Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IA 14



104 Ia 14

5. Auszug aus dem Urteil vom 15. Februar 1978 i.S. Masser gegen X. und
Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau Regeste

    Art. 4 BV; definitive Rechtsöffnung.

    Zum urkundlichen Beweis der Tilgung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG
genügt die Berufung auf die Vermutung von Art. 89 Abs. 1 OR nicht.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Beruht eine Forderung auf einem vollstreckbaren Urteil einer
Behörde des Bundes oder desjenigen Kantons, In welchem die Betreibung
angehoben ist, so wird gemäss Art. 81 Abs. 1 SchKG definitive Rechtsöffnung
gewährt, "wenn nicht der Betriebene durch Urkunden beweist, dass die
Schuld seit Erlass des Urteils getilgt oder gestundet worden, oder
die Verjährung anruft". Der Beschwerdegegner zieht nicht in Zweifel,
dass das Ehescheidungsurteil des Bezirksgerichtes Diessenhofen vom
20. September 1969 einen Rechtsöffnungstitel im Sinne von Art. 81 Abs. 1
SchKG darstellt (vgl. BGE 55 II 162 Nr. 31). Die Prüfung kann sich somit
auf die Frage beschränken, ob der Beschwerdegegner - über den Beweis
der Zahlungen für die Monate Januar bis April 1974 hinaus - die Tilgung
sämtlicher Verpflichtungen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG urkundlich
nachgewiesen hat.

    Es ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner diesen Nachweis effektiv
nur für die Monate Januar bis April 1974 geleistet hat. Die thurgauische
Rekurskommission glaubt indes, der Rechtsöffnung für die früher fällig
gewordenen Alimente stehe die gesetzliche Vermutung von Art. 89 Abs. 1
OR entgegen. Nach dieser Bestimmung begründet bei einer Schuldpflicht für
Zinsen oder andere periodische Leistungen eine ohne Vorbehalt ausgestellte
Quittung die Vermutung, es seien die früher fällig gewordenen Leistungen
entrichtet worden. Die Rekurs-Kommission führte aus, die Beschwerdeführerin
habe diese Vermutung nicht entkräften können. Die Auffassung ist nicht
haltbar. Wenn der Gesetzgeber in Art. 81 Abs. 1 SchKG dem Schuldner die
Beweislast für die Behauptung der Tilgung, Stundung oder Verjährung der
Schuld auferlegt und sogar das Beweismittel bestimmt (BGE 98 Ia 355 E. 1,
74 I 450, 51 I 442), so genügt die Berufung auf eine blosse Vermutung oder
Wahrscheinlichkeit der Zahlung nicht (BGE 51 I 442). Vielmehr begründet
das Vorhandensein eines Rechtsöffnungstitels im Sinne von Art. 81
Abs. 1 SchKG gerade die Vermutung, dass eine Schuldpflicht besteht,
welche nur durch strikten Gegenbeweis zu entkräften ist. Es entspricht
dem Willen des Gesetzes, dass die Möglichkeiten des Schuldners zur Abwehr
im zur definitiven Rechtsöffnung führenden Verfahren eng beschränkt sind
und jede Verschleppung der Vollstreckung verhindert wird (FRITZSCHE,
Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. I, S. 142). Der Praxis zufolge
genügt die Anrufung von Art. 89 Abs. 1 OR, um Einwendungen gegen die
provisorische Rechtsöffnung im Sinne von Art. 82 Abs. 2 SchKG "glaubhaft"
zu machen (vgl. PANCHAUD/CAPREZ, Die Rechtsöffnung, § 35 S. 53). Allein,
dies gilt nur, weil Art. 82 Abs. 2 SchKG im Unterschied zu Art. 81 Abs. 1
SchKG nicht den strikten Beweis, sondern nur die "Glaubhaftmachung"
von Einwendungen verlangt, die der Schuldpflicht entgegenstehen.

    Abgesehen von diesen grundsätzlichen Erörterungen vertreten Lehre und
Rechtsprechung die Auffassung, nur der "zuverlässige" Schuldner, der seine
periodischen Leistungen üblicherweise regelmässig erbringe, könne sich auf
die gesetzliche Vermutung von Art. 89 Abs. 1 OR berufen (ZR 61 1962 Nr. 61
S. 161; VON BÜREN, Schweiz. OR, allg. Teil, S. 472 mit Anm. 97; vgl. auch
BECKER, Art. 89 OR, N. 2). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen,
dass der Beweis der Nichtleistung als negative Tatsache naturgemäss schwer
zu erbringen ist (BGE 38 II 208 E. 4; OSER/SCHÖNENBERGER, Art. 89 OR,
N. 3). - Wer sich wie der Beschwerdegegner bei einer Verpflichtungsdauer
von mehr als vier Jahren lediglich über die Bezahlung von vier Monatsraten
ausweisen kann, kann schwerlich als besonders zuverlässiger Schuldner
bezeichnet werden.

    Schliesslich hält auch das Ergebnis der vorinstanzlichen Beurteilung
nicht vor Art. 4 BV stand. Wenn die Rekurs-Kommission schon der
Beschwerdeführerin auferlegt, die gesetzliche Vermutung von Art. 89
Abs. 1 OR zu widerlegen, so hätte sie ihr - nach dem in E. 1 Gesagten
ausnahmsweise - durch mündliche Einvernahme oder Anordnung eines zweiten
Schriftenwechsels auch Gelegenheit dazu geben müssen. Die Annahme,
die Beschwerdeführerin habe von vornherein mit diesem Einwand und der -
nach Auffassung der Rekurs-Kommission - damit verbundenen Rechtswirkung
(Art. 89 Abs. 1 OR) rechnen müssen, ist nicht haltbar und erschwert die
Stellung des Gläubigers in unzumutbarer Weise, was klarerweise nicht
dem Sinngehalt von Art. 81 Abs. 1 SchKG entspricht. Dies gilt umso
mehr für eine Alimentenforderung aus elterlicher Unterhaltspflicht,
die der Gesetzgeber im materiellen Recht (vgl. Art. 276 ff. ZGB) und
im Vollstreckungsrecht (vgl. Art. 93 SchKG) in verschiedener Hinsicht
privilegiert.

    Es ist somit festzustellen, dass der Beschwerdegegner den urkundlichen
Beweis der Tilgung seiner Schuld im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG nur für
die Monate Januar bis April 1974 erbracht hat. Im Sinne dieser Erwägungen
ist der Entscheid der thurgauischen Rekurs-Kommission aufzuheben; sie wird
für die Alimentenforderungen ab Dezember 1969 bis Ende 1973 definitive
Rechtsöffnung zu erteilen haben.