Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IA 271



104 Ia 271

43. Urteil vom 18. Oktober 1978 i.S. X. gegen Gerichtspräsident von Laufen
und Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern Regeste

    Art. 4 und 58 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 EMRK; Anspruch auf ein
unabhängiges und unparteiisches Gericht.

    Die Regelung des bernischen Strafverfahrens, wonach dem
Gerichtspräsidenten ordentlicherweise auch die Verrichtungen des
Untersuchungsrichters obliegen und er zudem den Überweisungsantrag stellt,
verstösst weder gegen die BV noch gegen die EMRK.

Sachverhalt

    A.- Am 14. Juli 1977 eröffnete der Gerichtspräsident von Laufen
als Untersuchungsrichter die gerichtliche Strafverfolgung gegen X. Nach
mehrmaliger Einvernahme des Angeschuldigten, des Anzeigers und mehrerer
Zeugen schloss er die Voruntersuchung und beantragte am 30. Januar 1978 bei
der Staatsanwaltschaft, es sei der Angeschuldigte dem Gerichtspräsidenten
von Laufen zur Beurteilung zu überweisen wegen Betrugs, begangen im
April/Mai 1977, indem der Angeschuldigte einen Fiat Spider 850 mit einem
Kilometerstand von 96'000 zum Preis von Fr. 2100.- kaufte, hernach den
Kilometerstand auf 46'000 zurückverstellte und das Fahrzeug mit anderen
technischen Mängeln als "geprüfte Occasion" zum Preis von Fr. 3800.-
verkaufte. Mit der Zustimmung des Staatsanwalts vom 9. Februar 1978
wurde der Antrag zum Beschluss erhoben und der Angeschuldigte X. an
den Gerichtspräsidenten von Laufen als Einzelrichter zur Beurteilung
überwiesen. Anlässlich der Hauptverhandlung vom 29. März 1978 stellte
der Angeschuldigte das Gesuch um Ablehnung des Gerichtspräsidenten,
da dieser in der gleichen Sache bereits als Untersuchungsrichter tätig
war und zudem den Überweisungsantrag gestellt hatte. Mit Beschluss vom
14. April 1978 wies die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern
das Ablehnungsgesuch ab. Gegen diesen Beschluss erhebt X. staatsrechtliche
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 46 Abs. 1 des Gesetzes über die Organisation
der Gerichtsbehörden vom 31. Januar 1909 (GOG) wird für jeden
Amtsbezirk ordentlicherweise ein Gerichtspräsident bestellt. Bei
Geschäftsüberlastung kann durch Dekret des Grossen Rates die Zahl der
Gerichtspräsidenten erhöht werden. Der Gerichtspräsident ist gemäss
Art. 79 GOG ordentlicherweise zugleich Untersuchungsrichter. Sind in einem
Amtsbezirk mehrere Gerichtspräsidenten tätig, was in 11 der 30 Amtsbezirke
der Fall ist, so sind Untersuchungsrichter und Gerichtspräsident personell
getrennt. Da für den Amtsbezirk Laufen lediglich ein Gerichtspräsident
vorgesehen ist, versieht dieser sowohl das Amt des Untersuchungsrichters,
als auch dasjenige des Gerichtspräsidenten. Eine personelle Trennung
von Untersuchungsbehörde und urteilendem Gericht ist lediglich für
die schwersten Verbrechen vollzogen, nämlich in den Verfahren vor
der Kriminalkammer und vor Geschworenengericht und dort, wo gemäss
Art. 79 Abs. 2 GOG ein besonderer Untersuchungsrichter eingesetzt wird,
was vor allem zur Aufklärung von Wirtschaftsdelikten der Fall ist. Die
genannte Personalunion findet sich auch in den Kantonen Freiburg (Art. 166
ff. GVG), Wallis (Art. 5 ff. GVG) und - in beschränktem Umfang - Solothurn
(§ 11 GOG).

    Der bernische Untersuchungsrichter hat gemäss Art. 184 des
Strafverfahrens des Kantons Bern vom 20. Mai 1928 (StrV) zudem den
Überweisungs- oder Aufhebungsantrag zu stellen; dieser wird mit der
Zustimmung des Bezirksprokurators zum Beschluss erhoben (Art. 185
StrV). Der Bezirksprokurator überwacht die Voruntersuchung (Art. 90 GOG)
und vertritt die Anklage vor dem urteilenden Gericht (Art. 92 GOG).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 32 Ziff. 7
und 33 StrV. Gemäss diesen Vorschriften ist ein Richter unfähig, an der
Beurteilung einer Strafsache teilzunehmen, wenn er in der gleichen Sache
bereits als Staatsanwalt aufgetreten ist, und er kann abgelehnt werden,
wenn Tatsachen vorliegen, welche geeignet sind, ihn als befangen erscheinen
zu lassen und Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu erregen. Ob diese
kantonalen Gesetzesbestimmungen verletzt sind, überprüft das Bundesgericht
nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 92 I 276). Die von der
Anklagekammer vorgenommene Auslegung der Vorschriften kann indessen
nicht als unhaltbar bezeichnet werden. Anlässlich der Revision des
Strafprozessrechts vom 6. November 1973 war man sich der Problematik
einer Personalunion von Untersuchungsrichter und Gerichtspräsident
durchaus bewusst, zog indessen die geltende Regelung aus sachlichen
Gründen vor (vgl. SCHULTZ, Zur Revision des bernischen Strafverfahrens,
ZBJV 107/1971 S. 339). Die Anklagekammer verfiel nicht in Willkür, wenn
sie den kantonalen Unfähigkeits- und Ablehnbarkeitsgründen eine Auslegung
gab, die sich mit der kantonalen gesetzlichen Ordnung verträgt und einen
Richter, der seine Amtspflichten in gesetzmässiger Weise erfüllt, aufgrund
des kantonalen Rechts nicht als befangen erklärte.

Erwägung 3

    3.- Über die richtige Besetzung eines Gerichts ist jedoch nicht nur
aufgrund des kantonalen Rechts zu entscheiden. Vorgängig den kantonalen
Ausstandsbestimmungen gewährleistet vielmehr Art. 58 Abs. 1 BV dem
Einzelnen die Beurteilung seiner Streitsache durch ein unabhängiges und
unparteiisches Gericht (BGE 96 I 323; 92 I 275; 91 I 402; 33 I 146). Das
Bundesgericht überprüft mit freier Kognition, ob bei einer nicht als
willkürlich und rechtsungleich erkannten Anwendung des kantonalen
Rechts der bundesrechtliche Anspruch auf unabhängige und unparteiische
Beurteilung gewahrt sei (BGE 92 I 276). Ein Richter, der in der gleichen
Streitsache bereits eine andere Funktion ausgeübt hat, verliert nicht
notwendigerweise seine Unabhängigkeit (vgl. BGE 91 I 6; 38 I 96). Um
von Bundesrechts wegen abgelehnt werden zu können, muss der urteilende
Richter vielmehr in einer Weise tätig geworden sein, die geeignet ist,
seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in Frage zu stellen.

    a) Die Frage der Zulässigkeit der bernischen Regelung, wonach
dem Gerichtspräsidenten ordentlicherweise die Verrichtungen
des Untersuchungsrichters obliegen, ist umstritten. Sie wird in
der Lehre teils für die sachlich richtige gehalten (SCHULTZ aaO,
S. 339), teils wird sie zumindest als verfassungsrechtlich zulässig
bezeichnet (HAUSER, Rechtsprechung des Bundesgerichts auf dem Gebiete des
Gerichtsverfassungsrechts, in: Erhaltung und Entfaltung des Rechts in der
Rechtsprechung des Bundesgerichts, 1975, S. 547; ders., Kurzlehrbuch
des schweizerischen Strafprozessrechts, 1978, S. 52; CLERC, Chronique
helvétique trimestrielle, ZStrR 93/1977 S. 97), teils wird die Ansicht
vertreten, die Regelung verletze die Garantie eines unabhängigen und
unparteiischen Gerichts (SCHUBARTH, Die Art. 5 und 6 der Konvention,
insbesondere im Hinblick auf das schweizerische Strafprozessrecht, ZSR
94/1975, S. 500; NOLL, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit des Richters im
Strafrecht, Mélanges Germann, 1959, S. 308). Das Bundesgericht hatte in BGE
38 I 96 erkannt, die bernische Ordnung könne nicht als verfassungswidrig
bezeichnet werden, weil die Bundesverfassung über die Organisation
der Strafrechtspflege in den Kantonen keine Vorschriften enthalte;
sie postuliere und gewährleiste hiefür insbesondere nicht die reine
Durchführung des Anklageprinzips im Gegensatz zum Inquisitionsprinzip. An
dieser Praxis ist im Ergebnis festzuhalten, wie aus der nachfolgenden
Erwägung hervorgeht.

    Gemäss Art. 89 StrV hat der Untersuchungsrichter sowohl die zur
Belastung des Angeschuldigten dienenden Umstände, als auch diejenigen
zu seiner Entlastung zu ermitteln. Er steht demnach rechtlich in
unparteiischer Stellung (BGE 102 Ia 183). Es kann aber auch nicht gesagt
werden, der Richter verliere faktisch seine Unabhängigkeit, wenn er die
Voruntersuchung leite. Es trifft zwar zu, dass die Ermittlungstätigkeit
eine intensive Kontaktnahme mit dem Angeschuldigten zur Folge hat. Diese
verschafft indes zunächst eine genauere Kenntnis der Persönlichkeit des
Angeschuldigten, als die oft nur kurze Zeit dauernde Hauptverhandlung,
was insbesondere zur Beurteilung des Verschuldens von Vorteil sein
kann (vgl. im einzelnen SCHULTZ, aaO, S. 339). Vom Richter kann
und muss erwartet werden, dass er seine Unvoreingenommenheit wahrt.
Zusätzliche Gewähr für ein unparteiisches Urteil bietet nach bernischem
Recht die Möglichkeit, das gesamte Verfahren in erster Instanz der
Appellationsinstanz zur Nachprüfung zu unterbreiten (Art. 304 StrV). Der
Umstand allein, dass dem Gerichtspräsidenten ordentlicherweise die
Verrichtungen des Untersuchungsrichters obliegen, ist demnach nicht
geeignet, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit in Frage zu stellen.

    Es ist freilich einzuräumen, dass im Einzelfall zwischen dem
Angeschuldigten und dem Untersuchungsrichter Spannungen auftreten können
und der Angeschuldigte Tatsachen vorzubringen vermag, welche das Misstrauen
in die Unabhängigkeit des Richters objektiv rechtfertigen (vgl. BGE 92
I 276). Ist diese Voraussetzung erfüllt, kann der Richter abgelehnt
werden. Eine gewisse Gefahr der Befangenheit besteht insbesondere,
wenn der Angeschuldigte nicht geständig ist, sowie bei langdauernden
Strafuntersuchungen. Es ist deshalb angezeigt, in diesen Fällen an die
Ablehnbarkeit keine hohen Anforderungen zu stellen und einen Ausstandsgrund
anzunehmen, wenn objektive Anzeichen für die Voreingenommenheit des
Richters bestehen. Andernfalls kann beim System der Personalunion von
Untersuchungsrichter und Gerichtspräsident nicht ausgeschlossen werden,
dass das Vertrauen der Rechtsuchenden in die richterliche Unabhängigkeit
und Unparteilichkeit geschwächt wird. Diese Gefahr war auch der
hauptsächliche Grund, dass der Kanton Solothurn in seiner Revision des
Gesetzes über die Gerichtsorganisation vom 13. März 1977 die personelle
Trennung zumindest für die Verfahren vor Amtsgericht, Obergericht und
Schwurgericht vornahm, während die zumeist kürzeren Verfahren vor dem
Gerichtspräsidenten personell nicht getrennt wurden (vgl. Bericht und
Antrag des Regierungsrates an den Kantonsrat von Solothurn vom 23. Januar
1976, S. 6; Verhandlungen des Kantonsrates von Solothurn 1976, S. 496 ff.,
641 ff.). - Im zu beurteilenden Verfahren sind keine objektiven Anzeichen
für eine Voreingenommenheit des Gerichtspräsidenten von Laufen ersichtlich.

    b) Der Beschwerdeführer rügt nicht nur, dass der Gerichtspräsident die
Voruntersuchung geleitet, sondern auch, dass dieser den Überweisungsantrag
verfasst und damit, nach seiner Ansicht, das Urteil vorweggenommen habe. Er
macht geltend, er müsse mit Sicherheit einer Verurteilung wegen Betruges
entgegensehen, da sich der urteilende Richter in seinem Überweisungsantrag
bereits in diesem Sinne geäussert habe.

    Gemäss Art. 184 StrV beantragt der Untersuchungsrichter nach dem
Schluss der Voruntersuchung die Aufhebung der Untersuchung, wenn er
erachtet, dass keine strafrechtlich verfolgbare Handlung vorliegt oder
dass die Belastungstatsachen ungenügend sind. Hält er dafür, dass der
Angeschuldigte einer strafbaren Handlung hinreichend verdächtig erscheint,
so stellt er den Antrag auf Überweisung an das zuständige Gericht. Stimmt
der Bezirksprokurator zu, so ist der Antrag des Untersuchungsrichters
zum Beschluss erhoben (Art. 185 StrV).

    Bei der Überweisung an das urteilende Gericht handelt es sich nach
der Systematik des bernischen Strafverfahrens nicht um den Beginn des
Hauptverfahrens, sondern um den letzten Teil des Vorverfahrens. Die
Überweisung ist deshalb nicht gleichbedeutend mit der Klageerhebung
(vgl. insb. Art. 268 Abs. 1 StrV). Die Anklage vertritt die
Staatsanwaltschaft (Art. 92 GOG). Da die Überweisungsbehörde demnach
keine staatsanwaltliche Parteifunktion ausübt (in diesem Sinne auch:
nicht publiziertes Urteil vom 26. April 1978 i.S. F., E. 3b; WAIBLINGER,
Das Strafverfahren des Kantons Bern, N. 6 zu Art. 32 StrV), braucht
nicht geprüft zu werden, ob die frühere Ausübung staatsanwaltschaftlicher
Funktionen die Richtertätigkeit in derselben Strafsache von Bundesrechts
wegen ausschliesse (vgl. BGE 38 I 95; BGE 102 Ia 179 ff., 383 E. 4;
J.P. MÜLLER, Garantie des verfassungsmässigen Richters in der BV, ZBJV
106/1970, S. 261 N. 31; HAUSER, Rechtsprechung des Bundesgerichts auf
dem Gebiete des Gerichtsverfassungsrechts, aaO, S. 547).

    Die Mitwirkung bei der Überweisung hat nicht notwendig Befangenheit des
Richters bei der materiellen Beurteilung zur Folge (BGE 91 I 6; zit. Urteil
i.S. F.). Indem der Untersuchungsrichter zusammen mit dem Staatsanwalt die
Überweisung verfügt, wird festgestellt, dass die formellen Voraussetzungen
für die Begründung des Prozessrechtsverhältnisses gegeben sind. Das ist
der Fall, wenn der Angeschuldigte einer strafbaren Handlung hinreichend
verdächtig erscheint. Indem die Behörde die Überweisung ablehnt, stellt sie
fest, dass die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Strafverfahrens
nicht gegeben sind. Die Überweisungsbehörde entscheidet in diesem Fall
bloss darüber, dass die gerichtliche Beurteilung ohne jeden Zweifel zu
einem Freispruch führen würde. Diese summarische Prüfung stellt eine
richterliche Tätigkeit dar. Sie bedeutet indessen keine Vorwegnahme des
Endurteils, weil im Überweisungsverfahren kein Entscheid über das Bestehen
des Strafanspruchs gefällt wird. Der Umstand, dass der Gerichtspräsident
den Überweisungsantrag in der üblichen Art und Weise stellte, ist demnach
nicht geeignet, seine Unabhängigkeit in Frage zu stellen.

    c) Ist die Personalunion von Untersuchungsrichter und Gerichtspräsident
einerseits und von Überweisungsbehörde und Gerichtspräsident andererseits
zulässig, so erscheint auch die personelle Verbindung von Untersuchung,
Überweisungsantrag und Beurteilung nicht als verfassungswidrig. Gegenteils
wäre schwer verständlich, wenn der Untersuchungsrichter den vorläufigen
Schluss aus der Voruntersuchung nicht ziehen dürfte, sondern die Akten
ohne Antrag an die Staatsanwaltschaft zur Überweisung oder Aufhebung
zustellen müsste. Der Untersuchungsrichter wird in jedem Fall die
Strafuntersuchung abschliessen, weil er den Fall entweder für aufhebungs-
oder beurteilungswürdig hält. Ob er seine Ansicht darüber im Aufhebungs-
oder Überweisungsantrag ausdrücklich bekanntgibt oder nicht, kann für die
Frage seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht entscheidend sein.

Erwägung 4

    4.- Gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf,
dass seine Sache von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht
gehört werde. Dass es sich beim Gerichtspräsidenten von Laufen um
einen Richter im Sinne dieser Bestimmung handelt, unterliegt keinem
Zweifel. Er ist im Hauptverfahren eine selbständige, von den andern
staatlichen Gewalten organisatorisch und personell losgetrennte,
weisungsungebundene Behörde (vgl. BGE 102 Ia 182; TRECHSEL, Die
EMRK, ihr Schutz der persönlichen Freiheit und die schweizerischen
Strafprozessrechte, 1974, S. 281). Fraglich kann lediglich sein,
ob der Richter, der nacheinander die Funktionen des Untersuchungs-
und des urteilenden Richters ausübt und zudem den Überweisungsantrag
stellt, seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verliert. Wie in E. 3
dargetan, muss diese Frage verneint werden. Die Europäische Kommission für
Menschenrechte unterschied im Fall Schiesser (Rapport de la Commission du 9
mars 1978, No 7710/77, S. 17 und 19) zwischen "instruction/investigation",
"poursuite/prosecution" und "juridiction/judiciary". Es ist anzunehmen,
dass sich das Verfahren der "instruction" mit dem bernischen
Untersuchungsverfahren einschliesslich Überweisung deckt und unter der
"poursuite" die staatsanwaltliche Anklagetätigkeit zu verstehen ist. Nach
der Ansicht der Kommissionsmehrheit sind sowohl die Untersuchungstätigkeit
als auch die Anklagetätigkeit an sich mit der richterlichen Tätigkeit
vereinbar. Die Kommissionsminderheit sieht generell eine Unvereinbarkeit
zwischen Anklagebehörde und Richter, woraus e contrario zu schliessen
ist, dass die Personalunion von Untersuchungsrichter, Überweisungsbehörde
und Gerichtspräsident auch nach Ansicht der Kommissionsminderheit nicht
konventionswidrig ist. Diese Auslegung deckt sich mit der in der Lehre
vertretenen Auffassung, wonach Art. 6 Ziff. 1 EMRK keinen Anspruch auf
eine bestimmte gerichtliche Verfahrensart vermittelt (SCHORN, Die EMRK,
Frankfurt a.M., 1965, S. 183). Nach dieser Ansicht ist anzunehmen,
dass aufgrund der EMRK kein Recht auf einen zwischen Untersuchungs-
und Beurteilungsverfahren zweigeteilten Strafprozess besteht, so dass
auch der Verzicht auf die personelle Trennung von Untersuchungsrichter,
Überweisungsbehörde und urteilendem Richter die EMRK nicht verletzt. Die
Beschwerde muss deshalb abgewiesen werden.