Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IB 68



104 Ib 68

13. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. April 1978
i.S. Glutz AG gegen Eidg. Amt für geistiges Eigentum Regeste

    Alt Art. 24 Abs. 1 lit. a und c PatG. Ist ein Patentanspruch nach
der in der Schweiz bestehenden Übung abgefasst und aufgeteilt worden,
so ist ein teilweiser Verzicht auf den Anspruch auch dadurch möglich,
dass der Patentinhaber Merkmale aus dem kennzeichnenden Teil in den
Oberbegriff versetzt.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Ausführungen darüber, dass die Streitfrage gemäss Art.  142 Abs. 1
lit. b PatG nach dem alten Recht zu beurteilen ist.)

Erwägung 2

    2.- ...

    Die Beschwerdeführerin begründet den Teilverzicht damit, sie habe
anhand in- und ausländischer Patente nachträglich die Einsicht gewonnen,
dass der eingetragene Patentanspruch im Oberbegriff den Stand der Technik
unvollständig wiedergebe und im kennzeichnenden Teil vorweggenommene
Merkmale enthalte. Darauf braucht indes nicht näher eingetreten zu
werden, da im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu befinden ist,
ob die von der Beschwerdeführerin entwickelte Langlaufbindung nach dem
einen oder andern ihrer Ansprüche überhaupt patentfähig sei. Für die
Beurteilung der Frage, ob der teilweise Verzicht zulässig ist, braucht der
Richter bloss zu wissen, dass und inwiefern der neue Patentanspruch vom
ursprünglichen abweicht, dass beide Ansprüche sich aber auf die gleiche
Erfindung beziehen.

    Nach der angefochtenen Verfügung ist darin, dass die Patentinhaberin
in der neuen Fassung den Stand der Technik angeblich in erhöhtem
Masse berücksichtigt hat, keine Einschränkung des Patentanspruches
zu erblicken. Die Beschwerdeführerin hält dem vorweg entgegen, dass
weder das Gesetz (Art. 24, 25 und 27) noch die Verordnung II (Art. 49)
den Begriff der Einschränkung umschreibe und dass ihre Erklärung vom
8. August 1977 die Bedingungen des teilweisen Verzichts auf das Patent
gemäss Art. 24 Abs. 1 lit. c PatG erfülle. Sie macht sodann unter Hinweis
auf die Botschaft zum Gesetz (BBl 1950 I 1020/21), auf BLUM/PEDRAZZINI
(Schweizerisches Patentrecht, 2. Aufl. II S. 81 und 231) sowie auf BGE
100 II 57 und 74 II 110 geltend, dass das Amt das Gesetz willkürlich
auslege und dass insbesondere eine Einschränkung des Patentanspruches
durch Einengung des Oberbegriffs möglich sei. Die Beschwerdeführerin
äussert sich schliesslich zu der vom Amt selber empfohlenen Aufteilung des
Patentanspruchs in Oberbegriff und kennzeichnenden Teil, um daraus unter
Berufung auf BGE 83 II 224 und 69 II 322 zu folgern, dass die Aufteilung
rechtserheblich sei, sie sich daran gehalten habe und dass die mit einem
Teilverzicht versehene Neufassung des Patentanspruchs Dritten ihre Absicht
offenbare, der Aufteilung die übliche Bedeutung zukommen zu lassen.

    Das Amt beharrt in der Vernehmlassung auf seinem Standpunkt; es
hält namentlich daran fest, dass die Beschwerdeführerin lediglich einige
kennzeichnende Merkmale in den Oberbegriff versetzt habe, worin weder eine
Einschränkung noch ein teilweiser Verzicht auf das Patent zu erblicken sei.

Erwägung 3

    3.- In dem von beiden Parteien angerufenen Entscheid 83 II 225/6
führte das Bundesgericht u.a. aus, der sachliche Geltungsbereich
des Patentes bestimme sich nach dem vom Patentbewerber aufgestellten
Patentanspruch, welcher der Umschreibung (Definition) der Erfindung
diene. Wenn der Anspruch nach den Grundsätzen der Logik abgefasst werde,
besage er daher, durch welche Merkmale die Erfindung sich vom Begriff
der nächsthöheren Gattung unterscheide. In der Schweiz sei es denn auch
üblich, den Patentanspruch aus einem Oberbegriff und einem sogenannten
kennzeichnenden Teil zusammenzusetzen, weshalb in der Regel anzunehmen
sei, im Oberbegriff werde gesagt, welcher Gattung die Erfindung angehöre,
im kennzeichnenden Teil dagegen, durch welche Merkmale sie sich innerhalb
dieser Gattung von anderen Begriffen unterscheide. Das Wesen der Erfindung
komme also gewöhnlich erst in jenem Teil zum Ausdruck, welcher der Wendung
"dadurch gekennzeichnet" folge, während der vorausgehende Oberbegriff
sich lediglich mit schon Bekanntem, nicht zur Erfindung Gehörendem befasse.

    Diese Erwägungen schliessen nicht aus, dass es sich auch anders
verhalten, das Wesen der Erfindung allenfalls schon dem Oberbegriff
entnommen werden kann, wie das Bundesgericht im gleichen Entscheid
(S. 226 ff.) gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben ausgeführt
hat. Das heisst entgegen der Schlussfolgerung des Amtes jedoch nicht,
dass für die Ermittlung und Würdigung des Erfindungsgedankens selbst im
Regelfall auf den ganzen Patentanspruch abzustellen sei.

    Wird die Erklärung der Beschwerdeführerin vom 8. August 1977
auf den in BGE 83 II 226 erwähnten Regelfall bezogen, so kommt sie
praktisch einem Teilverzicht gemäss Art. 24 Abs. 1 lit. a PatG gleich,
da die Patentinhaberin vier Merkmale aus dem kennzeichnenden Teil in
den Oberbegriff übertragen hat, also ihren Anspruch insoweit aufgehoben
wissen will. Zu einem solchen Teilverzicht erklärte das Bundesgericht
im Entscheid 86 II 106, er bestehe darin, dass ein Patentanspruch oder
Unteranspruch aufgehoben, also fallen gelassen werde; das habe zur
Folge, dass für die in ihm genannten Merkmale kein Erfindungsschutz mehr
beansprucht werde. Hinsichtlich dieser Merkmale werde mit der Aufhebung des
Anspruchs anerkannt, dass sie keinen erfinderischen Charakter aufwiesen,
vorbekannt seien und somit zum Stand der Technik im Zeitpunkt der Anmeldung
gehörten. Im gleichen Sinne äussert sich TROLLER (Immaterialgüterrecht,
2. Aufl. II S. 885). Nach seiner Auffassung ist der aus dem Schutzbereich
herausgenommene Patentanspruch in den Oberbegriff aufzunehmen; obschon
auch dieser Begriff ausnahmsweise zur Bestimmung des Schutzumfanges
herbeigezogen werden dürfe, werde dadurch klar gemacht, dass der Anspruch,
auf den verzichtet wurde, zum freien Stand der Technik gehöre. Gerade
das hat die Beschwerdeführerin mit gewissen kennzeichnenden Merkmalen
innerhalb ihres einzigen Patentanspruchs getan. Sie will den Anspruch
sorgfältig in der üblichen Art und Weise aufgeteilt haben und ihre
Willensäusserung selber als Teilverzicht ausgelegt wissen. Sie erklärt
ferner, durch die Aufnahme einzelner Merkmale in den Oberbegriff werde
diesen das Neue und Erfinderische aberkannt und das Wesen der Erfindung
auf die im kennzeichnenden Teil verbleibenden Merkmale beschränkt.

    Es ist nicht zu ersehen, weshalb ein solches Vorgehen, das jenem
nach Art. 24 Abs. 1 lit. a PatG gleicht, nicht als Einschränkung "auf
anderm Wege" gemäss lit. c sollte gelten können, wenn es bloss um einen
einzigen Patentanspruch geht. Wird das anerkannt, so sind entgegen
den Einwänden des Amtes auch die weiteren Bedingungen der in lit. c
enthaltenen Vorschrift erfüllt. Der neue Patentanspruch bezieht sich auf
die gleiche Erfindung und definiert eine Ausführungsart, welche sowohl in
der veröffentlichten Patentschrift wie in der am Anmeldedatum vorgelegten
Beschreibung vorgesehen ist. Das Vorgehen der Beschwerdeführerin steht
zudem im Einklang mit dem in der Botschaft (aaO S. 1020) umschriebenen
Grundgedanken des Gesetzes, wonach gegebenenfalls dem Interesse des
Patentinhabers, eine Nichtigkeitsklage zu vermeiden, entgegenzukommen
und ihm ein Teilverzicht zu ermöglichen ist (BGE 95 II 371 E. e).

Erwägung 4

    4.- Die Auffassung des Amtes vermag selbst bei anderer Betrachtung
nicht zu überzeugen. Die von beiden Parteien angerufene Botschaft räumt
zunächst auch in Fällen, in denen der Patentinhaber sich mit einem Anspruch
mit oder ohne Unteransprüche begnügt, ein Interesse des Inhabers daran ein,
durch zweckmässige Einschränkungen einer Nichtigkeitsklage vorzubeugen.
Sie fährt dann fort, durch Art. 24 Abs. 1 lit. c PatG werde die Möglichkeit
geschaffen, den Patentanspruch mit Merkmalen aus der Beschreibung zu
ergänzen; je mehr Merkmale in den Anspruch aufgenommen würden, desto
enger werde der Geltungsbereich des Patentes (aaO S. 1021).

    Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass Teilverzichte zumeist
in dieser Weise vorgenommen werden. Weder aus der angeführten Stelle
der Botschaft noch aus Art. 12 Abs. 1 PatV II, auf den das Amt sich
beruft, folgt indes, dass der Patentanspruch "auf anderem Wege" nur
durch Einfügen von Merkmalen aus der Beschreibung eingeschränkt werden
dürfe. Das lässt sich umsoweniger sagen, als Art. 24 Abs. 1 lit. c PatG
dazu keine näheren Angaben enthält, sein Wortlaut einer Auslegung nach
dem Sinn und Zweck der Bestimmung also nicht entgegensteht (vgl. BGE 100
II 57 E. 2). Eine Vermehrung der Merkmale bedeutet zudem nicht notwendig
eine Verengung des Patentbereiches, sondern kann diesen mitunter erweitern;
sodann kann der Patentanspruch auch dadurch eingeschränkt werden, dass der
Oberbegriff eingeengt wird (BLUM/PEDRAZZINI, aaO S. 81 und 231). Das Amt
anerkennt dies ebenfalls, meint aber, eine Einschränkung des Anspruches
durch Einengung des Oberbegriffs sei nur unter der selbstverständlichen
Voraussetzung anzunehmen, dass nicht gleichzeitig die Kennzeichnung
entsprechend erweitert, die Einengung dadurch wieder aufgehoben und der
beabsichtigte Teilverzicht hinfällig werde; genau das sei hier geschehen,
da die Beschwerdeführerin lediglich die Mehrzahl der kennzeichnenden
Merkmale in den Oberbegriff verschoben habe.

    Dieser Einwand geht zumindest für den Fall fehl, dass der
Patentanspruch nach den Grundsätzen der Logik abgefasst und gemäss der in
der Schweiz bestehenden Übung aufgeteilt wird. Das ist aber der Regelfall,
von dem nach bereits Gesagtem auszugehen ist. Diesfalls verlieren die in
den Oberbegriff verwiesenen Merkmale ihren erfinderischen Charakter und
werden zu zusätzlichen Elementen der Gattungsbeschreibung, wodurch der
Patentanspruch eingeschränkt wird. Die streitige Teilverzichtserklärung
der Beschwerdeführerin muss nach ihrem Sinn und Wortlaut gleich ausgelegt,
und kann auch vom unbefangenen Dritten nach Treu und Glauben nicht anders
verstanden werden.