Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 28



104 II 28

6. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Februar 1978 i.S.
Aktiengesellschaft A. gegen X. Regeste

    Art. 337 OR. Auflösung des Arbeitsvertrages aus wichtigen Gründen.

    1. Die für eine fristlose Entlassung angerufenen Tatsachen müssen
geeignet sein, das Vertrauen zwischen den Parteien so zu zerstören,
dass die Fortsetzung des Vertrages nicht mehr zumutbar ist (E. 1).

    2. Umstände, die einen Arbeitgeber berechtigen, einen Produktionsleiter
fristlos zu entlassen (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                         Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 337 OR kann aus wichtigen Gründen sowohl der Arbeitgeber
wie der Arbeitnehmer jederzeit das Arbeitsverhältnis fristlos auflösen
(Abs. 1). Als wichtiger Grund gilt namentlich jeder Umstand, bei dessen
Vorhandensein dem Kündigenden nach Treu und Glauben die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden darf (Abs. 2.

    Nach diesen Bestimmungen, die inhaltlich den Abs. 1 und 2 von Art. 352
aOR entsprechen, ist die fristlose Auflösung des Vertrages aus wichtigen
Gründen gerechtfertigt, wenn die dafür angerufenen Tatsachen geeignet
sind, die für das Arbeitsverhältnis wesentliche Vertrauensgrundlage zu
zerstören oder doch so zu erschüttern, dass die Fortsetzung des Vertrages
nicht mehr zumutbar ist. Das gilt auch für die fristlose Entlassung des
Arbeitnehmers. Welche Anforderungen an die Voraussetzungen und damit an
die Rechtfertigung zu stellen sind, entscheidet sich nicht allgemein,
sondern hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von
der Stellung und Verantwortung des Arbeitnehmers, der Natur und Dauer des
Vertragsverhältnisses sowie von der Art und Schwere der Vorwürfe. Ein auf
die Dauer berechnetes Arbeitsverhältnis beruht normalerweise auf einem
besonders grossen Vertrauen, zumal wenn der Angestellte eine führende
Stellung innehat. Das Gesetz verpflichtet zudem jeden Arbeitnehmer,
die berechtigten Interessen des Arbeitgebers in guten Treuen zu wahren
(Art. 321a Abs. 1 OR), was für leitende Angestellte ebenfalls in erhöhtem
Masse gilt. Eine Verletzung der Treuepflicht durch solche Angestellte
wiegt deshalb schwerer und ist besonders dazu angetan, das gegenseitige
Vertrauen zu zerstören (BGE 101 Ia 548 E. c, 97 II 145 E. 2 mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Nach dem angefochtenen Urteil hat der Kläger X. mit zwei höheren
Angestellten der beklagten Aktiengesellschaft A. über die Möglichkeit
einer künftigen Mitarbeit in einem von ihm zu gründenden Unternehmen
gesprochen. In einem Gespräch mit der "Chef-Créatrice" B. ging es dem
Kläger darum, dass diese für ihn bereits im Herbst 1975 nebenberuflich
eine Kollektion Bébékleider für das folgende Frühjahr schaffen sollte,
womit die Beklagte konkurrenziert worden wäre. Der Kläger redete zwar
eher beiläufig davon, bat aber Frau B., darüber zu schweigen. Diese
hielt die Angelegenheit jedoch für so wichtig, dass sie der Beklagten
davon Kenntnis gab. Das Handelsgericht stellt ferner fest, dass der
Kläger sich auch mit dem Chef-Vertreter F. mehrmals über die Gründung
eines eigenen Unternehmens, in welchem F. den Verkauf leiten sollte,
unterhalten hat. Diese Feststellungen sind tatsächlicher Natur und daher
für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG); die Parteien
versuchen denn auch nicht, sie zu widerlegen.

    a) Die Vorinstanz fand, der Kläger habe dadurch keinen wichtigen Grund
zur fristlosen Entlassung gesetzt, Obschon sein Vorgehen zu verurteilen
sei, weil er die Beklagte konkurrenzieren und dafür auch zwei leitende
Angestellte seines Arbeitgebers einspannen wollte. Sein Vorhaben, sich
selbständig zu machen und ein Konkurrenzunternehmen aufzuziehen, habe
sich erst im Vorbereitungsstadium befunden und eine wirkliche Schädigung
der Beklagten habe noch in weiter Ferne gelegen, zumal er noch auf ein
Jahr hätte kündigen müssen und eine konkurrenzierende Produktion vor dem
Kündigungstermin offenbar nicht in Frage gekommen wäre.

    Diese Betrachtungsweise geht indes am Kern der Sache vorbei. Gewiss
durfte der Kläger für die Zeit nach dem Ablauf des Vertrages ein
eigenes Unternehmen ins Auge fassen, da der Vertrag dafür kein
Konkurrenzverbot enthielt. Solange er im Dienste der Beklagten stand,
war er aber gehalten, die Interessen der Beklagten getreu zu wahren,
hatte folglich alles zu unterlassen, was sich damit nicht vertrug. Dazu
wäre er selbst dann verpflichtet gewesen, wenn er sich damals bereits
in gekündigter Stellung befunden hätte. Indem er statt dessen während
der Vertragsdauer an andere führende Angestellte herantrat, um sie
für sein Vorhaben zu gewinnen, verstiess er in gröblicher Weise gegen
seine Treuepflicht. Das erhellt vor allem daraus, dass er sich an den
Chef-Vertreter und an die "Chef-Créatrice" wandte, deren Rolle für
den Betrieb der Beklagten ihm so wenig entgehen konnte wie die Gefahr
einer Schädigung, die seinem Arbeitgeber infolge der Abwerbung dieser
Personen durch den Kläger drohte. Dazu kommt, dass Frau B. schon während
der Vertragsdauer nebenbei und insgeheim eine Kollektion für das geplante
Unternehmen hätte vorbereiten sollen. Das wird von der Vorinstanz zu Recht,
wenn auch nur bei Würdigung des Mitverschuldens, als völlig unannehmbar
bezeichnet. Damit hätte auch Frau B. gegen ihre gesetzlichen Pflichten
aus dem Arbeitsvertrag verstossen (Art. 321a Abs. 3 OR), was dem Kläger
ebenfalls nicht entging, ermahnte er sie doch zur Verschwiegenheit.

    b) Das Verhalten des Klägers war nicht nur objektiv geeignet, das
Vertrauen der Beklagten in sein Verantwortungsbewusstsein zu erschüttern,
sondern hat nach dem angefochtenen Urteil tatsächlich dazu geführt, zumal
der Direktor der Beklagten "grosse Stücke auf dem Kläger hielt". Der
krasse Vertrauensmissbrauch lässt sich nicht damit verharmlosen, dass
der Kläger sein Vorhaben wegen der von ihm einzuhaltenden einjährigen
Kündigungsfrist nicht innert kurzer Zeit verwirklichen konnte, seine
Pläne vielmehr noch in den Anfängen steckten und eine Schädigung der
Beklagten noch nicht bevorstand. Die Vorinstanz übersieht, dass die
Direktion der Beklagten von diesen Plänen gegen den Willen des Klägers
Kenntnis erhalten hat. Ihre Auffassung hält umsoweniger stand, als der
Kläger schon vor einer Kündigung Angestellte der Beklagten abzuwerben
suchte und Frau B. bereits vor seinem Austritt für sich arbeiten lassen
wollte, um selber Zeit zu gewinnen. Bei einer längeren Kündigungsfrist,
wie hier, rechtfertigt sich übrigens eine fristlose Entlassung eher als
bei einer kurzen, was das Handelsgericht unter Hinweis auf SCHWEINGRUBER
(Kommentar zum Arbeitsvertrag, N. 8 zu Art. 337 OR) denn auch anerkennt
(vgl. ferner OSER/SCHÖNENBERGER, N. 11 zu Art. 352 OR).

    Nach dem, was über die Absichten des Klägers feststeht, konnte von
der Beklagten nicht verlangt werden, sich mit einer blossen Verwarnung zu
begnügen (vgl. BGE 61 II 241). Da der Kläger seine Pläne hinter dem Rücken
des Arbeitgebers vorbereitete und sie zum Teil auch vorzeitig ausführen
wollte, konnte die Beklagte sich nicht mehr darauf verlassen, dass er
loyal für sie arbeiten werde; sie hatte auch keine Gewähr dafür, seinen
vertragswidrigen Bemühungen wirksam begegnen zu können. Es war ihr folglich
nicht zuzumuten, den Kläger noch während eines Jahres zu beschäftigen.

    Dass der Kläger wegen der Rezession und wegen Entlassungen oder
Arbeitszeitverkürzungen bei der Beklagten verunsichert gewesen sein
will, befreit ihn nicht; solche Umstände berechtigten ihn nicht, sich
in Verletzung seiner Treuepflicht Vorteile zu verschaffen, seine eigenen
geschäftlichen Interessen denjenigen des Arbeitgebers voranzustellen. Sein
vertragswidriges Verhalten wird auch nicht dadurch ungeschehen gemacht,
dass seine Pläne sich schliesslich nicht verwirklichen liessen; denn
in Frage steht nicht, ob die Beklagte durch sein Vorgehen tatsächlich
geschädigt worden sei, sondern nur, ob der Kläger das für eine weitere
Zusammenarbeit notwendige Vertrauen zerstört habe. Das aber ist zu
bejahen. Damit ist den vom Kläger erhobenen Lohnansprüchen die Grundlage
entzogen.