Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IA 336



104 Ia 336

52. Urteil vom 1. November 1978 i.S. Tschannen gegen Fritsche und
Obergericht des Kantons Thurgau Regeste

    Güterzusammenlegung; gesetzliche Grundlage für eine Gewinnbeteiligung
des früheren Eigentümers.

    1. Das Institut der Gewinnbeteiligung ist nicht notwendiger
Wesensbestandteil einer Güterzusammenlegung (E. 4a).

    2. Einschränkende Auslegung einer Kompetenzabtretung vom kantonalen
Gesetzgeber an eine kommunale öffentlichrechtliche Körperschaft (E. 4b
und c).

    3. Die Gewinnbeteiligungspflicht als schwerwiegende
Eigentumsbeschränkung (E. 4d).

Sachverhalt

    A.- § 47 der vom Regierungsrat des Kantons Thurgau am 2. März 1959
genehmigten Statuten der Güter- und Waldzusammenlegungskorporation
Wagenhausen bestimmt im wesentlichen Folgendes:

    "Die Eigentümer des neuen Besitzstandes sind verpflichtet, bei

    Landverkäufen zu Bau- oder Industriezwecken mit Gewinn und innert

    15 Jahren vom Antritt des Neubesitzes an, einen Teil des Vorerlöses dem
   alten Besitzer zurückzuerstatten. Diese Rückzahlung beträgt im 1. Jahr

    75% und reduziert sich für jedes folgende Jahr um 5%.)...
   (Gewinnberechnung).

    Die Parteien regeln die Rückerstattung unter sich ohne Beanspruchung
   der Korporationsorgane."

    In der auf den 1. Januar 1966 in Kraft getretenen Landumlegung wurde
die neue Parzelle Nr. 914 Franz Fritsche zugewiesen. Zuvor hatte dieses
Grundstück teilweise Hans Tschannen gehört. Im August 1974 verkaufte es
Fritsche an einen Dritten. Gestützt auf den angeführten § 47 und auf
eine Gewinnaufrechnung des Grundbuchgeometers klagte darauf Tschannen
gegen Fritsche beim Bezirksgericht Steckborn eine Gewinnbeteiligung von
Fr. 28'498.15 nebst Zins ein. Das Bezirksgericht und auf Berufung hin das
Obergericht des Kantons Thurgau wiesen am 26. Oktober 1976 bzw. 10. Februar
1977 die Klage ab.

    Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt Hans Tschannen die Aufhebung
des Entscheides des Obergerichts. Das Bundesgericht weist die Beschwerde
ab, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- (Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde.)

Erwägung 2

    2.- Das in einem Landumlegungsverfahren dem früheren Eigentümer
einer Parzelle eingeräumte Beteiligungsrecht am Gewinn, den der neue
Eigentümer dieser Parzelle mit ihrer Veräusserung erzielt, stellt eine
öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung dar, die auf gesetzlicher
Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen sowie den Grundsatz der
Rechtsgleichheit und den unmittelbar aus Art. 22ter BV folgenden Anspruch
auf wertgleichen Realersatz wahren muss (BGE 95 I 372 E. 4 und 5). Im
genannten Entscheid stand die gesetzliche Grundlage nicht in Frage, und
das öffentliche Interesse am Gewinnbeteiligungsrecht wurde grundsätzlich
bejaht (aaO 373 E. 6a); hingegen wurde die damalige kantonalbernische
Regelung als mit Art. 4 BV und der Eigentumsgarantie unvereinbar erklärt
(aaO 375 E. 6c und d).

    Im vorliegenden Fall haben beide kantonale Instanzen festgestellt, §
47 der Statuten bilde keine hinreichende gesetzliche Grundlage für das
Gewinnbeteiligungsrecht, da die hiezu erforderliche Ermächtigung durch
den kantonalen Gesetzgeber fehle. Die Auslegung und Anwendung kantonalen
Rechts unterhalb der Verfassungsstufe überprüft das Bundesgericht
auch auf Anrufung der Eigentumsgarantie hin in der Regel nur unter
dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür; geht es jedoch um einen
besonders schweren Eingriff, untersucht es dessen gesetzliche Grundlage
mit freier Kognition (BGE 102 Ia 115 E. 4, mit Verweisungen). Ob das
fragliche Gewinnbeteiligungsrecht einen besonders schweren Eingriff
in das Eigentum darstellt, kann indessen offen bleiben; denn die
staatsrechtliche Beschwerde wurde nicht vom beschwerten Grundeigentümer
erhoben, sondern von einem Dritten, der aus der umstrittenen Regelung
Rechte ableiten will. Die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts ist daher
auf Willkür beschränkt. Überdies macht der Beschwerdeführer selber nur
eine willkürliche Auslegung des massgeblichen kantonalen Rechts geltend
und behauptet nicht, dem Bundesgericht stehe freie Kognition zu.

Erwägung 3

    3.- a) Das Bezirksgericht Steckborn hatte festgestellt, dass weder das
EGzZGB (§§ 34 ff. und 97 ff.) noch das neue Flurgesetz des Kantons Thurgau
von 1958 über das Gewinnbeteiligungsrecht ausdrückliche Bestimmungen
enthalten. Wohl habe der Gesetzgeber die Güterzusammenlegungskorporationen
ermächtigt, alles anzuordnen, was notwendigerweise zum Wesen der
Güterzusammenlegung gehöre, doch erstrecke sich diese Ermächtigung
nicht auch auf das Gewinnbeteiligungsrecht, da dieses Institut zwar von
öffentlichem Interesse sei, aber keine für die Landumlegung unerlässliche
Massnahme darstelle und zudem jüngeren Datums und dem Gesetzgeber der
genannten Bestimmungen unbekannt gewesen sei.

    Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid diese Erwägungen
ausdrücklich übernommen und sich darauf beschränkt, die Einwendungen des
Beschwerdeführers zu widerlegen. Es verwarf den Standpunkt, wonach aus
dem Umstand, dass die Güterzusammenlegungskorporationen mit den Gemeinden
Einiges gemeinsam hätten, im strittigen Punkt Analogieschlüsse gezogen
werden könnten, bestätigte weiter, dass das Institut der Gewinnbeteiligung
kein notwendiger Wesensbestandteil von Güterzusammenlegungen sei, und
schloss aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises in der kantonalen
Gesetzgebung, dass der Gesetzgeber die Korporationen zur Schaffung
eines solchen Institutes nicht ermächtigt habe. Das Obergericht wies
ferner darauf hin, dass das Institut in jenen Kantonen, wo es bestehe,
durch ausdrückliche Gesetzesbestimmungen eingeführt oder zugelassen
worden sei. Zudem spreche für seine Auslegung die Tatsache, dass die
Bundesgesetzgebung dieses Institut nicht einmal erwähne. Schliesslich
fehle auch in den thurgauischen Gesetzesmaterialien jeder Hinweis auf
mögliche Gewinnbeteiligungsvorschriften in den Korporationsstatuten.

    b) Der Beschwerdeführer anerkennt, dass die
Güterzusammenlegungskorporationen im Gegensatz zu den Gemeinden
nicht schon aufgrund der Kantonsverfassung befugt sind, korporative
Rechtssätze zu erlassen, sondern dass sie hiezu einer besonderen
Ermächtigung durch den kantonalen Gesetzgeber bedürfen. Er behauptet
aber, da diese Korporationen nach § 101 EGzZGB allgemein zum Erlass
korporativer Rechtssätze befugt seien, müssten sie es auch hinsichtlich
des Gewinnbeteiligungsrechtes sein. Er wirft dem Obergericht vor, es sei
mit seiner Feststellung, das fragliche Institut sei nicht Gegenstand des
eigentlichen Landumlegungsverfahrens und eine Ermächtigung des Gesetzgebers
fehle, in Willkür verfallen.

Erwägung 4

    4.- a) Das Obergericht hat nicht in Abrede gestellt, dass
das Institut der Gewinnbeteiligung möglicher Bestandteil eines
Güterzusammenlegungsverfahrens ist, sondern lediglich festgestellt,
dieses Institut, das einen finanziellen Ausgleich für nach Abschluss
der Landumlegung eingetretene Entwicklungen schaffen solle, sei nicht
notwendigerweise mit diesem Verfahren verbunden. Diese Feststellung ist
keineswegs willkürlich sondern vielmehr richtig.

    Notwendigerweise mit jedem Landumlegungsverfahren verbunden ist
zweifellos die Pflicht der beteiligten Grundeigentümer, ihren Altbesitz in
das Unternehmen einzuwerfen und das ihnen neu zugeteilte Land als Ersatz
entgegenzunehmen; dasselbe gilt für die Belastung mit einem prozentualen
Abzug für gemeinsame Anlagen. Ohne diese Wesensbestandteile wäre die
Güterzusammenlegung offensichtlich undenkbar. Hingegen kann sie durchaus
ohne Gewinnbeteiligungsrecht auskommen; das zeigt schon die Tatsache, dass
viele Kantone diese zusätzliche Eigentumsbeschränkung nicht kennen, ohne
dass deswegen die Landumlegungen erschwert oder gar verunmöglicht worden
wären. Im angeführten Präjudiz hat das Bundesgericht lediglich erklärt,
das Institut der Gewinnbeteiligung liege - wie die Bodenverbesserungen im
allgemeinen und die Güterzusammenlegung im besonderen - im öffentlichen
Interesse, weil es geeignet sei, die Durchführung der Güterzusammenlegung
zu erleichtern; die Grundeigentümer, die ihren Altbesitz wegen der
erwarteten baulichen Entwicklung für wertvoller hielten als das ihnen
neu zugeteilte Land, fänden sich mit dem Abtausch nämlich eher ab,
wenn ihnen eine Beteiligung an dem bei der späteren Veräusserung ihres
Altbesitzes erzielten Gewinn in Aussicht stehe (BGE 95 I 374). Die Rüge
des Beschwerdeführers erweist sich somit als unbegründet.

    b) Bei Einschränkungen von Freiheitsrechten der Bürger ist die
bundesgerichtliche Rechtsprechung in den Anforderungen, denen die
Delegation rechtssetzender Befugnisse vom kantonalen Gesetzgeber an eine
andere kantonale Behörde - in der Regel die Exekutive - genügen muss,
besonders streng (BGE 103 Ia 375 E. 3a, 102 Ia 64 E. 2, 100 Ia 161 E. 5d,
98 Ia 109 E. 2 und 592; mit weiteren Verweisungen). Es wurde indessen
bisher ausdrücklich offen gelassen, ob die Anforderungen ebenso hoch sind,
wenn der kantonale Gesetzgeber den Gemeindegesetzgeber zur Reglementierung
einer bestimmten Materie ermächtigt und ihm dabei eine relativ erhebliche
Entscheidungsfreiheit einräumt; denn in solchen Fällen liegt nicht
eine eigentliche Delegation sondern vielmehr eine Kompetenzausscheidung
zwischen Kanton und Gemeinden vor. In dieser liegt kein Einbruch in den
Grundsatz der Gewaltentrennung und der Referendumsdemokratie, auf dessen
Wahrung die genannte Rechtsprechung in erster Linie ausgerichtet ist;
die Kompetenzabtretung an den Gemeindegesetzgeber braucht daher sachlich
nicht ebenso eng begrenzt zu sein wie eine Delegation an die kantonale
oder kommunale Exekutive (BGE 102 Ia 10 E. 3b, 97 I 202 und 805).

    Weiter fragt sich, ob eine ähnliche Zurückhaltung hinsichtlich der
Anforderungen angezeigt ist, wenn wie hier Kompetenzen nicht an eine
Gemeinde abgetreten werden, sondern an eine andere öffentlichrechtliche
Körperschaft, die - wie gerade die Güterzusammenlegungskorporation -
Rechtssätze in Form von Statuten erlässt, zu einem ganz bestimmten Zweck
und auf beschränkte Zeit gebildet wird und nicht jene Autonomie geniesst,
die der Gemeinde anerkanntermassen zusteht (vgl. BGE 95 I 45 ff. E. 4
und 5).

    Diese Fragen brauchen hier indessen nicht entschieden zu werden,
da von einer Verletzung der Eigentumsgarantie offensichtlich nicht
die Rede sein kann, wenn eine kantonale Behörde in einschränkender
Auslegung einer allgemeinen Ermächtigung des Gesetzgebers nur jene
Eigentumsbeschränkungen für zulässig erklärt, die zur Erreichung
des Zweckes der Körperschaft unerlässlich sind. Zudem stellen die vom
Bundesgericht über die Zulässigkeit der Gesetzesdelegation entwickelten
Grundsätze bloss Mindestanforderungen dar, welche die Kantone beachten
müssen, aber durchaus erweitern dürfen (BGE 98 Ia 591 lit. b und 91 I 463,
mit Verweisungen). Das Bundesgericht könnte daher nur eingreifen, wenn
die einschränkende Auslegung der Kompetenzabtretung durch die kantonale
Behörde geradezu willkürlich, d.h. schlechthin unhaltbar wäre.

    c) Der Beschwerdeführer bringt vor, § 101 EGzZGB erteile den
Güterzusammenlegungskorporationen eine allgemeine und umfassende
Befugnis zur Ausführung des Unternehmens, inbegriffen die Erledigung
von Streitigkeiten unter den beteiligten Grundeigentümern. Wenn nun
die Argumentation des Obergerichts richtig wäre, wonach jede einzelne
öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung, welche die Körperschaft
anordnen könne, in der Ermächtigung des Gesetzgebers aufgeführt sein müsse,
dann müsse doch hieraus geschlossen werden, dass die Körperschaft gar nicht
in der Lage wäre, ihre Aufgabe zu erfüllen; denn in § 101 EGzZGB werde
keine einzige Eigentumsbeschränkung spezifiziert, was nach Auffassung
des Obergerichts jedoch zwingend wäre. Dessen Argumentation sei darum
völlig unhaltbar.

    Die Rüge des Beschwerdeführers ist unbegründet. Einmal ist es nicht
so, dass im EGzZGB keinerlei Eigentumsbeschränkungen oder sonstige
Verpflichtungen, die ein Landumlegungsverfahren mit sich bringt, erwähnt
würden: § 34 Abs. 2 regelt den Beitrittszwang und § 37 verleiht den
Körperschaften das Enteignungsrecht nach den näheren Bestimmungen des
entsprechenden kantonalen Gesetzes; § 101 ermächtigt die Körperschaften
nicht nur allgemein zur Ausführung des Unternehmens, sondern führt auch
die für jede Güterzusammenlegung wesentlichen Handlungsabläufe an, nämlich
die Klassifikation, Abtretung und Neuzuteilung der Grundstücke sowie
die Kostenverteilung; § 102 ordnet schliesslich den Eigentumsübergang
und die Übertragung der Pfandrechte. Entgegen der Behauptung des
Beschwerdeführers erwähnt das EGzZGB also ausdrücklich alle für eine
Landumlegung wesentlichen Eigenuumsbeschränkungen.

    Dann hat das Obergericht auch nicht - wie der Beschwerdeführer
geltend macht - erwogen, der Gesetzgeber habe die Körperschaften
einzig zur statutarischen Einführung der im Gesetz ausdrücklich
genannten Eigentumsbeschränkungen ermächtigt, sondern das Obergericht
hat vielmehr klargestellt, dass die Ermächtigung sich einzig auf
jene Massnahmen erstreckt, die mit dem Güterzusammenlegungsverfahren
notwendigerweise verbunden sind. Dass die Auffassung der kantonalen
Behörden, das Gewinnbeteiligungsrecht falle nicht darunter, keinesfalls
willkürlich ist, wurde bereits vorne dargelegt (E. 4a). Ebensowenig ist
die einschränkende Auslegung der Kompetenzausscheidungsnorm unhaltbar,
zumal der Beschwerdeführer nicht bestreitet, dass das fragliche Institut
dem historischen Gesetzgeber von 1911 noch nicht bekannt war, und die
Auffassung des Obergerichts überdies durch den Umstand bestätigt wird,
dass nicht einmal die Schöpfer des neuen Flurgesetzes von 1958 die Aufnahme
dieses Instituts ins Gesetz für angezeigt hielten.

    d) Schliesslich braucht der Einwand des Beschwerdeführers, das
Gewinnbeteiligungsrecht stelle keinen "besonders schweren Eingriff
in das Grundeigentum" dar, nicht weiter geprüft zu werden. Es genügt
hier festzustellen, dass die Auffassung der kantonalen Behörden, die
in § 47 der Statuten vorgesehene Massnahme sei eine schwerwiegende
Eigentumsbeschränkung, jedenfalls nicht willkürlich ist. Die
Gewinnbeteiligungspflicht, der die Landübernehmer unterliegen, geht
in ihrem Ansatz von 75% im ersten Jahr bis zu 5% im 15. Jahr nach der
Übernahme. Mit solch einschneidenden Prozentsätzen auf längere Zeit und
mit ihren Auswirkungen auf das grundlegende Recht des Landbesitzers zur
Realisierung seines Grundeigentums kann die fragliche Eigentumsbeschränkung
bestimmt nicht als leicht angesehen werden.

    e) Es ergibt sich, dass das Obergericht weder mit seiner
einschränkenden Auslegung der Kompetenzabtretung des kantonalen
Gesetzgebers an die Güterzusammenlegungskorporationen noch mit
seiner Feststellung, die vom Gewinnbeteiligungsrecht bewirkte
Eigentumsbeschränkung sei von dieser Ermächtigung nicht gedeckt, in
Willkür verfallen ist. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.