Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IA 131



104 Ia 131

23. Urteil vom 26. April 1978 i.S. Gemeinde Tägerig gegen Grossen Rat
und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau Regeste

    Gemeindeautonomie (Aargau); Etappierung von Bauzonen; Nichtgenehmigung
einer kommunalen Bauvorschrift; Verfahren.

    1. Verfahren:

    a) Zu den Rechtsbehelfen, von denen nach Art. 86 Abs. 2 OG zur
Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges Gebrauch zu machen ist, gehört
auch das in §§ 68 ff des aargauischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes
vorgesehene abstrakte Normenkontrollverfahren; Bestätigung der
Rechtsprechung (E. 1).

    b) Bei der Anfechtung von Erlassen kann mit der im Anschluss an den
kantonalen Rechtsmittelentscheid erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde,
unabhängig von der Kognition der kantonalen Rechtsmittelinstanz, auch noch
die Aufhebung der angefochtenen Vorschrift selber verlangt werden (E. 2a).

    c) Hat die kantonale Rechtsmittelinstanz das Vorliegen der gerügten
Verfassungsverletzung zu Unrecht verneint, so verletzt ihr Entscheid
seinerseits das betreffende Verfassungsrecht (E. 2b).

    2. Autonomie der aargauischen Gemeinden im Bereiche des Bau- und
Planungswesens. Sinn und Tragweite der dem aargauischen Grossen Rat nach §
147 des kantonalen Baugesetzes zustehenden Zweckmässigkeitskontrolle.
Bundesgerichtliche Kognition bezüglich der Ausübung dieser
Zweckmässigkeitskontrolle (E. 3).

    3. Unterscheidung zwischen Erschliessungsetappierung und
Baugebietsetappierung. Überprüfung eines Beschlusses des Grossen
Rates, durch den die Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Tägerig
abgeändert und anstelle der von den Gemeindebürgern beschlossenen
Erschliessungsetappierung eine Baugebietsetappierung vorgeschrieben
wird. Keine Verletzung der Gemeindeautonomie (E. 4).

Sachverhalt

    A.- § 147 des aargauischen Baugesetzes vom 2. Februar 1971 (BauG)
lautet:

    "1 Die Gemeindebauvorschriften treten mit der Annahme durch die
   zuständigen Gemeindeorgane in Kraft.

    2 Die Gemeindebauvorschriften unterliegen der Genehmigung durch
   den Grossen Rat, der sie nach Rechtmässigkeit und Zweckmässigkeit
   überprüft. In einfachen Fällen kann der Grosse Rat die Genehmigung
   einer von ihm bestellten Kommission übertragen.

    3 Die Genehmigungsbehörde kann nach Anhören des Gemeinderates an
   den Gemeindebauvorschriften Änderungen redaktioneller oder formeller

    Art selbst vornehmen. Sie kann im übrigen einzelne Teile der
Vorschriften
   zur Abänderung mit angemessener Fristansetzung an die Gemeinden
   zurückgeben und die Abänderung selbst vornehmen, wenn diese durch die
   Gemeinden nicht fristgemäss und zweckmässig erfolgt.

    Erhalten Gemeindebauvorschriften in ihrer Gesamtheit die kantonale

    Genehmigung nicht, so gelten sie als aufgehoben."

    Das in § 147 BauG vorgesehene Verfahren gilt auch für den Erlass
von kommunalen Zonenplänen, Überbauungsplänen und Gestaltungsplänen (§
127 BauG).

    Die Einwohnergemeinde Tägerig stimmte im Jahre 1973 in einer
Gemeindeversammlung und in einer anschliessenden Referendumsabstimmung
einer Bau- und Zonenordnung zu. Der Zonenplan unterteilt das Baugebiet
in "definitives Baugebiet" (1. Etappe) und "zusätzliches Baugebiet"
(2. Etappe). § 30 der Bau- und Zonenordnung (BZO) lautete in seiner
ursprünglichen, von der Gemeinde beschlossenen Fassung wie folgt:

    "1 Das zusätzliche Baugebiet kann vom Gemeinderat ganz oder teilweise
   in definitives umgewandelt werden, wenn die zweckmässige

    Erschliessung mit Strassen, Wasser (inkl. Brandschutz), Kanalisation
   und elektrischer Energie auf Grund eines Überbauungsplanes technisch
   und finanziell sichergestellt ist. Die Umwandlung ist dem Baudepartement
   mitzuteilen.

    2 Vor der Umwandlung ist die Gemeinde zu keinerlei finanziellen

    Leistungen an die Erschliessung dieser Gebiete verpflichtet."

    Der Regierungsrat des Kantons Aargau stellte in seiner Botschaft
dem Grossen Rat den Antrag, Bauordnung und Zonenplan der Gemeinde
Tägerig zu genehmigen. In der zuständigen grossrätlichen Kommission
(Strassenbaukommission) wurden jedoch gegenüber dem erwähnten § 30 BZO
Bedenken erhoben. Der Grosse Rat genehmigte in seiner Sitzung vom 10. Juni
1975 die Bauordnung und den Zonenplan von Tägerig, nahm jedoch, einem
Antrag der Strassenbaukommission folgend, § 30 BZO von der Genehmigung aus
und verhielt die Gemeinde, diese Vorschrift gemäss einem vom Grossen Rat
gemachten Abänderungsvorschlag neu zu formulieren und sie hernach erneut
zur Genehmigung zu unterbreiten. Die Gemeindeversammlung von Tägerig lehnte
am 12. Dezember 1975 die vom Grossen Rat verlangte Abänderung von § 30 BZO
einstimmig ab. Der Grosse Rat beschloss daraufhin am 15. September 1976
gestützt auf § 147 Abs. 3 BauG, dass § 30 BZO wie folgt neu gefasst werde:

    "1 Das zusätzliche Baugebiet ist für eine der Entwicklung der Gemeinde
   entsprechende spätere Überbauung vorgesehen.

    2 Das zusätzliche Baugebiet kann erst zur Überbauung freigegeben
werden,
   wenn die Umwandlung in definitives Baugebiet vorgenommen worden ist.

    3 Das zusätzliche Baugebiet kann ganz oder teilweise in definitives

    Baugebiet umgewandelt werden, wenn

    - das definitive Baugebiet, soweit es für Bauzwecke zur Verfügung
   steht, weitgehend überbaut ist

    - die Entwicklung der Gemeinde eine weitere Bereitstellung von
Baugebiet
   erfordert

    - die finanzielle Lage der Gemeinde die Umwandlung und Freigabe
   zur Überbauung erlaubt

    - die zweckmässige Erschliessung mit Strassen, Wasser (inkl.

    Brandschutz), Kanalisation und elektrischer Energie auf Grund eines vom

    Grossen Rat genehmigten Überbauungsplanes technisch und finanziell
   sichergestellt ist.

    4 Die Umwandlung wird durch den Gemeinderat im Einvernehmen mit
   dem kantonalen Baudepartement vorgenommen.

    5 Vor der Umwandlung ist die Gemeinde zu keinerlei finanziellen

    Leistungen an die Erschliessung dieser Gebiete verpflichtet."

    Die Gemeinde Tägerig erhob gegen diesen Grossratsbeschluss am
14. Oktober 1976 staatsrechtliche Beschwerde. Gleichzeitig reichte
der Gemeinderat beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau ein
Gesuch um prinzipale Normenkontrolle ein mit dem Hauptbegehren, es
sei der Grossratsbeschluss vom 15. September 1976 betreffend die
Abänderung von § 30 BZO ungültig zu erklären und aufzuheben. Im
Hinblick auf dieses kantonale Verfahren wurde die Behandlung der
staatsrechtlichen Beschwerde vom 14. Oktober 1976 ausgesetzt. Mit Urteil
vom 17. Oktober 1977 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau den
im kantonalen Normenkontrollverfahren gestellten Antrag ab. Die Gemeinde
Tägerig erhebt im Anschluss hieran am 19. Dezember 1977 eine zweite
staatsrechtliche Beschwerde mit dem Hauptantrag, es seien das Urteil des
Verwaltungsgerichtes und der Beschluss des Grossen Rates aufzuheben.

    Das Bundesgericht tritt auf die erste staatsrechtliche Beschwerde
nicht ein und weist die zweite ab, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Gemeinde Tägerig rügt in beiden Verfahren eine Verletzung
der Gemeindeautonomie, wobei sie sich im Zusammenhang mit dieser
Rüge auf gewisse ungeschriebene oder aus Art. 4 BV abgeleitete
Verfassungsgrundsätze beruft (Grundsatz der Verhältnismässigkeit,
Willkürverbot, Rechtsgleichheit). Eine derartige staatsrechtliche
Beschwerde ist nach Art. 86 Abs. 2 OG erst nach Erschöpfung des kantonalen
Instanzenzuges zulässig. Die Gemeinde konnte den in ihre Autonomie
eingreifenden Beschluss des Grossen Rates mit einem Normenkontrollbegehren
beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau anfechten, und zwar mit
sämtlichen Rügen, die sie in den beiden staatsrechtlichen Beschwerden
erhebt. Wie das Bundesgericht in BGE 103 Ia 362 ff. festgestellt hat,
ist das in den §§ 68 ff. des aargauischen Verwaltungsrechtspflegegesetzes
vorgesehene abstrakte Normenkontrollverfahren einem Rechtsmittelverfahren
im Sinne von Art. 86 Abs. 2 OG gleichzusetzen. Steht dieser kantonale
Rechtsbehelf offen, so muss er, vorbehältlich der in Art. 86 Abs. 2
Satz 2 OG genannten Ausnahmen, vor Einreichung einer staatsrechtlichen
Beschwerde ergriffen werden. Auf die erste, unmittelbar im Anschluss an
den beanstandeten Grossratsbeschluss erhobene Beschwerde vom 14. Oktober
1976 ist daher mangels Erschöpfung des Instanzenzuges nicht einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Mit der zweiten staatsrechtlichen Beschwerde vom 19.
Dezember 1977 verlangt die Gemeinde Tägerig sowohl die Aufhebung des
Verwaltungsgerichtsurteils wie auch des Beschlusses des Grossen Rates.

    a) Entscheidet eine kantonale Rechtsmittelbehörde mit freier
Kognition, so ersetzt ihr Urteil den vorangegangenen unterinstanzlichen
Entscheid, und es kann nur der Rechtsmittelentscheid Anfechtungsobjekt
der staatsrechtlichen Beschwerde bilden. Hatte hingegen die kantonale
Rechtsmittelinstanz eine beschränkte Kognition, so kann mit der im
Anschluss an den Rechtsmittelentscheid erhobenen staatsrechtlichen
Beschwerde auch noch die Aufhebung des unterinstanzlichen Sachentscheides
verlangt werden (BGE 94 I 462 und seitherige Praxis).

    Das Bundesgericht hat bisher in der Regel angenommen, dass das auf
einer freien rechtlichen und tatsächlichen Kognition beruhende Urteil eines
kantonalen Verwaltungsgerichts die vorangegangenen unterinstanzlichen
kantonalen Entscheide ersetze und daher nur dieses letztinstanzliche
Urteil Anfechtungsobjekt einer staatsrechtlichen Beschwerde bilden könne
(so BGE 100 Ia 192; 99 Ia 148, 484; 98 Ia 156; 94 Ia 220; abweichend:
100 Ia 267). Ob und inwieweit diese Rechtsprechung noch einer gewissen
Differenzierung bedarf, kann hier offen bleiben; denn sie bezieht sich
auf die Anfechtung von Verfügungen. Bei der Anfechtung von Erlassen
gilt allgemein die Regel, dass mit der im Anschluss an den kantonalen
Rechtsmittelentscheid erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde auch noch die
Aufhebung der angefochtenen Vorschrift selber verlangt werden kann (BGE
103 Ia 364; 101 Ia 491 E. 9; 98 Ia 405 Nr. 64). Entsprechendes gilt auch
für Beschwerden gegen Wahlen und Abstimmungen (vgl. BGE 102 Ia 267 f.).

    Der Beschluss des Grossen Rates vom 15. September 1976 hat insofern,
als er einer baurechtlichen Vorschrift der Gemeinde einen neuen
Inhalt gibt, den Charakter eines Erlasses. Mit der im Anschluss an das
Verwaltungsgerichtsurteil erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde kann
daher auch noch die Aufhebung dieses Grossratsbeschlusses beantragt werden.

    b) Ob ein Beschwerdeführer von der in bestimmten Fällen gegebenen
Möglichkeit, mit der im Anschluss an den kantonalen Rechtsmittelentscheid
erhobenen staatsrechtlichen Beschwerde auch noch die Aufhebung des
unterinstanzlichen Sachentscheides zu verlangen, Gebrauch macht oder
nicht, hat auf den Umfang der bundesgerichtlichen Kognition keinen
Einfluss, sofern die geltend gemachten Verfassungsrügen von der
Rechtsmittelinstanz geprüft worden sind. Auch wenn bloss die Aufhebung
des Rechtsmittelentscheides verlangt wird, prüft das Bundesgericht, ob
die den Beschwerdeführer belastende Anordnung, soweit sie im kantonalen
Rechtsmittelverfahren nicht beseitigt worden ist, gegen die angerufenen
Verfassungsnormen verstösst. Hat die kantonale Rechtsmittelinstanz das
Vorliegen der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu Unrecht verneint,
so verletzt ihr Entscheid seinerseits das betreffende Verfassungsrecht,
und es genügt, dass sich die staatsrechtliche Beschwerde gegen diesen
Entscheid richtet. Voraussetzung ist freilich, dass die Rechtsmittelinstanz
aufgrund der ihr nach kantonalem Verfahrensrecht zustehenden Kognition
die Möglichkeit hatte, die vor Bundesgericht erhobenen Verfassungsrügen
der Sache nach zu prüfen. Will jemand mit einer erst im Anschluss an den
Rechtsmittelentscheid eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde Rügen
erheben, die der Kognition der Rechtsmittelinstanz entzogen waren, so
muss er notgedrungen auch den unterinstanzlichen kantonalen Entscheid
mitanfechten, damit das Bundesgericht auf diese Rügen eintreten kann;
der Entscheid einer kantonalen Rechtsmittelinstanz, die aufgrund
ihrer beschränkten Überprüfungsbefugnis nicht in der Lage ist, die
beanstandete Verfassungswidrigkeit zu beseitigen, bildet kein taugliches
Anfechtungsobjekt.

    Der letztgenannte Fall trifft hier jedoch nicht zu. Die
Beschwerdeführerin erhebt vor Bundesgericht keine Rügen, die der Kognition
des aargauischen Verwaltungsgerichtes entzogen gewesen wären. Sie hätte
sich daher ohne Verringerung ihrer Erfolgschancen darauf beschränken
können, das Urteil des Verwaltungsgerichtes anzufechten. Wenn es ihr
nach der erwähnten Rechtsprechung trotz fehlender verfahrensrechtlicher
Notwendigkeit gestattet ist, gleichzeitig auch noch die Aufhebung des
vorangegangenen Grossratsbeschlusses zu verlangen, so deshalb, weil
ein solches Vorgehen prozessökonomisch erscheint und gegebenenfalls die
Wiederherstellung der verfassungsmässigen Lage erleichtert.

Erwägung 3

    3.- a) Es darf davon ausgegangen werden, dass die aargauischen
Gemeinden auch unter der Herrschaft des kantonalen Baugesetzes
vom 2. Februar 1971 bei der Festlegung von Zonenplänen und beim
Erlass der dazugehörigen Vorschriften im Sinne der bundesgerichtlichen
Autonomierechtsprechung über eine relativ erhebliche Entscheidungsfreiheit
verfügen. Dass sie bei dieser Tätigkeit einer Zweckmässigkeitskontrolle
durch die kantonale Genehmigungsbehörde unterworfen sind, schliesst das
Vorliegen eines geschützten Autonomiebereiches nicht aus. Vom Umfang der
der kantonalen Behörde zustehenden Überprüfungsbefugnis hängt jedoch ab,
wann ein Eingriff in die kommunale Gestaltungsfreiheit die Autonomie der
Gemeinde verletzt (BGE 102 Ia 170; 101 Ia 261 mit Hinweisen; 96 I 381; 93 I
160, 432). Die Gemeinde kann sich somit unter Berufung auf ihre Autonomie
gegen ungerechtfertigte Eingriffe der kantonalen Genehmigungsbehörde zur
Wehr setzen. Soweit nicht die Auslegung und Anwendung spezieller Normen
des eidgenössischen oder kantonalen Verfassungsrechtes in Frage steht,
prüft das Bundesgericht den Entscheid der kantonalen Behörde nur unter
dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 104 Ia 45, 127; 102 Ia 71; 100 Ia 395).

    b) In der staatsrechtlichen Beschwerde wird zu Recht nicht behauptet,
dass das Vorgehen des Grossen Rates gegen irgendwelche unmittelbar durch
die Kantonsverfassung gewährleistete kommunale Selbstverwaltungsbefugnisse
verstosse. Massgebend für den Umfang der Gemeindeautonomie im Bau-
und Planungswesen sind die Vorschriften der kantonalen Gesetzgebung
(vgl. Art. 95 KV), deren Handhabung das Bundesgericht im Rahmen einer
Autonomiebeschwerde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür prüft.

    c) Im vorliegenden Falle ist zu entscheiden, ob der Grosse Rat als
Genehmigungsbehörde von den ihm durch § 147 BauG eingeräumten Befugnissen
in haltbarer Weise Gebrauch gemacht hat. Nach § 147 Abs. 2 BauG prüft
der Grosse Rat die kommunalen Bauvorschriften und Zonenpläne sowohl auf
ihre Rechtmässigkeit als auch auf ihre Zweckmässigkeit hin. Stellt er
einen Mangel fest, so kann er die Vorschrift zur Änderung an die Gemeinde
zurückweisen und, falls die Gemeinde nicht innert der ihr gesetzten Frist
eine zweckmässige Lösung beschliesst, selber die Vorschrift abändern (§
147 Abs. 3 BauG). Die Beschwerdeführerin rügt, dass § 30 der kommunalen
Bau- und Zonenordnung in der von der Gemeinde beschlossenen Fassung sowohl
recht- als auch zweckmässig gewesen sei und der Grosse Rat der Vorschrift
daher zu Unrecht die Genehmigung verweigert habe. Die vom Grossen Rat
beschlossene Fassung sei nicht zweckmässiger als jene der Gemeinde,
sondern im Gegenteil weniger zweckmässig, ja sogar völlig unzweckmässig.

    d) Es ist richtig, dass die in § 147 BauG vorgesehene
Zweckmässigkeitskontrolle nicht den Sinn hat, dass der Grosse Rat die aus
dem kommunalen Rechtsetzungsverfahren hervorgegangenen Vorschriften nach
Belieben durch eigene Normen ersetzen darf. Die Genehmigungsbehörde soll
vielmehr nur dann intervenieren, wenn sie die von der Gemeinde getroffene
Lösung für unzweckmässig hält, und die Anordnung einer Ersatzlösung setzt
voraus, dass diese zweckmässiger ist als die Regelung der Gemeinde. Es
dürfte auch dem Sinn von § 147 BauG entsprechen, dass der Grosse Rat seine
Zweckmässigkeitskontrolle mit Zurückhaltung ausübt und den Gemeinden einen
gewissen Spielraum belässt (vgl. ZIMMERLIN, Baugesetz des Kantons Aargau,
N. 11 zu §§ 146/147, S. 406).

    e) Ob sich der Grosse Rat im vorliegenden Falle an diese Schranken
gehalten hat, ist weitgehend eine Ermessensfrage, die das Bundesgericht im
Rahmen einer Autonomiebeschwerde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür
prüft. Der verfassungsrechtliche Schutz der Autonomie beschränkt sich hier
praktisch darauf, dass der Eingriff in die kommunale Gestaltungsfreiheit
auf vernünftigen, vertretbaren Überlegungen beruhen und die von der
Genehmigungsbehörde an Stelle der Gemeinde getroffene Anordnung ihrerseits
sachlich haltbar sein muss (vgl. BGE 102 Ia 171; 101 Ia 262 f.). Für
eine weitergehende Kontrolle, so namentlich für die Abklärung der Frage,
welche von zwei vertretbaren Lösung die zweckmässigere ist, besteht
im Rahmen einer Willkürprüfung kein Raum. Wohl enthält § 147 BauG eine
weitergehende Schranke als nur das Willkürverbot; die Genehmigungsbehörde
darf in die Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinde nur eingreifen, wenn dies
bei pflichtgemässer Würdigung der Verhältnisse als geboten erscheint;
doch liegt eine verfassungsrechtlich relevante Autonomieverletzung erst
vor, wenn die kantonale Genehmigungsbehörde die ihr durch § 147 BauG
übertragene Rechts- und Zweckmässigkeitskontrolle willkürlich ausgeübt
hat. Unter diesem Gesichtswinkel ist der Beschluss des Grossen Rates im
folgenden zu prüfen.

    f) Ob auch das Verwaltungsgericht, das - im Gegensatz zum Bundesgericht
- die Handhabung des kantonalen Gesetzesrechtes an sich frei zu prüfen hat,
seine Kognition in der gleichen Weise beschränken durfte, ist hier nicht
weiter zu untersuchen. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nicht
behauptet, dass das Verwaltungsgericht dadurch, dass es auf das erhobene
Normenkontrollbegehren hin den Beschluss des Grossen Rates mit dem gleichen
Massstab prüfte, den das Bundesgericht bei Autonomiebeschwerden anwendet,
eine Rechtsverweigerung begangen habe.

Erwägung 4

    4.- a) Die Unterteilung der Bauzonen in verschiedene, räumlich
abgegrenzte Abschnitte (Etappen) ist ein planerisches Mittel, um
den Nachteilen, die sich aus der Ausscheidung eines grossen oder
überdimensionierten Baugebietes ergeben können, zu begegnen. Im
aargauischen Baurecht wird zwischen Erschliessungsetappierung und
Baugebietsetappierung unterschieden. Die Erschliessungsetappierung will
sicherstellen, dass die Erschliessungstätigkeit der öffentlichen Hand
systematisch und rationell erfolgt. Sie besteht darin, dass die Gemeinde
nur in einem Teil der Bauzone die Erschliessungskosten übernimmt; im
übrigen Teil kann zwar gebaut werden, doch haben die Grundeigentümer die
vollen Erschliessungskosten selber zu bezahlen. Die Baugebietsetappierung
dient darüber hinaus dem Zweck, den Ablauf der Überbauung nach allgemeinen
raumplanerischen Gesichtspunkten zu lenken (geordnete Besiedlung,
Verhinderung der Streubauweise). In den entfernter gelegenen Teilen
der Bauzone ist das Bauen vorläufig verboten, doch kann das Gebiet
der zweiten Etappe sukzessive in definitives Baugebiet umgewandelt und
damit zur Überbauung freigegeben werden (vgl. Aargauische Gerichts- und
Verwaltungsentscheide 1976, S. 277 ff.; THOMAS PFISTERER, Möglichkeiten zur
Beschränkung der Baugebiete aus der Sicht vorab des aargauischen Rechts,
in: Planen und Bauen in der Nordwestschweiz, 1977, S. 6 ff.).

    b) Die Gemeinde Tägerig sah in § 30 BZO eine Erschliessungsetappierung
vor. Durch die vom Grossen Rat beschlossene Fassung von § 30 BZO wird
eine Baugebietsetappierung vorgeschrieben.

    Die Rüge der Beschwerdeführerin, eine Baugebietsetappierung sei
in der aargauischen Baugesetzgebung nirgends ausdrücklich vorgesehen,
weshalb die vom Grossen Rat getroffene Anordnung der gesetzlichen Grundlage
entbehre, dringt, jedenfalls unter dem Gesichtswinkel der Willkür, nicht
durch. Wenn die Planungsorgane befugt sind, das Baugebiet auf das für
eine zweckmässige Besiedlung erforderliche Mass zu beschränken, so haben
sie auch die Möglichkeit, die Bauzone in verschiedene, stufenweise zu
überbauende Abschnitte zu unterteilen. Es ist daher davon auszugehen,
dass das aargauische Baugesetz sowohl die eine wie die andere Form der
Etappierung zulässt (vgl. ZIMMERLIN, aaO, N. 6 und 7 zu § 128 BauG,
S. 337 ff.). Zu prüfen bleibt, ob die vom Grossen Rat beschlossene Regelung
auf vertretbaren Überlegungen beruht und sachlich vor dem Willkürverbot
standhält.

    c) Der Regierungsrat führt in seiner Vernehmlassung aus, dass
die Baugebietsfläche von Tägerig nach Auffassung des Grossen Rates zu
gross sei. Statt sie auf dem Wege der Auszonung (bzw. Nichteinzonung)
zu verkleinern, sei als mildere Massnahme eine Baugebietsetappierung
angeordnet worden. Die von der Gemeindeversammlung Tägerig beschlossene
Etappierungsvorschrift erscheine dem Grossen Rat wegen ihrer largen
Formulierung nicht als ausreichend. Da der Gemeinderat Tägerig schon in
drei Fällen provisorisches Baugebiet in definitives umgewandelt habe, ohne
dass - wie nach § 30 BZO erforderlich - ein von der kantonalen Behörde
genehmigter Überbauungsplan vorgelegen hätte, habe sich der Grosse Rat
veranlasst gesehen, die Voraussetzungen für die Etappenumwandlung präziser
zu umschreiben.

    Inwiefern das ausgeschiedene Baugebiet der Gemeinde Tägerig zu
gross sein soll, wird in der Vernehmlassung des Regierungsrates, der
selber ursprünglich die Genehmigung der kommunalen Bau- und Zonenordnung
beantragt hatte, nicht näher ausgeführt. Der Regierungsrat stellt jedoch
die Massnahme des Grossen Rates in einen grösseren Zusammenhang. Er weist
darauf hin, dass heute im Kanton Aargau gesamthaft ein Baugebiet für
800'000 bis 900'000 Einwohner ausgeschieden sei; da jedoch nach heutiger
Prognose der Kanton im Jahre 2000 nur 520'000 Einwohner haben werde, sei
das ausgeschiedene Baugebiet eindeutig überdimensioniert. Die planerischen
Gegenmassnahmen seien die Auszonung und die Etappierung. Die herkömmliche
Erschliessungsetappierung, bei welcher der Grundeigentümer bei Übernahme
der Kosten der Basiserschliessung in der zweiten Etappe praktisch beliebig
an jeder Stelle bauen könne, reiche nicht aus, um die Entwicklung in den
Griff zu bekommen und eine unerwünschte und unökonomische Streubauweise zu
verhindern. Die vom Grossen Rat beschlossene Etappierungsvorschrift, wonach
zunächst nur in der ersten Etappe erschlossen und gebaut werden dürfe und
eine Umwandlung von Gebiet der zweiten Etappe in definitives Baugebiet nur
bei Vorliegen präzis umschriebener Voraussetzungen im Einvernehmen mit
den kantonalen Instanzen erfolgen dürfe, sei ein zweckmässiges Mittel,
um sicherzustellen, dass die Ortsplanung der regionalen und kantonalen
Richtplanung und dem vom Kanton verfolgten Siedlungskonzept entspreche.

    Das Verwaltungsgericht hat sich diesen Überlegungen im wesentlichen
angeschlossen und ist ebenfalls zum Schluss gelangt, dass die vom Grossen
Rat beschlossene Baugebietsetappierung zulässig sei und den aargauischen
Gemeinden zwangsweise auferlegt werden könne.

    d) Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, was diese Überlegungen
entkräften würde. Sie tut insbesondere nicht dar, dass die Verhältnisse
in Tägerig derart besonders gelagert seien, dass die von der kantonalen
Behörde angestellten grundsätzlichen Erwägungen für diese Gemeinde
keine Geltung haben könnten. Dass der Regierungsrat ursprünglich der
Meinung war, die von der Gemeinde Tägerig beschlossene Lösung könne
ohne Änderungen genehmigt werden, schliesst nicht aus, dass die vom
Grossen Rat geforderte Änderung sachlich begründbar und zweckmässig
ist. Es erscheint nicht unvernünftig, die kurzfristige Konzentration
der Überbauung im definitiven Baugebiet dadurch zusätzlich zu fördern,
dass im Baugebiet zweiter Etappe einstweilen nicht gebaut werden darf,
solange in der ersten Etappe ausreichend Land zur Verfügung steht. Indem
die Gemeinde eine Erschliessungsetappierung vorsah, ging sie selber davon
aus, dass zunächst die Überbauung des definitiven Baugebietes wünschbar
sei und dass eine Staffelung der Überbauung des übrigen Baugebietes in
ihrem eigenen Interesse liege. Der Grosse Rat verstärkte nur die Mittel
zur Erreichung dieses Zieles. Die Voraussetzungen, von denen der Grosse
Rat die Umwandlung der zweiten Etappe in definitives Baugebiet abhängig
macht, sind sachbezogen und geeignet, das angestrebte planerische Ziel
zu erreichen. Sie haben für die Gemeinde keine übermässige Einschränkung
der baulichen Entwicklung zur Folge. Steht im definitiven Baugebiet
nicht mehr genügend Bauland zur Verfügung, so kann auch nach der vom
Grossen Rat beschlossenen Regelung zusätzliches Baugebiet zur Überbauung
freigegeben werden. Ob in Tägerig derartige Umwandlungen schon sehr bald
vorgenommen werden müssen, ist ohne Belang. Sollten sich die kantonalen
Behörden einem Umwandlungsbegehren in willkürlicher Weise widersetzen,
können die Gemeinden oder die betroffenen Grundeigentümer hiegegen die
zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ergreifen.

    e) Von einer rechtsungleichen Behandlung könnte nur die Rede sein,
wenn der Grosse Rat bei andern Gemeinden, die sich in einer gleichen oder
ähnlichen Lage wie Tägerig befinden, eine ganz andere Haltung eingenommen
hätte. Dies wurde jedoch nicht dargetan. Der Vergleich mit den Gemeinden,
die noch keine Ortsplanung haben, ist nicht stichhaltig.