Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IB 301



104 Ib 301

48. Auszug aus dem Urteil vom 12. Juli 1978 i.S. Sigg gegen Regierungsrat
des Kantons Zürich Regeste

    Gewässerschutz; Abbruchbefehl.

    Ist die Rechtmässigkeit einer Baute im Hinblick auf einen Abbruchbefehl
zu prüfen, findet grundsätzlich nicht das zur Zeit der Entscheidung
gültige Recht Anwendung, sondern dasjenige, das während des Baus oder
Umbaus in Kraft war; Ausnahmen von dieser Regel.

Sachverhalt

    A.- Reinhard Sigg ist seit 1969 Eigentümer eines mit einer Scheune
bebauten Grundstücks, das ausserhalb der Bauzone und des generellen
Kanalisationsprojektes (GKP) der Gemeinde Wald liegt. Nach Erwerb der
Liegenschaft begann er das Innere der Scheune in ein Ferienhaus umzubauen,
ohne dass er dafür eine Bewilligung einholte. Die Baukommission Wald
machte ihn am 7. Juli 1969 darauf aufmerksam, dass Projektpläne und ein
Baugesuch eingereicht werden müssten, sofern innerhalb der Scheune eine
Zweckänderung herbeigeführt werde. Sigg reichte darauf zwei Projektpläne
ein; die Baukommission retournierte sie mit Zuschrift vom 27. Oktober 1969
und verlangte weitere Unterlagen sowie die Einreichung eines förmlichen
Baugesuches und wies darauf hin, dass vor der Erteilung der Baubewilligung
nicht weiter gebaut werden dürfe. Nach Eingang des Baugesuches verlangte
die Baukommission am 24. November 1969 zusätzliche Unterlagen, vor
allem über die Abwasserbeseitigung. Da diese nicht eingingen, verfügte
die Baukommission am 1. Juni 1970 die Baueinstellung, nachdem am 30.
Mai eine Baukontrolle durchgeführt worden war; bei der Kontrolle wurde
festgestellt, dass die Scheune vollständig ausgebaut war. Der Gemeinderat
Wald verzeigte darauf Sigg beim Statthalteramt Hinwil, das Sigg mit
Fr. 400.- büsste. Am 10. August 1970 wies der Gemeinderat das Begehren
um eine Baubewilligung ab und verfügte, die ohne Bewilligung erstellten
Bauteile seien innert Jahresfrist abzutragen, sofern das Gebäude nicht
auf den Strassenabstand vom 5 m gemäss § 32 des Gesetzes betreffend das
Strassenwesen vom 20. August 1893 zurückversetzt werde.

    Sigg rekurrierte gegen diesen Beschluss mit Eingabe vom 4. September
1970 an den Bezirksrat Hinwil und verlangte Erteilung der Baubewilligung
für den bereits annähernd fertig erstellten Innenausbau. Der Bezirksrat
versuchte zuerst, eine gütliche Lösung zu finden. Als das nicht gelang,
wies er den Rekurs schliesslich am 29. April 1976 ab und ordnete
die Beseitigung aller zum Wohnen dienenden, bzw. die Räumlichkeiten
wohnlich machenden Einrichtungen und Bauten an. Der Gemeinderat Wald
wurde ferner angewiesen, dem Rekurrenten eine angemessene Frist für die
Beseitigung anzusetzen. Sigg gelangte darauf an den Regierungsrat des
Kantons Zürich und suchte erneut um die Erteilung der Baubewilligung
nach. Der Regierungsrat wies den Rekurs am 11. Mai 1977 gestützt auf das
Gewässerschutzgesetz vom 8. Oktober 1971 ab, bestätigte die Entscheide
des Bezirksrates und des Gemeinderates von Wald und befahl Sigg im
wesentlichen, innert zwei Monaten nach Eintritt der Rechtskraft des
Beschlusses alle zum Wohnen dienenden, bzw. die Räumlichkeiten wohnlich
machenden Bauteile zu entfernen.

    Reinhard Sigg legte beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
Beschwerde gegen den Regierungsratsbeschluss ein. Mit Beschluss vom
19. August 1977 trat dieses auf die Beschwerde nicht ein, weil der
angefochtene Beschluss allein gestützt auf öffentliches Recht des Bundes
ergangen sei. Gleichzeitig überwies es in Anwendung von Art. 107 Abs. 2
OG die Beschwerde dem Bundesgericht. In seiner Beschwerde beantragt
Sigg im wesentlichen, der Beschluss des Regierungsrates sei aufzuheben,
und es sei nachträglich der bereits zu Ende geführte Innenausbau der
Scheune zu bewilligen. Im übrigen ist er der Ansicht, der angefochtene
Entscheid verstosse gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, denn
der gesetzmässige Zustand könne auch ohne den Abbruch der neu erstellten
Bauteile herbeigeführt werden.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- (Das Bundesgericht führt aus, der Regierungsrat habe die
nachträgliche Baubewilligung zu Recht nicht erteilt. Es erachtet die
Beschwerde als unbegründet, soweit sie sich gegen diesen Teil des
angefochtenen Entscheides richtet.)

Erwägung 5

    5.- a) Der Beschluss des Regierungsrates weist den Beschwerdeführer im
übrigen an, den ursprünglichen Zustand der Scheune, mit einer Ausnahme,
wiederherzustellen und dementsprechend die neugeschaffenen Bauteile
zu beseitigen. Die Beschwerde richtet sich zur Hauptsache gegen diese
Anordnung, hat sie doch zur Folge, dass der grösste Teil der Aufwendungen
für den Umbau verloren geht.

    b) Kann eine Baute oder ein Umbau nach den Bestimmungen der
Gewässerschutzgesetzgebung nicht bewilligt werden, weil sie materiell
gesetzwidrig ist, hat das noch nicht zur Folge, dass sie abgebrochen oder
im Falle eines Umbaus der frühere Zustand wiederhergestellt werden muss. Es
sind dabei vielmehr die allgemeinen verfassungs- und verwaltungsrechtlichen
Prinzipien des Bundesrechts zu berücksichtigen. Zu ihnen gehören die
Grundsätze der Verhältnismässigkeit und des Schutzes des guten Glaubens
(BGE 102 Ib 67). So kann der Abbruch unterbleiben, wenn die Abweichung
vom Erlaubten nur unbedeutend ist oder der Abbruch nicht im öffentlichen
Interesse liegt, ebenso wenn der Bauherr in gutem Glauben angenommen
hat, er sei zur Bauausführung ermächtigt, und der Beibehaltung des
ungesetzlichen Zustandes nicht schwerwiegende öffentliche Interessen
entgegenstehen.

    c) Der Umbau, den der Beschwerdeführer ohne Bewilligung vorgenommen
hat, stellt nach dem GSchG 1971 nicht eine bloss unbedeutende Abweichung
vom Erlaubten dar, sondern ist nach diesem Recht ausgesprochen
gesetzwidrig. Ist die materielle Rechtmässigkeit einer Baute jedoch im
Hinblick auf einen Abbruchbefehl zu prüfen, findet nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts nicht das zur Zeit der Entscheidung gültige Recht
Anwendung, sondern dasjenige, das während des Baus oder Umbaus in
Kraft war. Auf das in der Zwischenzeit geänderte Recht ist nur dann
abzustellen, wenn dieses für den Eigentümer der Baute günstiger ist
(BGE 102 Ib 69 E. 4, Urteil vom 26. März 1975 in Sachen Ganz, ZBl
76, S. 518 E. 5a; im gleichen Sinne IMBODEN/RHINOW, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, 5. Auflage, Bd. I, Nr. 16, III c; ZIMMERLI,
Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im öffentlichen Recht, ZSR 97 II,
S. 105; ebenso das deutsche Bundesverwaltungsgericht, BVerwGE 19, S. 162
und 3, S. 353 f.; a.M. ZIMMERLIN, ZSR 88 I, S. 447 Ziff. 3; SCHEERBARTH,
Das allgemeine Bauordnungsrecht, 2. Aufl., S. 434).

    Für die gegenteilige Auffassung, wonach die Frage der materiellen
Rechtmässigkeit einer ohne Bewilligung erstellten Baute immer aufgrund
des zur Zeit der Entscheidung gültigen Rechts zu beurteilen sei, wurde
unter anderem vorgebracht, ein Bauherr, der keine Bewilligung einhole,
aber nach altem Recht materiell rechtmässig baue, dürfe bei einer bald
darauf erfolgenden Rechtsänderung nicht besser gestellt werden, als ein
Bauherr, der um eine Bewilligung nachsuche, sie aber vor Inkrafttreten
des neuen, strengeren Rechts nicht mehr erhalte.

    Für die Beibehaltung der bisherigen Praxis spricht jedoch das Argument,
dass es mit dem Gebot der Verhältnismässigkeit kaum vereinbar wäre, wenn
aufgrund eines nachträglich verschärften Rechts eine Baute abgebrochen
werden müsste, die zur Zeit, als sie erstellt wurde, zwar nicht bewilligt
war, aber materiell den Bauvorschriften entsprach. Darum ist an der
bisherigen Rechtsprechung grundsätzlich festzuhalten. Eine Ausnahme ist
aber vorzusehen für den Fall, dass der Bauherr die Bewilligung nicht
einholt, weil er weiss, dass vor der Erteilung der Bewilligung neues
strengeres Recht in Kraft stehen wird. Ein solches Verhalten wäre in
hohem Masse missbräuchlich und könnte keinen Rechtsschutz verdienen; es zu
billigen, würde zu einer rechtsungleichen Behandlung aller Gesuchsteller
führen, die den gesetzlich vorgeschriebenen Weg eingehalten haben.

    Die letztere Einschränkung ist im zu beurteilenden Zusammenhang
bedeutungslos. Es kann nicht angenommen werden, der Beschwerdeführer
habe, als er 1969 mit dem Umbau begann, bereits von der wesentlichen
Einschränkung, die das revidierte GSchG für das Bauen und Umbauen
ausserhalb des Baugebietes, bzw. des GKP brachte, Kenntnis gehabt hat,
und er habe im Hinblick darauf absichtlich das Baugesuch nicht rechtzeitig
gestellt.

    d) Es ist somit zu prüfen, ob der Umbau des Beschwerdeführers nach
den Bestimmungen des Gewässerschutzgesetzes vom 16. März 1955 (AS 1956,
S. 1533) materiell unzulässig war. Dabei ist davon auszugehen, dass der
Umbau bis Ende Mai 1970 praktisch zu Ende geführt war.

    Anders als Art. 19 und 20 GSchG 1971 verfolgte das GSchG 1955
keine raumplanerischen Ziele. Es verpflichtete die vollziehenden
Behörden allgemein, im einzelnen Fall das zum Schutze der Gewässer
gegen Verunreinigung Erforderliche anzuordnen. Sie hatten sowohl
künftige Verunreinigungen zu verhindern als auch bestehende Missstände
zu beseitigen (BGE 90 I 200 E. 5). Auf die kantonalen und kommunalen
Bauplanungen nahm es unmittelbar keinen Einfluss. Eine Baubewilligung
ausserhalb der Bauzonen oder des generellen Kanalisationsprojektes
konnte in Anwendung von Bundesrecht nur verweigert werden, wenn eine
gesetzmässige Abwasserbeseitigung nicht möglich war (BGE 94 I 495 E. 4,
96 I 761 E. 3). Eine Art. 20 des geltenden GSchG entsprechende Beschränkung
der Baufreiheit konnte nur durch kantonales Recht eingeführt werden.

    e) Der Regierungsrat hat die Beschwerde gegen den Abbruchbefehl
einzig gestützt auf die Bestimmungen von Art. 20 GSchG und Art. 27
AGSchV abgewiesen. Er hat deshalb Bundesrecht verletzt, indem er den
Abbruchbefehl auf bundesrechtliche Bestimmungen gestützt hat, die im
konkreten Fall nicht anzuwenden sind. Die Beschwerde ist, soweit sie sich
gegen den Abbruchbefehl richtet, grundsätzlich gutzuheissen. Das bedeutet
aber nicht, dass der Abbruch überhaupt nicht angeordnet werden könnte. Er
ist zulässig, sofern keine befriedigende Regelung der Abwasserbeseitigung
gefunden werden kann, denn dann hätte auch nach altem Recht die Bewilligung
verweigert werden müssen. Die Lösung der Abwasserfrage muss aber, soweit
sie nicht schon erfolgt ist, nunmehr nach den Vorschriften des GSchG 1971
und die gestützt darauf ergangenen Verordnungen getroffen werden. Es wäre
nicht angängig, eine Abwasserbeseitigung zu gestatten, die den geltenden
Vorschriften nicht genügt.

    Es kann beigefügt werden, dass die Beseitigung des Umbaus auch
angeordnet werden könnte, wenn dieser in Verletzung von materiellen
Vorschriften des kantonalen oder kommunalen Baurechts erfolgt ist, wie
der Gemeinderat Wald und der Bezirksrat Hinwil seinerzeit angenommen
haben. Zu dieser Frage hat das Bundesgericht im vorliegenden Verfahren
jedoch nicht Stellung zu nehmen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen teilweise gutgeheissen
und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im
übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.