützung seiner These
der sachlichen Unzuständigkeit. Damit geht er aber an der Sache vorbei.

    Die Klage könnte denn auch nicht mit einer derart summarischen
Begründung abgewiesen werden. Der Kläger vertritt den Standpunkt, die
Ehegatten hätten sich während des Scheidungsprozesses dahin geeinigt,
dass die Ehefrau 40 Aktien auf den Ehemann zu übertragen habe. Diese
Abmachung sei lediglich deshalb nicht in die schriftliche Konvention
übernommen und dem Scheidungsrichter zur Genehmigung unterbreitet
worden, weil beide Parteien der Meinung gewesen seien, das erübrige sich.
Sollte diese Darstellung zutreffen, so kann nicht zum vorneherein gesagt
werden, die schriftliche Scheidungskonvention mit der Klausel über die
endgültige Auseinandersetzung stehe einer nachträglichen Genehmigung der
mündlichen Abmachung entgegen (EGGER, N. 16 zu Art. 158 ZGB). Vielmehr
werden der Bestand dieser Abmachung und die näheren Umstände, die zu
ihrem Abschluss geführt haben, sowie die Gründe, aus denen sie nicht
in die schriftliche Scheidungskonvention aufgenommen worden ist, näher
zu prüfen sein. Diese Prüfung kann aber von Bundesrechts wegen nur dem
Scheidungsrichter obliegen.