Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 II 1



104 II 1

1. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 9. Februar 1978 i.S.
Maurer gegen Messerli Regeste

    Art. 28 ZGB. Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch
die Presse. Urteilspublikation als Mittel zur Beseitigung des
Störungszustandes; Interesse an der Publikation.

Sachverhalt

    A.- Fritz Maurer wurde am 25. Januar 1974 durch das Obergericht
des Kantons Zürich wegen verschiedener Wirtschaftsdelikte zu einer
Zuchthausstrafe verurteilt. Im "Tages-Anzeiger" vom 23. Januar 1974
berichtete der Journalist Alfred Messerli unter dem Titel "Hat Fritz
Maurer Schmiergelder bezahlt?" über die am Vortag durchgeführte
Gerichtsverhandlung. In seinem Bericht erweckte er den Eindruck,
Fritz Maurer sei an einer Schmiergeldaffäre beteiligt gewesen, was in
Wirklichkeit nicht zutraf.

    Am 16. April 1975 erhob Fritz Maurer gegen Alfred Messerli Klage mit
den Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass der Zeitungsartikel den
Kläger in seinen persönlichen Verhältnissen unbefugterweise verletzt habe,
der Beklagte habe dem Kläger eine Schadenersatz- und Genugtuungssumme
von Fr. 4'000.-- zu bezahlen und das Urteil sei im "Tages-Anzeiger"
zu veröffentlichen. Das Bezirksgericht Zürich und auf Berufung hin das
Obergericht des Kantons Zürich hiessen das Feststellungsbegehren gut,
wiesen jedoch die Klage im übrigen ab.

    In seiner Berufung ans Bundesgericht hält Fritz Maurer am Antrag auf
Urteilspublikation fest. Das Bundesgericht heisst die Berufung in diesem
Punkt gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der letzte noch offene Streitpunkt betrifft die Frage der
Urteilspublikation. Die Vorinstanz hat eine solche mit der Begründung
abgelehnt, dass der Inhalt des eingeklagten Artikels heute, nach
mehr als drei Jahren, nicht mehr nachwirke und die Verletzung in
den persönlichen Verhältnissen somit nicht mehr andauere. Dem Kläger
fehle unter den gegebenen Umständen ein schutzwürdiges Interesse an der
Veröffentlichung einer Berichtigung; es dränge sich sogar der Verdacht
auf, dass es ihm mehr um die Demütigung des Beklagten als um die Wahrung
seiner eigenen Interessen zu tun sei. Der Kläger hält demgegenüber an
der Auffassung fest, dass der ihm zustehende Beseitigungsanspruch den
Anspruch auf Urteilsveröffentlichung mitumfasse, währenddem der Beklagte
die gegenteilige Meinung vertritt.

    a) Die neuere bundesgerichtliche Rechtsprechung betrachtet
die Urteilsveröffentlichung bei Persönlichkeitsverletzungen durch
Presseäusserungen in Anlehnung an das Schrifttum sowie die Praxis im
Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht nicht mehr als eine besondere Art
der Genugtuung, sondern als Mittel zur Beseitigung des Störungszustandes,
der durch die verletzende Publikation geschaffen wurde (BGE 95 II 499
f. E. 10 mit Hinweisen; 100 II 180 E. 6. Der Anspruch des Klägers
auf die Veröffentlichung einer Berichtigung hängt daher in keiner
Weise davon ab, ob den Beklagten ein Verschulden treffe und ob die
durch die Presseäusserungen verursachte Persönlichkeitsverletzung für
den Kläger besonders schwer wiege. Massgebend ist vielmehr, ob die
Urteilsveröffentlichung als geeignetes Mittel betrachtet werden kann,
um die Folgen der Persönlichkeitsverletzung zu beseitigen. Unter diesem
Gesichtspunkt ist zu prüfen, ob der Kläger ein ausreichendes Interesse
an der von ihm verlangten Publikation besitze.

    Nach der Meinung von P. JÄGGI ist der Richter von Bundesrechts wegen
zwar befugt, mangels besonderer Gesetzesvorschrift aber nicht verpflichtet,
einem Antrag auf Urteilsveröffentlichung stattzugeben (ZSR 79/1960,
II. Halbband, S. 252a). Auch JÄGGI geht indessen davon aus, eine in der
Öffentlichkeit begangene Ehrverletzung erfordere zur Beseitigung der
Verletzungswirkungen grundsätzlich einen öffentlichen Widerruf (aaO, S.
253a). Er erblickt aber in der Urteilsveröffentlichung lediglich eine
besondere Form der Vollstreckung dieser Widerrufspflicht. Der Verletzte
hat nach seiner Auffassung keinen bundesrechtlichen Rechtsanspruch auf eine
solche Vollstreckung (aaO, S. 251a und 252a). Diese Betrachtungsweise wird
dem Wesen der Urteilsveröffentlichung nicht völlig gerecht. Bei dieser
handelt es sich nicht bloss um eine Vollstreckungsmassnahme. Wo nämlich
eine unrichtige Vorstellung oder - wie KUMMER sich ausdrückt - ein falsches
Gedankenbild bei einer unbekannten Zahl von Dritten nur durch Publikation
einer Berichtigung in der Presse - wenigstens annäherungsweise - beseitigt
werden kann, muss der bundesrechtlich gewährleistete Beseitigungsanspruch
vernünftigerweise auch den Anspruch auf Urteilspublikation mitumfassen
(KUMMER, Der zivilprozessrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechtes, ZBJV
103/1967, S. 106; MERZ, Der zivilrechtliche Schutz der Persönlichkeit gegen
Ehrverletzungen und verwandte Beeinträchtigungen durch die Druckerpresse,
SJZ 67/1971, S. 90). Diese der Sachlage besser entsprechende Auffassung
liegt bereits den Urteilen des Bundesgerichts in Sachen Club Méditerranée
S.A. gegen Tages-Anzeiger AG vom 21. März 1969 und in Sachen Siegenthaler
gegen della Valle vom 11. Juli 1974 (BGE 95 II 499 E. 10; 100 II 180 E. 6)
zugrunde. An ihr ist auch im vorliegenden Fall festzuhalten.

    b) Im angefochtenen Entscheid wird das Interesse des Klägers an der
Urteilspublikation verneint, weil der Inhalt des eingeklagten Artikels
heute nicht mehr nachwirke und der Störungszustand somit nicht mehr
fortdauere. Diese Auffassung wird damit begründet, dass bereits einmal
eine Berichtigung erschienen sei, und dass die Persönlichkeitsverletzung
nicht einziger Gegenstand eines Artikels gebildet habe, sondern in einem
umfassenden Prozessbericht enthalten gewesen sei, in dem die strafbaren
Handlungen des Klägers zusammenfassend gewürdigt worden seien. Ein
solcher Bericht sei in unserer raschlebigen Zeit bald vergessen, zumal
da seit dessen Erscheinen mehr als drei Jahre verflossen seien. Sofern
sich ein Leser aber heute noch daran erinnere, werde er sein negatives
Werturteil über den Kläger auf die Gesamtheit von dessen Straftaten
stützen, ohne sich von den eingeklagten Äusserungen stark beeinflussen
zu lassen. Eine Urteilspublikation hätte zudem nur den Erfolg, den Leser
an den Strafprozess und die vom Kläger wirklich begangenen Straftaten zu
erinnern, was für den Kläger schädlich wäre.

    Ob eine Urteilspublikation dem Kläger mehr schaden als nützen könnte,
ist in erster Linie von diesem selbst zu entscheiden. Die Veröffentlichung
kann im übrigen auf den zu berichtigenden Vorwurf beschränkt werden, so
dass der Leser nicht unbedingt an die vom Kläger tatsächlich begangenen
Straftaten erinnert zu werden braucht. Denjenigen Lesern aber, die noch
eine Erinnerung daran besitzen, kann mittels der Urteilspublikation
zur Kenntnis gebracht werden, dass wenigstens der Vorwurf der
Schmiergeldzahlung auf den Kläger nicht zutraf. Dem Kläger darf das
Interesse an einer solchen Berichtigung des durch den Artikel verursachten
falschen Gedankenbildes nicht bloss deshalb abgesprochen werden, weil das
negative Werturteil über ihn dennoch bestehen bleibt. Im Unterschied zur
Genugtuung, für die es auf die Schwere der Verletzung und damit auf das
Vorhandensein eines guten Rufes ankommt, setzt der Beseitigungsanspruch nur
voraus, dass durch die widerrechtliche Äusserung eine falsche Vorstellung
hervorgerufen wurde, die berichtigt werden kann. Dass die Verletzung schon
lange zurückliegt und mit der Zeit an Bedeutung verloren hat, genügt nicht,
um den Beseitungsanspruch gegenstandslos werden zu lassen (JÄGGI, aaO,
S. 249a; MERZ, aaO, S. 90; BGE 95 II 496 ff. E. 9). Der Kläger hat daher
ungeachtet des Zeitablaufs Anspruch darauf, vom ungerechtfertigten Vorwurf
der Schmiergeldzahlung entlastet zu werden, selbst wenn sich nur noch
vereinzelte Leser daran erinnern können. Der Einfluss der Berichterstattung
über einen viel beachteten Strafprozess darf im übrigen nicht unterschätzt
werden. Viele Straftäter fürchten die Auswirkungen der Zeitungsberichte
über ihren Strafprozess mehr als das Urteil selber. Das Interesse an der
öffentlichen Richtigstellung falscher Darstellungen darf ihnen deshalb
auch dann nicht abgesprochen werden, wenn das Erscheinen des Berichts
schon lange zurückliegt und sich der unzutreffende Eindruck nur auf eine
Einzelheit bezieht, die am Gesamtgewicht der beurteilten Verfehlungen
nicht viel zu ändern vermag. Es kann nie ausgeschlossen werden, dass
sich ein durch die Presse verbreiteter unberechtigter Vorwurf erst
viel später einmal negativ auswirkt. Das aus dem Persönlichkeitsrecht
fliessende Interesse des strafrechtlich Verurteilten an der öffentlichen
Richtigstellung nicht wahrheitsgemässer Zeitungsberichte verdient auch
nach Jahren den Vorrang gegenüber dem Interesse des Berichterstatters,
dass eine öffentliche Richtigstellung der falschen Darstellung unterbleibe.

    Ein genügendes Interesse des Klägers an der Urteilsveröffentlichung
müsste hingegen wohl dann verneint werden, wenn der Beklagte im
"Tages-Anzeiger" bereits von sich aus einen Widerruf publiziert hätte. Die
Vorinstanz hat eine solche Berichtigung darin erblickt, dass der Beklagte
in der Ausgabe dieser Zeitung vom Samstag, dem 26. Januar 1974, also
drei Tage nach dem Erscheinen des eingeklagten Artikels, am Schluss eines
Berichts über das obergerichtliche Urteil folgendes schrieb:

    "Fritz Maurer legt im übrigen Wert auf die Feststellung, dass nicht
   er, sondern ein Geschäftspartner von ihm eine fünfstellige Summe im

    Zusammenhang mit der Freigabe von Land in Adliswil bezahlt habe
   (vgl. TA vom Mittwoch: "Hat Fritz Maurer Schmiergelder bezahlt?")."

    Mit der Veröffentlichung dieser Gegendarstellung wurde jedoch der durch
die Berichterstattung erweckte falsche Eindruck nicht völlig beseitigt. Vor
allem blieb vollständig offen, wie es sich mit dem Wahrheitsgehalt dieser
Bestreitung des Klägers verhalte. Auf Grund des vorliegenden Prozesses
steht nun fest, dass der Kläger mit der Zahlung von Schmiergeldern an
Politiker tatsächlich nichts zu tun hatte. Das Interesse des Klägers an
der Veröffentlichung dieser gerichtlichen Feststellung wird durch die
an sich begrüssenswerte Publikation der seinerzeitigen Gegendarstellung
nicht aufgehoben. Die Überzeugungskraft einer vom Richter angeordneten
Berichtigung ist erheblich grösser als jene einer Gegendarstellung. Die
Urteilsveröffentlichung vermag daher den falschen Eindruck, der durch
die Berichterstattung des Beklagten erweckt wurde, besser zu beseitigen
als die seinerzeit publizierte Bestreitung des Beklagten.