Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IB 239



104 Ib 239

38. Auszug aus dem Urteil vom 19. Mai 1978 i.S. Baumann gegen
Eidgenössisches Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) Regeste

    Beanstandung des Inhalts einer Radiosendung - Programmbeschwerde.

    - Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen
Entscheid des EVED, das ein gegen den Bescheid des Generaldirektors der
SRG eingelegtes Rechtsmittel als Aufsichtsbeschwerde behandelt.

    - Begriff der anfechtbaren Verfügung im Sinne von Art. 97 OG in
Verbindung mit Art. 5 VwVG.

    - Die Anordnung des Programmdienstes der SRG, dass eine bestimmte
Radiosendung zu veranstalten sei, ist keine Verfügung im Sinne von
Art. 5 VwVG.

Sachverhalt

    A.- Am Sonntag, dem 12. September 1976, kurz vor Mittag, las der
Schweizer Schriftsteller Urs Widmer im zweiten Programm des Radios
der deutschen und rätoromanischen Schweiz (DRS) aus seinem Buch
"Schweizer Geschichten" den Abschnitt "Appenzell". Fritz Baumann,
der den Vortrag an seinem Telefonrundspruchapparat hörte, erachtete
ihn als pornographisch. Er führte daher bei der Schweizerischen Radio-
und Fernsehgesellschaft (SRG) Beschwerde wegen Verletzung des Art. 13
der ihr vom Bundesrat am 27. Oktober 1964 erteilten Konzession
(Konzession SRG), wonach die von ihr verbreiteten Programme unter
anderem zur sittlichen Bildung beitragen sollen. Er beantragte der SRG,
dem für die Sendung verantwortlichen Funktionär des Radios eine Rüge zu
erteilen und dafür zu sorgen, dass pornographische Sendungen in Zukunft
unterbleiben. Die Beschwerde wurde gemäss den Richtlinien der SRG für das
Beschwerdewesen in Programmfragen dem Direktor des Radios und Fernsehens
DRS übergeben, der sie abwies. Diesen Entscheid zog Fritz Baumann an den
Generaldirektor der SRG weiter, der den Rekurs ebenfalls abwies. Fritz
Baumann gelangte daraufhin mit Beschwerde an das Eidgenössische Verkehrs-
und Energiewirtschaftsdepartement (EVED). Dieses behandelte die Eingabe als
Aufsichtsbeschwerde gemäss Art. 71 VwVG. Es teilte dem Beschwerdeführer
in einem Brief mit, die vom Departement durchgeführte Untersuchung habe
ergeben, dass die beanstandete Sendung die Konzession SRG nicht verletzt
habe; für die Einzelheiten verwies es auf den dem Schreiben beigelegten
Untersuchungsbericht. Gegen diesen Bescheid erhob Fritz Baumann beim
Bundesgericht Beschwerde, das sie abwies, soweit auf das Rechtsmittel
einzutreten war.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 97 Abs. 1 OG beurteilt das Bundesgericht letztinstanzlich
Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne des
Art. 5 VwVG. Art. 97 Abs. 2 OG bestimmt, dass als Verfügung auch das
unrechtmässige Verweigern oder Verzögern einer Verfügung gilt.

    Gemäss Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten als Verfügungen Anordnungen der
Behörden im Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen
und zum Gegenstand haben:

    "a) Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder

    Pflichten;

    b) Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von

    Rechten oder Pflichten;

    c) Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung
   oder Feststellung von Rechten oder Pflichten, oder Nichteintreten auf
   solche Begehren."

    Aus dieser Umschreibung ergibt sich, dass es sich um Akte
handeln muss, durch die eine Behörde ein individuelles und konkretes
verwaltungsrechtliches Verhältnis in Anwendung des öffentlichen Rechts
des Bundes in verbindlicher Weise regelt. Die Verbindlichkeit für die
Verwaltung und die Betroffenen ist ein Merkmal der Anordnungen, von
denen in Art. 5 Abs. 1 VwVG die Rede ist. Sie ist der Grund dafür,
dass solche Anordnungen gegebenenfalls mit förmlicher Beschwerde -
Verwaltungsbeschwerde (Art. 44 VwVG) oder Verwaltungsgerichtsbeschwerde
(Art. 97 OG) - angefochten werden können. Wären sie nicht verbindlich,
so könnte niemand ein genügendes Interesse an ihrer Anfechtung auf dem
Beschwerdeweg haben (BGE 102 Ib 82 f.).

Erwägung 2

    2.- Das EVED, das nach einem (nicht veröffentlichten) BRB vom
27. Oktober 1953 mit der Aufsicht über die Ausübung der Konzession SRG
durch die Konzessionärin betraut ist, hat gemäss seiner Praxis (VPB
40/1976 Nr. 65) die ihm von Fritz Baumann eingereichte Beschwerde
als Aufsichtsbeschwerde (Anzeige) im Sinne des Art. 71 VwVG
behandelt. Es ist zum Schluss gekommen, dass es keinen Anlass habe,
als Aufsichtsbehörde wegen der vom Anzeiger beanstandeten Radiosendung
gegen die SRG einzuschreiten. Es hat also der als Aufsichtsbeschwerde
aufgefassten Eingabe Baumanns keine Folge gegeben. Eine solche auf
Anzeige hin getroffene Entscheidung einer Aufsichtsbehörde kann nicht
eine beschwerdefähige Verfügung im Sinne des Art. 5 VwVG sein; denn sie
stellt nicht einen Akt dar, durch den ein individuelles und konkretes
verwaltungsrechtliches Verhältnis in verbindlicher Weise geregelt
würde mit der Folge, dass jemand ein ausreichendes Interesse an der
Anfechtung durch förmliche Beschwerde haben könnte. Der Beschluss einer
Aufsichtsbehörde, einer Anzeige nicht Folge zu geben, kann auch nicht
mit Rechtsverweigerungs- oder Rechtsverzögerungsbeschwerde gemäss Art. 70
VwVG oder Art. 97 Abs. 2 OG angefochten werden. Denn es ist von vornherein
ausgeschlossen, dass durch ihn eine Verfügung "unrechtmässig" verweigert
oder verzögert werden kann, da der Anzeiger keinen Anspruch darauf hat,
dass die Aufsichtsbehörde sich mit dem ihr angezeigten Fall befasst
(BGE 102 Ib 85).

    Gibt das EVED einer Aufsichtsbeschwerde gegen die SRG keine Folge,
so ist diese Entscheidung daher nicht mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beim Bundesgericht anfechtbar.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer ist jedoch der Meinung, seine Beschwerde gegen
den Bescheid des Generaldirektors der SRG hätte vom EVED nicht als blosse
Aufsichtsbeschwerde, sondern als förmliche Beschwerde behandelt werden
sollen. Er habe tatsächlich eine eigentliche Beschwerde eingereicht,
doch sei das Departement darauf nicht eingetreten; es habe damit eine
Verfügung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. b und c VwVG getroffen.

    Im Entscheid des Generaldirektors der SRG war der Beschwerdeführer
darauf hingewiesen worden, dass er den Sachverhalt dem EVED
jederzeit durch eine Anzeige gemäss Art. 71 VwVG zur Kenntnis bringen
könne. Demgegenüber hat Fritz Baumann in seiner an das EVED gerichteten
Beschwerde die Auffassung vertreten, dass diese Eingabe als eigentliche
Beschwerde entgegengenommen und beurteilt werden müsse. Das EVED hat
dies abgelehnt; es hat in dem seinem Schreiben vom 21. November 1977 an
den Beschwerdeführer beigelegten Untersuchungsbericht erklärt, dass im
vorliegenden Fall nur die Aufsichtsbeschwerde in Betracht komme. Darin
liegt eine beschwerdefähige Verfügung, denn das Departement hat damit eine
Anordnung in einem Einzelfall getroffen, die sich auf öffentliches Recht
des Bundes (Ordnung des Beschwerdewesens) stützt und eine unter Art. 5
Abs. 1 lit. b oder c VwVG fallende Entscheidung - Feststellungsverfügung
oder Nichteintretensentscheid - zum Gegenstand hat (BGE 98 Ib 57 und
70 f.).

    Gegen diese Verfügung eines Departements des Bundes ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig (Art. 97, 98 lit. b OG);
eine Ausnahmebestimmung der Art. 99 ff. OG steht dem Eintreten nicht
entgegen. Fritz Baumann ist nach Art. 103 lit. a OG berechtigt, gegen
den Entscheid des EVED, der eine förmliche Verwaltungsbeschwerde im
vorliegenden Fall unzulässig erklärt, Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu
erheben (BGE 98 Ib 70 f.).

Erwägung 4

    4.- (Beurteilung formeller Rügen).

Erwägung 5

    5.- Die Entscheidung des EVED, dass die Eingabe Baumanns vom
27. Juli 1977 nicht als förmliche Verwaltungsbeschwerde, sondern
als blosse Aufsichtsbeschwerde entgegenzunehmen sei, könnte nur dann
beanstandet werden, wenn die mit der Eingabe angefochtene Stellungnahme des
Generaldirektors der SRG als Verfügung im Sinne des Art. 5 VwVG anzusehen
wäre (Art. 44 VwVG). Diesen Charakter könnte aber der Bescheid des
Generaldirektors nur haben, sofern auch schon der darin in Schutz genommene
Akt des Programmdienstes der SRG - die Aufnahme der vom Beschwerdeführer
als pornographisch empfundenen Lesung ins Radioprogramm - als Verfügung
nach Art. 5 VwVG zu betrachten wäre.

    a) Die Bestimmungen des VwVG finden Anwendung auf das Verfahren in
Verwaltungssachen, die durch Verfügungen von Bundesverwaltungsbehörden
zu erledigen sind (Art. 1 Abs. 1 VwVG). Als solche Behörden gelten auch
gewisse Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung, soweit sie in
Erfüllung ihnen übertragener öffentlichrechtlicher Aufgaben des Bundes
verfügen (Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG).

    Eine solche Aufgabe hat der Bundesrat der SRG mit der Konzession
vom 27. Oktober 1964 übertragen. Die SRG ist aufgrund der Konzession
berechtigt, Einrichtungen der PTT-Betriebe zur öffentlichen Verbreitung von
Radio- und Fernsehprogrammen zu benützen. Sie ist dazu auch verpflichtet,
wobei sie sich an die in der Konzession umschriebenen Grundsätze zu
halten hat (Art. 1 Konzession SRG). Sie versieht einen öffentlichen
Dienst, der ähnlich wie Post, Telephon und Telegraph jedermann zu
den gleichen Bedingungen zur Verfügung steht (TUASON, Das Recht der
schweizerischen PTT-Betriebe, 2. Aufl. 1959, S. 37; GYGI, Die Grundlagen
der verfassungsrechtlichen Ordnung von Radio und Fernsehen, in Wirtschaft
und Recht 25/1973, S. 17 ff.). Für den Empfang der Sendungen der SRG ist
eine Konzession erforderlich, die von den PTT-Betrieben erteilt wird. Sie
begründet ein öffentlichrechtliches Anstaltsnutzungsverhältnis zwischen
dem Konzessionär und den PTT-Betrieben (TUASON, aaO, S. 65 ff.).

    Die SRG gilt demnach als Behörde im Sinne des Art. 1 Abs. 1 VwVG,
soweit sie in Erfüllung der ihr übertragenen öffentlichrechtlichen Aufgabe
"verfügt" (Art. 1 Abs. 1 lit. e VwVG).

    b) Dass die SRG Verfügungen im Sinne des Art. 5 VwVG treffen
kann, hat das Bundesgericht im Urteil vom 22. November 1978 über eine
Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Genfer politischen Bewegung "Vigilance"
implicite anerkannt (BGE 97 I 731). Die SRG hatte dem Begehren dieser
Bewegung, in Fernsehsendungen über die bevorstehenden Wahlen in den
National- und den Ständerat wie andere politische Parteien auftreten zu
dürfen, nicht entsprochen, und das EVED hatte die hiegegen gerichtete
Beschwerde der Gesuchstellerin abgewiesen. Das Bundesgericht hat den
Beschwerdeentscheid des Departements als Verfügung im Sinne des Art. 5
VwVG betrachtet (BGE 97 I 733 E. 1) und damit mittelbar auch den vom
Departement bestätigten Bescheid der SRG als solche Verfügung qualifiziert.

    Im vorliegenden Fall steht jedoch nicht der Anspruch von Personen oder
Organisationen, selber in Radio- oder Fernsehsendungen zu Gehör zu kommen,
in Frage, noch geht es um die Verletzung allfälliger Persönlichkeitsrechte
von Personen, die durch eine Sendung unmittelbar betroffen werden. Der
Streit geht vielmehr darum, ob eine von der SRG durchgeführte Sendung
den in Art. 13 Konzession SRG umschriebenen Anforderungen an die Qualität
entspreche oder nicht.

    Es fragt sich deshalb, ob die Anordnung des Programmdienstes der SRG,
dass eine bestimmte Sendung zu veranstalten sei, eine Verfügung im Sinne
des Art. 5 VwVG darstelle. Als solche würde sich diese Anordnung an die
Gesamtheit der Inhaber von Konzessionen für Radio- und Fernsehempfang,
wenn nicht gar an die Gesamtheit der potentiellen Hörer oder Zuschauer,
richten, müssen doch die Programme der SRG vor der Sendung in den
Publikationsorganen veröffentlicht werden (Art. 15 Konzession SRG). Nicht
als Adressaten der Verfügung anzusehen wären die mit der Durchführung der
Sendung betrauten Angestellten der SRG und aussenstehende Personen, die in
der Sendung auftreten oder deren Urheberrechte dabei zu berücksichtigen
sind; denn die Beziehungen zwischen der SRG und allen diesen Personen
sind nicht öffentlichrechtlicher, sondern privatrechtlicher Natur.

    Die Hörer oder Zuschauer und insbesondere die Inhaber von
Empfangskonzessionen haben ohne Zweifel ein allgemeines Interesse
daran, dass die SRG sich bei der Gestaltung ihrer Programme an
die Vorschriften hält. In den Programmkommissionen der zur SRG
gehörenden Regionalgesellschaften sollen denn auch "die verschiedenen
Radiohörer- und Fernsehteilnehmerschichten" vertreten sein (Art. 8
Konzession SRG). Es ist indes schon fraglich, ob überhaupt von einem
öffentlichrechtlichen Verhältnis von Rechten und Pflichten zwischen
der SRG einerseits und den Hörern oder Zuschauern oder den Inhabern
von Empfangskonzessionen anderseits die Rede sein kann. Die der SRG
vom Bundesrat erteilte Konzession regelt im wesentlichen die Rechte und
Pflichten der Konzessionärin gegenüber dem Bund, und die Empfangskonzession
begründet ein Anstaltsnutzungsverhältnis zwischen ihrem Inhaber und den
konzedierenden PTT-Betrieben, die aber dem Konzessionär keine Gewähr für
die Qualität der Rundspruch- und Fernsehsendungen bieten (TUASON, aaO,
S. 65 ff.). Jedenfalls wird durch die Veranstaltung einer bestimmten
Radio- oder Fernsehsendung nicht ein verwaltungsrechtliches Verhältnis
zwischen der SRG und den Hörern oder Zuschauern oder den Inhabern einer
Empfangskonzession als solches in verbindlicher Weise geregelt. Mit
einer derartigen Anordnung der SRG werden eigentliche Rechte Privater ihr
als Behörde gegenüber weder begründet noch geändert, auch wird dadurch
nicht das Bestehen oder Nichtbestehen oder der Umfang solcher Rechte
festgestellt.

Erwägung 6

    6.- Hat demnach die Aufnahme der vom Beschwerdeführer beanstandeten
Lesung in das Radioprogramm nicht den Charakter einer Verfügung im
Sinne des Art. 5 VwVG, so verstösst die Entscheidung des EVED, dass
die Eingabe des Beschwerdeführers vom 27. Juli 1977 nicht als förmliche
Verwaltungsbeschwerde, sondern als blosse Aufsichtsbeschwerde zu behandeln
sei, nicht gegen das Bundesrecht. In diesem Punkte erweist sich die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde als unbegründet.

    Im übrigen kann auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten
werden, weil dieses Rechtsmittel gegen den Bescheid des Departementes, dass
der Aufsichtsbeschwerde keine Folge zu geben sei, wie bereits dargelegt,
nicht zulässig ist.