Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 281



104 II 281

47. Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Oktober 1978 i.S.
Waadt-Versicherungen gegen Martinez Garcia und Lobato Gonzales Regeste

    Versicherungsvertrag; Auslegung einer Ausschlussklausel bei einer
Unfallversicherung (Art. 33 VVG).

    1. Die Auslegung einer gefahrenbeschränkenden Abrede richtet sich nach
der Bedeutung, die den verwendeten Wörtern im täglichen Sprachgebrauch
üblicherweise zukommt (E. 2).

    2. Begriff der Schlägerei bzw. des Raufhandels (E. 3).

Sachverhalt

    A.- In der Nacht vom 14. auf den 15. August 1975 wurde der spanische
Staatsangehörige Ramon Martinez Lobato im Personalhaus der Gärtnerei
Rathgeb in Nürensdorf von einem Arbeitskollegen, dem Jugoslawen Sukri
Serifi, erstochen, nachdem sich die beiden zuvor in einer tätlichen
Auseinandersetzung gegenübergestanden hatten, an der auf seiten des
Opfers auch dessen Bruder Eleuterio und Gonzalo Pedraz, ebenfalls ein
Spanier, beteiligt gewesen waren. Ramon Martinez Lobato war durch
eine Kollektiv-Unfallversicherung seines Arbeitgebers bei der "Waadt"
versichert. Seine Eltern, Casimiro Martinez Garcia und Petra Lobato
Gonzales, erhoben in der Folge Anspruch auf die für den Tod durch Unfall
vorgesehene Versicherungssumme, den tausendfachen Taglohn. Die "Waadt"
hielt ihnen jedoch entgegen, die tödliche Verletzung ihres Sohnes sei
auf einen Raufhandel zurückzuführen und daher gemäss Art. 5 lit. c der
Allgemeinen Bedingungen für die Kollektiv-Unfallversicherung (AVB) von
der Versicherung ausgeschlossen.

    Mit Urteil vom 17. Mai 1977 hiess das Bezirksgericht Bülach
(II. Abteilung) eine von Casimiro Martinez Garcia und Petra Lobato
Gonzales gegen die "Waadt" eingereichte Klage gut und verpflichtete
diese, den Klägern Fr. 50'330.- nebst 5% Zins seit 14. August 1975 zu
zahlen. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, der Messerstich
von Sukri Serifi sei nicht als Teil eines Raufhandels zu werten, da
die an der vorangegangenen Schlägerei Beteiligten zuvor durch Dritte
getrennt worden seien und sich in verschiedene Räume des Personalhauses
zurückgezogen hätten.

    Das Obergericht des Kantons Zürich (I. Zivilkammer) erklärte am
13. März 1978 die von der Beklagten erhobene Berufung für unbegründet,
änderte allerdings das erstinstanzliche Urteil insofern ab, als es
festlegte, der den Klägern zugesprochene Betrag sei erst vom 21. Januar
1976, dem Tag der Inverzugsetzung, an zu verzinsen.

    Die Beklagte hat gegen das obergerichtliche Urteil sowohl
Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich als
auch Berufung an das Bundesgericht erhoben. Mit der Berufung stellt sie
folgende Anträge:

    "1. Ziff. 1 des Urteilsdispositivs der I. Zivilkammer des Obergerichtes
   des Kantons Zürich sei aufzuheben, und es sei die Klage vollumfänglich
   abzuweisen; eventuell sei die Klage im Ausmass von Fr. 12'582.50
   (1/4 der Versicherungssumme) gutzuheissen.

    2. Eventuell sei die Streitsache zur Beweisabnahme und Neubeurteilung
   an die Vorinstanz zurückzuweisen."

    Die Kläger schliessen auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Zu den Geschehnissen, die dem tödlichen Messerstich
vorangegangen waren, verweist die Vorinstanz auf die Feststellungen des
Bezirksgerichtes. Dieses hatte ausgeführt, man könne davon ausgehen,
dass Sukri Serifi von Ramon Martinez Lobato, dessen Bruder Eleuterio
und Gonzalo Pedraz im Verlaufe einer tätlichen Auseinandersetzung arg
zusammengeschlagen worden sein müsse. Durch das Dazwischentreten weiterer
Personen, namentlich des Onkels der Gebrüder Martinez, Florentino Martinez,
seien die Streitenden alsdann getrennt worden. Die Spanier hätten sich in
die für sie reservierte Küche begeben, während Serifi von seinem Landsmann
Arif Limani und einem weiteren Hausbewohner in den Aufenthaltsraum geführt
worden sei. In der Folge sei Serifi mit einem Messer in der Hand in die
Küche eingedrungen und habe auf die Spanier eingestochen, wobei Ramon
Martinez Lobato tödlich verletzt worden sei.

    Das Bezirksgericht hatte weiter festgehalten, es habe nicht
zweifelsfrei abgeklärt werden können, wieviel Zeit zwischen der
Trennung der Streitenden und dem Angriff Serifis mit dem Messer
verstrichen sei. Nach seiner Ansicht dürfte es sich um wenige Minuten
gehandelt haben. Die Vorinstanz stellt unter Hinweis auf die Akten der
Bezirksanwaltschaft Bülach, die die Strafuntersuchung gegen Serifi geführt
hatte, fest, es seien wenige bzw. einige Minuten gewesen.

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 5 lit. c der AVB der Beklagten sind von der
Versicherung unter anderem ausgeschlossen "die bei Schlägereien und
Raufhändeln erlittenen Verletzungen". Eine gefahrenbeschränkende Abrede
ist nur insofern wirksam, als sie einzelne Ereignisse in bestimmter,
unzweideutiger Fassung von der Versicherung ausschliesst (Art. 33 VVG). Ob
diese Voraussetzung im einzelnen Fall erfüllt sei, beurteilt sich nach
der Bedeutung, die den verwendeten Wörtern im täglichen Sprachgebrauch
üblicherweise zukommt (so BGE 66 II 191 E. 3; vgl. auch BGE 97 II 74 E. 4).

Erwägung 3

    3.- a) Unter einer Schlägerei bzw. einem Raufhandel ist nach dem
gewöhnlichen Sprachgebrauch eine tätliche Auseinandersetzung von einer
gewissen Geschlossenheit zu verstehen, die sich in einem zeitlich und
örtlich begrenzten Rahmen abspielt. Es herrscht demnach Übereinstimmung mit
den hauptsächlichen objektiven Merkmalen des strafrechtlichen Tatbestandes
des Raufhandels im Sinne von Art. 133 StGB (vgl. dazu AUFDENBLATTEN,
Die Beteiligung am Raufhandel, Diss. Bern 1955, S. 52 ff.).

    b) Der Ausschluss der bei einer Schlägerei oder einem Raufhandel
erlittenen Verletzungen aus dem Versicherungsschutz ist offensichtlich
darin begründet, dass die Beklagte nicht für Ereignisse einstehen will,
die durch das Verhalten eines Versicherungsnehmers begünstigt wurden. Im
vorliegenden Fall ist mithin zunächst zu prüfen, ob der Messerstich von
Sukri Serifi als rechtserhebliche Folge der - auch nach Ansicht der Kläger
als Schlägerei oder Raufhandel im oben angeführten Sinn zu qualifizierenden
- tätlichen Auseinandersetzung erscheine, an der unter anderem auch Ramon
Martinez Lobato und Sukri Serifi beteiligt waren.

    Die Parteien weisen übereinstimmend darauf hin, dass Serifi den Sohn
der Kläger gemäss Gutachten der kantonalen Psychiatrischen Klinik Rheinau
in einem durch Gewalteinwirkungen bei der vorangegangenen tätlichen
Auseinandersetzung verursachten Dämmerzustand erstochen habe und dass es
sich bei dieser Tat nicht um eine bewusste Fortsetzung oder Wiederaufnahme
des Kampfes, nicht um eine bewusste Rache gehandelt habe. Zugunsten der
Kläger lässt sich daraus indessen nichts ableiten, denn Hiebe, wie sie
Serifi bei der Auseinandersetzung mit Ramon Martinez Lobato, dessen Bruder
Eleuterio und Gonzalo Pedraz eingesteckt hatte, sind nach dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus geeignet,
einen Menschen die Selbstbeherrschung verlieren zu lassen und dazu zu
bringen, dass er seine Gegner im Raum, in den sie sich zurückgezogen haben,
mit einem Messer bewaffnet aufsucht, auf sie einsticht und dabei einen
von ihnen tödlich verletzt. Ob bis in alle Einzelheiten vorauszusehen
gewesen sei, dass sich die Ereignisse, insbesondere hinsichtlich der
Entwicklung der psychischen Verfassung Serifis, genau so abspielen würden,
wie es in Wirklichkeit geschehen ist, und ob Serifi den Sohn der Kläger
bewusst getötet habe oder nicht, ist für die Rechtserheblichkeit des
Kausalzusammenhanges ohne Belang (vgl. BGE 80 II 344; im gleichen Sinne
auch BGE 103 IV 291 f. E. 2 mit Hinweis).

    c) Ein rechtserheblicher Zusammenhang zwischen der tätlichen
Auseinandersetzung, die zur Verletzung und zum Dämmerzustand
Serifis führte, und dem tödlichen Messerstich reicht allerdings
nicht aus, das ganze Geschehen als Schlägerei bzw. als Raufhandel zu
qualifizieren. Merkmal der Schlägerei oder des Raufhandels ist auch eine
zeitliche und örtliche Einheit. Bei objektiver Betrachtung des äusseren
Ablaufs und der Entwicklung der psychischen Verfassung Serifis ist jedoch
diese Einheit hier trotz der vorübergehenden Trennung der Streitenden zu
bejahen, denn zwischen der ursprünglichen tätlichen Auseinandersetzung
und dem tödlichen Stich vergingen nach den Feststellungen der Vorinstanz
nur einige Minuten und die beiden Vorfälle trugen sich im gleichen
Gebäude, nur wenige Meter voneinander entfernt zu. Dass für Arif Limani,
Gonzalo Pedraz und Florentino Martinez die Feindseligkeiten mit dem
Rückzug der Streitenden in verschiedene Räume beendet waren und dass die
Spanier denn auch keine Sicherheitsmassnahmen trafen und insbesondere
die Küchentüre unverriegelt liessen, ist entgegen der Auffassung der
Vorinstanz unerheblich.

Erwägung 4

    4.- Die tätliche Auseinandersetzung zwischen Sukri Serifi und den
drei Spaniern und der Messerstich Serifis, durch den der Sohn der Kläger
getötet wurde, stellen nach dem Gesagten ein Ganzes dar, das nach dem
gewöhnlichen Sprachgebrauch als Raufhandel oder Schlägerei zu bezeichnen
ist. Der Tod von Ramon Martinez Lobato ist somit durch die Versicherung
der Beklagten nicht gedeckt. Dies führt zur Gutheissung der Berufung und
zur Abweisung der Klage. Das Eventualbegehren der Beklagten, die Klage
sei in der Höhe eines Viertels der Versicherungssumme gutzuheissen,
wird dadurch gegenstandslos, weshalb es sich erübrigt, zur Frage seiner
Zulässigkeit Stellung zu nehmen.