Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IA 61



104 Ia 61

13. Auszug aus dem Urteil vom 15. Februar 1978 i.S. Achermann gegen Staat
Luzern und Obergericht des Kantons Luzern Regeste

    Beurteilung kantonaler Administrativstreitigkeiten durch das
Bundesgericht (Art. 114bis Abs. 4 BV).

    Die für eine Kompetenzzuweisung an das Bundesgericht gemäss
Art. 114bis Abs. 4 BV erforderliche Genehmigung der Bundesversammlung
hat konstitutiven Charakter.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Art. 114bis Abs. 4 BV lautet:

    "Die Kantone sind mit Genehmigung der Bundesversammlung
   befugt, Administrativstreitigkeiten, die in ihren Bereich fallen,
   dem eidgenössischen Verwaltungsgericht zur Beurteilung zuzuweisen."

    § 11 des luzernischen Behördengesetzes vom 17. November 1970 weist
gestützt auf diese Verfassungsvorschrift gewisse Haftpflichtansprüche
gegen den Staat dem Bundesgericht zur Beurteilung zu. Das Gesetz trat am
1. Januar 1971 in Kraft. Die in § 11 vorgesehene Kompetenzzuweisung an
das Bundesgericht wurde jedoch von der Bundesversammlung erst am 14. März
1972 genehmigt (AS 1972 I 649). Das Obergericht nimmt an, dass gestützt
auf § 11 des Behördengesetzes die Zuständigkeit des Bundesgerichtes schon
im Zeitpunkt der Klageeinreichung (4./5. Dezember 1971) gegeben gewesen
sei; es stellte auf den Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Gesetzes ab und
mass der nachträglich erteilten Genehmigung der Bundesversammlung nur
deklaratorische Bedeutung zu.

    Dieser Auffassung ist nicht beizupflichten. Zwar ist richtig, dass die
Bundesgenehmigung kantonaler Erlasse im allgemeinen nur deklaratorische
Wirkung hat (FLEINER/GIACOMETTI, Schweizerisches Bundesstaatsrecht,
S. 133 und 137; BGE 103 Ia 134 E. 3b). Das Bundesrecht kann aber auch
etwas Gegenteiliges bestimmen. Im vorliegenden Fall ist nach Wortlaut
und Sinn von Art. 114bis Abs. 4 BV klar, dass die Zuständigkeit des
Bundesgerichtes zur Beurteilung kantonaler Administrativstreitigkeiten
erst gültig begründet ist, wenn die Bundesversammlung der betreffenden
kantonalen Vorschrift ihre Zustimmung erteilt hat. Der kantonale
Gesetzgeber kann nicht selbständig, ohne Zustimmung eines Bundesorganes,
den Kompetenz- und Aufgabenbereich des Bundesgerichtes erweitern. Die
in Art. 114bis Abs. 4 BV vorbehaltene Genehmigung dient sodann nicht
nur einer Rechts-, sondern auch einer Zweckmässigkeitskontrolle. Die
Kantone haben keinen Anspruch darauf, dass die Genehmigung erteilt wird,
wenn sich die vorgesehene Kompetenzzuweisung im Rahmen des rechtlich
Zulässigen hält. Die Bundesversammlung behält sich vielmehr vor, von
Fall zu Fall zu prüfen, ob für eine Inanspruchnahme der eidgenössischen
Verwaltungsgerichtsbarkeit ein hinreichendes Bedürfnis besteht (BBl 1972
I 525, 1962 I 583; GRISEL, Droit administratif suisse, S. 518). Es steht
ihr auch zu, zu bestimmen, in welchem Verfahren das Bundesgericht die
ihm zugewiesenen kantonalen Administrativstreitigkeiten zu erledigen hat
(Art. 121 OG). Die Genehmigung der Bundesversammlung muss unter diesen
Umständen als konstitutiv angesehen werden (im gleichen Sinne BGE 44 II 311
unten). Aus der vom Obergericht angeführten Literaturstelle (FAVRE, Droit
constitutionnel suisse, 1.A. S. 119 f.) ergibt sich nichts Gegenteiliges;
sie bezieht sich auf die Gewährleistung von Kantonsverfassungen, die
staatsrechtlich einen anderen Charakter hat.