Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 104 IA 120



104 Ia 120

22. Urteil vom 8. Februar 1978 i.S. Müssgens gegen Regierung des Kantons
Graubünden und i.S. Gemeinde Sils i.E. gegen Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden Regeste

    Raumplanung; Art. 22ter BV, Gemeindeautonomie.

    1. Rechtsmittelmöglichkeiten gegen kommunale Zonenpläne nach
bündnerischem Verfahrensrecht; Aufspaltung des kantonalen Beschwerdeweges;
Überprüfung der Gesetz- und Verfassungsmässigkeit einer angefochtenen
Zoneneinteilung durch zwei verschiedene, hierarchisch gleichgeordnete
kantonale Beschwerdeinstanzen (Regierung und Verwaltungsgericht); Nachteile
eines derartigen Vorgehens (E. 1).

    2. Greift eine kantonale Beschwerdeinstanz in die kommunale
Zonenplanung ein, weil sie im Vorgehen der Gemeinde einen Verstoss
gegen die Eigentumsgarantie erblickt, so kann die Gemeinde mittels
Autonomiebeschwerde rügen, dass die kantonale Instanz die Tragweite
dieses Grundrechtes verkenne und die Eigentumsgarantie zu Unrecht als
verletzt ansehe. Ob der Eingriff in die kommunale Autonomie auf einer
richtigen Auslegung dieses verfassungsmässigen Individualrechtes beruht,
prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (E. 2b).

    3. Verkleinerung des Baugebietes; Auszonung eines Grundstückes;
Interessenabwägung (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die bisherige Bau- und Zonenordnung der Gemeinde Sils im Engadin
aus dem Jahre 1970 sah neben einer Dorfkern- und einer Landhauszone
noch eine sehr umfangreiche, weit über das bisherige Siedlungsgebiet
hinausreichende Zone für Wohnquartiere vor. Am 2. Juni 1972 erliess
der Grosse Rat des Kantons Graubünden eine Verordnung über den Schutz
der Oberengadiner Seelandschaft, die u.a. vorsieht, dass in den Zonen
für Wohnquartiere und in Teilgebieten der Landhauszone in der Silser
Ebene Bauten nur im Rahmen einer Quartierplanung und mit Bewilligung
der Regierung erstellt werden dürfen. Auch die Gemeindebehörden von
Sils bemühten sich in der Folge darum, das Baugebiet im Interesse des
Landschafts- und Ortsbildschutzes zu verkleinern. Am 18. Juli 1975 stimmte
die Gemeindeversammlung von Sils einer neuen Bauordnung und einem neuen
Zonenplan zu, der eine Reihe von Gebieten, die nach dem Plan von 1970 zur
Zone für Wohnquartiere oder zur Landhauszone gehörten, nunmehr dem übrigen
Gemeindegebiet zuweist. Die Regierung des Kantons Graubünden genehmigte
die neue Bau- und Zonenordnung am 12. Juli 1976 mit gewissen Ausnahmen und
Vorbehalten, die im vorliegenden Zusammenhang jedoch keine Rolle spielen.

    Josef Müssgens ist Eigentümer der rund 60'000 m2 grossen Parzelle
Nr. 2286 in Sils-Baselgia. Der westliche Teil des Grundstückes, auf dem
das Hotel Margna steht, wird durch den Zonenplan von 1975 entsprechend
der bisherigen Einteilung in der Dorfkernzone belassen. Hingegen wird der
übrige, weitaus grössere Teil der Parzelle, der nach dem Zonenplan von
1970 in der Zone für Wohnquartiere lag, nunmehr dem übrigen Gemeindegebiet
zugewiesen. Der Nordwestrand des Grundstückes wird sowohl im Plan von
1970 als auch in jenem von 1975 als Gefahrengebiet bezeichnet.

    Josef Müssgens reichte gegen den neuen Zonenplan bei der
Kantonsregierung eine verfassungsrechtliche Beschwerde ein, mit der er
verlangte, es sei auch der südwestliche Teil seiner Parzelle in einer
Bauzone zu belassen. Die Regierung prüfte dieses Beschwerdebegehren im
Rahmen des Genehmigungsverfahrens, wies es ab und genehmigte den Zonenplan
im betreffenden Punkt. Josef Müssgens erhob gegen diesen Entscheid der
Regierung vom 12. Juli 1976 wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter BV
staatsrechtliche Beschwerde. Gleichzeitig focht er den von der Regierung
genehmigten Zonenplan auch noch mit Rekurs beim Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden an. Dieses hiess mit Entscheid vom 13. April 1977
den Rekurs im Sinne der Erwägungen gut und wies den im Rechtsbegehren
umschriebenen Teil der Parzelle Nr. 2286 der Landhauszone zu. Gegen
diesen Entscheid des Verwaltungsgerichtes führt nunmehr die Gemeinde Sils
i.E. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde des Josef Müssgens ab, heisst
hingegen jene der Gemeinde gut und hebt das Urteil des Verwaltungsgerichtes
auf, aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Nach bündnerischem Recht sind kommunale Entscheide (Verfügungen)
mit Rekurs beim Verwaltungsgericht anfechtbar (Art. 13 Abs. 1 lit. a des
Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 9. April 1967, VGG). Gegen rechtsetzende
Erlasse der Gemeinden ist die verfassungsrechtliche Beschwerde an die
Kantonsregierung zulässig (Art. 4 lit. a der Verordnung über das Verfahren
in Verfassungs- und Verwaltungsstreitsachen vor dem Kleinen Rat, VVV).
Kommunale Baugesetze und Zonenpläne bedürfen zu ihrer Gültigkeit
ausserdem der Genehmigung der Regierung (Art. 37 Abs. 2 des kantonalen
Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973, KRG).

    Gemäss einer Absprache zwischen Verwaltungsgericht und Regierung kann
ein Grundeigentümer einen Zonenplan sowohl mit verfassungsrechtlicher
Beschwerde bei der Regierung als auch mit Rekurs beim Verwaltungsgericht
anfechten, wobei dieses letztere Rechtsmittel noch im Anschluss an den
Genehmigungs- und Beschwerdeentscheid der Regierung zulässig ist. Bezüglich
des Anfechtungsobjektes scheint zwischen den beiden Beschwerdeverfahren
an sich kein Unterschied zu bestehen; mit beiden Rechtsmitteln kann
eine Korrektur der Zoneneinteilung verlangt werden. Unterschiedlich sind
dagegen die möglichen Beschwerdegründe:

    Wie die Regierung in ihrem Entscheid vom 12. Juli 1976 ausführt, prüft
sie, wenn sie im Genehmigungsverfahren über eine verfassungsrechtliche
Beschwerde zu befinden hat, nur Rügen, die sich gegen "allgemein
verbindliche Anordnungen des Planes" richten, nicht jedoch Rügen, die
einen "Aspekt des Zonenplanes von ausschliesslich individuell-konkreter
Bedeutung" beschlagen; solche Einwände seien mit Rekurs an das
Verwaltungsgericht vorzubringen. Die Regierung prüfte dementsprechend
im vorliegenden Falle, ob das der beanstandeten Zoneneinteilung
zugrundeliegende Planungskonzept auf einer richtigen Wahrung der
öffentlichen Interessen beruhe (Art. 37 Abs. 2 KRG), trat jedoch auf
den Einwand des Beschwerdeführers, dass er am Einbezug des streitigen
Parzellenteiles in die Bauzone ein "eminentes Interesse" habe, nicht ein.

    Das Verwaltungsgericht führte in seinem Entscheid vom 13. April
1977 zu dieser Kompetenzabgrenzung seinerseits aus, im Genehmigungs-
und Beschwerdeverfahren vor der Regierung könne gerügt werden, dass
gewisse Teile des Zonenplanes mit wesentlichen öffentlichen Interessen
im Widerspruch stünden. Auf die Rüge der Verletzung ausschliesslich
individuell-konkreter Interessen trete die Regierung nicht ein. Hingegen
könne vor Verwaltungsgericht geltend gemacht werden, dass die angefochtene
Planungsmassnahme in schützenswerte, spezifisch individuelle Rechte und
Interessen eingreife. Der Rekurrent habe darzutun, inwiefern die Zuteilung
seiner Parzelle zu einer bestimmten Zone bzw. eine Nichteinzonung für ihn
rechtlich unzumutbar sein soll, dies insbesondere unter dem Gesichtswinkel
der Rechtsgleichheit, der Willkür und von Treu und Glauben. Es sei der
Sinn dieser Kompetenzaufteilung, dass die Regierung das Planungskonzept
als solches prüfe, das Verwaltungsgericht dagegen jene Einwände behandle,
die im Ergebnis bloss auf örtlich beschränkte Korrekturen im Bereiche
einzelner Grundstücke abzielten.

    b) Ob diese Regelung im kantonalen Gesetzesrecht eine Stütze
findet, ist hier, da keine entsprechende Rüge erhoben wurde, nicht zu
entscheiden. Die ungewöhnliche Aufspaltung des Beschwerdeweges wirft
indessen auch für das bundesgerichtliche Verfahren prozessuale Probleme
auf. Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung von Art. 4 und 22ter
BV sind erst nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges zulässig
(Art. 86/87 OG). Der kantonale Instanzenzug ist dann erschöpft, wenn
dem Beschwerdeführer kein kantonales Rechtsmittel mehr zur Verfügung
steht, das der Sache nach eine Überprüfung der erhobenen Verfassungsrüge
ermöglicht und gegebenenfalls zur Beseitigung des als verfassungswidrig
beanstandeten Hoheitsaktes führen kann.

    Angesichts der Unbestimmtheit des von den bündnerischen Behörden
verwendeten Abgrenzungskriteriums ist häufig ungewiss, ob ein bestimmter
Einwand gegen eine Zoneneinteilung in die Überprüfungsbefugnis der
Regierung oder in jene des Verwaltungsgerichtes fällt. Davon abgesehen hat
die dargelegte Aufteilung zur Folge, dass keine kantonale Beschwerdeinstanz
die angefochtene Zoneneinteilung umfassend auf ihre Vereinbarkeit mit
der Eigentumsgarantie prüfen kann. Wohl ist ein Grundeigentümer auch im
staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren zur Anfechtung eines Zonenplanes nur
soweit legitimiert, als die Zoneneinteilung seines eigenen Grundstückes
in Frage steht (BGE 101 Ia 543, 94 I 342). Er kann jedoch zur Begründung
der Rüge, dass die ihm auferlegte Nutzungsbeschränkung mangels eines
überwiegenden öffentlichen Interessens oder wegen Unverhältnismässigkeit
gegen Art. 22ter BV verstosse, sämtliche in Betracht fallenden Einwände
vorbringen, unbekümmert darum, ob sie das Planungskonzept als solches
oder nur die Zonenabgrenzung in einem örtlich beschränkten Bereich
betreffen. Nur aufgrund einer umfassenden Würdigung aller berührten
privaten und öffentlichen Interessen lässt sich beantworten, ob der
angefochtene Eingriff verfassungsrechtlich haltbar ist, und eine solche
Interessenabwägung kann nur durch ein und dieselbe Behörde erfolgen.

    Die in Graubünden vorgenommene Kompetenzaufteilung zwischen Regierung
und Verwaltungsgericht trägt dieser Lage keine Rechnung. Fallen die
nach Art. 22ter BV massgebenden Aspekte teils in den Erkenntnisbereich
der Regierung, teils in jenen des Verwaltungsgerichtes, so ist unklar
und ungewiss, gegen welchen Entscheid gegebenenfalls staatsrechtliche
Beschwerde geführt werden soll; ein kantonaler Beschwerdeentscheid,
der sich über die verfassungsrechtlich massgebenden Fragen umfassend
ausspricht, liegt nicht vor. Der Rechtsuchende wird vorsichtshalber
von beiden kantonalen Rechtsmitteln Gebrauch machen und gegebenenfalls
die Entscheide beider Rechtsmittelinstanzen je mit staatsrechtlicher
Beschwerde anfechten. Das Bundesgericht muss seinerseits in derartigen
Fällen gleichzeitig sowohl auf die Ausführungen der Regierung wie
auch auf jene des Verwaltungsgerichtes abstellen, um sich über die
Verfassungsmässigkeit der angefochtenen Massnahme ein Bild machen zu
können. Weichen - wie hier - die Feststellungen und Auffassungen dieser
beiden hierarchisch gleichgeordneten kantonalen Instanzen voneinander ab,
so wird die verfassungsrichterliche Überprüfung noch zusätzlich erschwert.

    c) Im vorliegenden Falle hat Josef Müssgens als betroffener
Grundeigentümer die Zoneneinteilung zunächst bei der Regierung und hernach
beim kantonalen Verwaltungsgericht angefochten. Die von ihm eingereichte
staatsrechtliche Beschwerde richtet sich nur gegen den Entscheid der
Regierung. Zur Anfechtung des Urteils des Verwaltungsgerichtes hat er
keinen Anlass, da dieses seinem Begehren entsprochen und die Einzonung des
streitigen Landstückes angeordnet hat. Bliebe es dabei, so könnte die von
Josef Müssgens gegen den Regierungsentscheid erhobene staatsrechtliche
Beschwerde als gegenstandslos abgeschrieben werden. Die Gemeinde Sils
i.E. hat indessen ihrerseits gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichtes
wegen Verletzung der Gemeindeautonomie staatsrechtliche Beschwerde
eingereicht. Eine Gutheissung dieser Autonomiebeschwerde setzt voraus, dass
die im Zonenplan der Gemeinde vorgesehene Einweisung des Grundstückes in
das übrige Gemeindegebiet vor der Eigentumsgarantie standhält (BGE 99 Ia
715). Bei der Beurteilung der gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes
erhobenen Autonomiebeschwerde muss, wie sich zeigen wird, auch über
die Rügen befunden werden, die Josef Müssgens in seiner im Anschluss
an den Regierungsentscheid eingereichten staatsrechtlichen Beschwerde
wegen Verletzung der Eigentumsgarantie erhoben hat. Die Gutheissung der
einen Beschwerde zieht die Abweisung der andern nach sich. Unter diesen
Umständen ist über beide staatsrechtlichen Beschwerden gleichzeitig in
einem Urteil zu befinden.

Erwägung 2

    2.- a) Durch den neuen Zonenplan von 1975 wird die Parzelle
Nr. 2286, die bisher in einer Bauzone lag, zum grössern Teil dem übrigen
Gemeindegebiet zugewiesen. Der Grundeigentümer Josef Müssgens erblickt in
dieser Auszonung, soweit sie den südwestlichen Teil der Parzelle betrifft,
einen Verstoss gegen Art. 4 und 22ter BV. Dass die angefochtene Massnahme
auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, ist unbestritten. Die Frage,
ob und allenfalls in welcher Höhe wegen materieller Enteignung eine
Entschädigung zu leisten sei, bildet ebenfalls nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens. Zu entscheiden ist nur, ob die Auszonung
des Grundstückes sachlich vor Art. 4 und 22ter BV standhält. Die
Eigentumsgarantie gibt dem Grundeigentümer keinen Anspruch darauf, dass
sein Land dauernd in jener Zone verbleibt, in die es einmal eingewiesen
worden ist, und dass die aus einer bestimmten Zoneneinteilung folgenden
baulichen Nutzungsmöglichkeiten nachträglich nicht mehr geändert
oder eingeschränkt werden. Derartige Planungsmassnahmen müssen aber im
öffentlichen Interesse liegen sowie dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit
und dem Gebot der Rechtssicherheit Rechnung tragen (BGE 102 Ia 333, 338;
98 Ia 377). Ob diese verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind,
prüft das Bundesgericht im Rahmen einer auf Art. 22ter BV gestützten
Beschwerde grundsätzlich frei. Doch auferlegt es sich Zurückhaltung,
soweit die Beurteilung von einer Würdigung der örtlichen Verhältnisse
abhängt, welche die kantonalen Behörden besser kennen und überblicken als
das Bundesgericht, und soweit sich ausgesprochene Ermessensfragen stellen
(BGE 103 Ia 42 mit Hinweisen; BGE 98 Ia 376).

    b) Den bündnerischen Gemeinden steht beim Erlass und bei der
Abänderung von Zonenplänen auch unter der Herrschaft des neuen kantonalen
Raumplanungsgesetzes vom 20. Mai 1973 ein weiter Spielraum der freien
Gestaltung zu. Sie sind in diesem Bereich autonom und können sich, wenn
eine kantonale Behörde in ihre Befugnis zur selbständigen Festlegung der
Zonenpläne ungerechtfertigt eingreift, auf den Schutz der Gemeindeautonomie
berufen (vgl. BGE 103 Ia 184 f.). Wann eine Gemeinde durch den Entscheid
einer kantonalen Aufsichts- oder Rechtsmittelbehörde in ihrer Autonomie
verletzt ist, hängt vom Umfang der Überprüfungsbefugnis der kantonalen
Instanz ab. Gemäss Art. 53 VGG übt das Verwaltungsgericht als Rekursinstanz
nur eine Rechtskontrolle aus. Es kann daher bloss eingreifen, wenn die
Gemeinde bei der Gestaltung des Zonenplanes irgendwelche Verfassungs- oder
Gesetzesvorschriften, d.h. insbesondere die Eigentumsgarantie sowie die aus
Art. 4 BV folgenden allgemeinen Verfassungsgrundsätze, verletzt hat. Soweit
die Handhabung des kantonalen Gesetzesrechtes in Frage steht, prüft
das Bundesgericht den Entscheid der kantonalen Behörde im Rahmen einer
Autonomiebeschwerde nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür. Hingegen
entscheidet es mit freier Kognition, soweit die Rechtmässigkeit eines
Eingriffes in die kommunale Autonomie von der Auslegung und Anwendung
spezieller Normen des eidgenössischen oder kantonalen Verfassungsrechtes
abhängt (so insbes. BGE 101 Ia 395 E. 2a, ferner: BGE 104 Ia 45, 102
Ia 71; ZBl 1978 S. 168; ZBl 1977 S. 220; an der in BGE 96 I 383 ff E. 3
vertretenen abweichenden Auffassung ist nicht festzuhalten). Eine Gemeinde
kann sich zwar im Rahmen einer Autonomiebeschwerde nicht selbständig -
im Sinne eines Angriffsmittels - auf verfassungsmässige Individualrechte
berufen. Greift jedoch eine kantonale Aufsichts- oder Rechtsmittelbehörde
in die Autonomie der Gemeinde ein, da sie im Vorgehen der kommunalen
Behörde einen Verstoss gegen ein verfassungsmässiges Individualrecht
erblickt, so kann die Gemeinde mittels Autonomiebeschwerde rügen, dass
die kantonale Behörde die Tragweite des betreffenden Individualrechtes
verkenne und dieses zu Unrecht als verletzt ansehe (BGE 103 Ia
195 f. E. 4a). In diesem Sinne ist auch im Rahmen der vorliegenden
Autonomiebeschwerde grundsätzlich mit freier Kognition zu prüfen, ob die
der angefochtenen Zoneneinteilung zugrunde liegende Interessenabwägung vor
der Eigentumsgarantie standhält. Liegt der behauptete Verstoss gegen Art.
22ter BV nicht vor, so verletzt der Entscheid des Verwaltungsgerichtes
die Gemeindeautonomie. Entsprechendes gilt im Prinzip für die Handhabung
von Art. 4 BV: Hebt eine auf Rechtskontrolle beschränkte kantonale
Beschwerdeinstanz einen kommunalen Hoheitsakt zu Unrecht auf, weil sie
im Vorgehen der Gemeinde fälschlicherweise eine Ermessensüberschreitung
und einen Verstoss gegen das Willkürverbot erblickt, so verletzt sie damit
die Gemeindeautonomie (BGE 100 Ia 291; 97 I 134 ff; ZIMMERLI, ZBl 73/1972,
S. 267).

Erwägung 3

    3.- Die Seelandschaft des Oberengadins gehört zu den schönsten
Landschaften der Schweiz. Sie ist durch ihre einzigartige Gestaltung
sogar von europäischer Bedeutung. Das Dorf Sils, zwischen Silvaplaner- und
Silsersee gelegen, nimmt in dieser Landschaft eine exponierte Stellung ein.
Massnahmen zur Bewahrung des Landschaftsbildes und zum Schutz vor störender
oder verunstaltender Überbauung liegen daher im öffentlichen Interesse und
dienen einem gewichtigen Anliegen der Allgemeinheit. Dieses öffentliche
Interesse hat gegenüber dem finanziellen Interesse der Eigentümer an
einer möglichst gewinnbringenden Verwertung ihres Landes grundsätzlich
den Vorrang (BGE 102 Ia 433/34; 98 Ia 377).

    a) Mit dem am 18. Juli 1975 beschlossenen neuen Zonenplan will
die Gemeinde Sils i.E. zum Schutz des Landschafts- und Ortsbildes die
Bauzonen auf das unbedingt notwendige Ausmass reduzieren und zugleich
die beiden Ortsteile Sils-Baselgia und Sils-Maria nach Möglichkeit
getrennt halten. Sie hat dementsprechend längs der Verbindungsstrasse
zwischen den beiden Ortsteilen nur die bereits überbauten Grundstücke
in der Bauzone belassen, die übrigen Parzellen dagegen in das übrige
Gemeindegebiet gewiesen. Gleichzeitig soll auch die Umgebung östlich,
nördlich und westlich des Muot Marias, eines markanten bewaldeten Hügels
in der Mündung des Fextales, von der Überbauung freigehalten werden.

    b) Im Genehmigungs- und Beschwerdeentscheid der Regierung wird
festgestellt, dass es sich aus Gründen des Landschaftsschutzes und der
Siedlungsgestaltung rechtfertigen lasse, im Ortsteil Sils-Baselgia die
Bauzone auf das im wesentlichen bereits überbaute Gebiet zu beschränken
und dass es dem Planungskonzept widerspräche, den südwestlichen Teil der
Parzelle Nr. 2286 von Josef Müssgens ebenfalls einzuzonen.

    Der Beschwerdeführer Josef Müssgens bestreitet, dass es im öffentlichen
Interesse liege, den fraglichen Teil der genannten Parzelle von der
Überbauung freizuhalten. Im Süden, Westen und Osten sei das gesamte
Gebiet bereits überbaut und dementsprechend auch einer Bauzone zugewiesen
bzw. in der Bauzone belassen worden. Durch eine Überbauung des dazwischen
liegenden Teils der Parzelle Nr. 2286 werde das Landschafts- und Ortsbild
in keiner Weise beeinträchtigt. Anderseits habe er, Josef Müssgens, ein
wesentliches Interesse daran, dass wenigstens dieser Teil des Grundstückes,
der bereits erschlossen sei, in der Bauzone belassen werde.

    Das Verwaltungsgericht hat sich dieser Argumentation im wesentlichen
angeschlossen und dem Begehren um Einzonung des betreffenden Landstücks
entsprochen. Es setzte sich dabei über die dargelegte Kompetenzaufteilung
zwischen Regierung und Verwaltungsgericht insofern hinweg, als es auch
das der angefochtenen Zoneneinteilung zugrunde liegende Planungskonzept
sachlich überprüfte. Es führte aus, die Absicht der Gemeinde, aus
Gründen des Ortsbildschutzes die beiden alten romanischen Dorfteile
in sich geschlossen und das Gebiet Zwischen diesen beiden Fraktionen
möglichst frei zu halten, sei sicher grundsätzlich schützenswert. Doch sei
dieses Planungsziel bei der heute gegebenen baulichen Situation beinahe
illusorisch. Jedenfalls sei schwer einzusehen, inwiefern die Nichteinzonung
des streitigen Areals diesem Ziel dienlich sein solle. Gerade im
Bereich der Siedlung Sils-Baselgia sei die bauliche Entwicklung so weit
fortgeschritten, dass die Freihaltung des fraglichen Parzellenteils nicht
geeignet sei, die gewollte Trennung der beiden alten Dorfteile und die
Schaffung einer baulichen Zäsur herbeizuführen. Die angefochtene Massnahme
beruhe auf keinem öffentlichen Interesse, welches das entgegenstehende
private Interesse des Grundeigentümers überwiegen würde.

    Die Gemeinde Sils i.E. räumt ein, dass zwischen Sils-Baselgia und
Sils-Maria schon eine Reihe von Bauten stünden. Es habe sich daher nicht
umgehen lassen, einen Teil des zwischen den Ortsteilen liegenden Gebietes
der Zone für Wohnquartiere zuzuweisen. Gleichzeitig habe die Gemeinde aber
alles daran gesetzt, die Siedlungen Sils-Baselgia und Sils-Maria nach
Möglichkeit getrennt zu halten, und daher entlang der Strasse zwischen
den beiden Ortsteilen nur noch gerade die bereits überbauten Parzellen
eingezont. Die Freihaltung des Gebietes vor dem Hotel Margna einerseits
und vor dem Hügel Muot Marias anderseits sei zur Aufrechterhaltung dieses
Planungskonzeptes notwendig. Ausserdem ermöglichten diese Zäsuren einen
Blick in Richtung auf den Silvaplanersee.

    c) Der Augenschein hat gezeigt, dass sich die planerischen Argumente
der Gemeinde mit guten Gründen vertreten lassen. Würde der fragliche
Teil der Parzelle Nr. 2286 zur Überbauung freigegeben, so wäre das
Ziel, ein Zusammenwachsen der beiden Ortsteile zu verhindern, in der
Tat in Frage gestellt; es könnten alsdann auch die Eigentümer anderer
unüberbauter Grundstücke entlang der Verbindungsstrasse entsprechende
Einzonungsbegehren stellen. Eine zusätzliche Überbauung dieser Ebene
würde sich auf das Landschaftsbild nachteilig auswirken. Dass eine Reihe
umliegender Grundstücke bereits in früherer Zeit überbaut wurden und
daher eingezont bleiben mussten, ist zu bedauern; doch ist dies nicht
Grund genug, die planerischen Bemühungen zum Schutz des Landschafts-
und Ortsbildes aufzugeben und der Überbauung dieses Gebietes freien Lauf
zu lassen. Mit der Freihaltung des streitigen Areals ist zwar nicht der
Blick auf den Silvaplanersee gewährleistet, wohl aber der Durchblick auf
die landschaftlich reizvolle Ebene gegen den Silvaplanersee. Es lassen sich
somit für die Auszonung dieses Landstückes stichhaltige Gründe anführen.

    Das dargelegte öffentliche Interesse verdient gegenüber den berührten
privaten lnteressen des beschwerdeführenden Grundeigentümers den Vorzug.
Zunächst ist festzuhalten, dass bei der Zonenplanrevision von 1975 die
Grenze der Gefahrenzone im Bereiche der Parzelle Nr. 2286 etwas nach
Westen zurückversetzt wurde, was es Josef Müssgens ermöglichte, westlich
des Hotelgebäudes ein dreigeschossiges Personalhaus zu erstellen. Sein
Interesse, über Reservebauland für Betriebserweiterungen zu verfügen,
erscheint für die nähere Zukunft nicht als aktuell. Sollte sich ein solches
Bedürfnis aktualisieren, so wäre im Rahmen der allfälligen Planänderung
zu prüfen, ob die Erweiterung der Bauzone auf Parzelle Nr. 2286 nicht
eher in nordöstlicher Richtung statt entlang der Strasse nach Sils-Maria
erfolgen sollte. Das geltend gemachte Bedürfnis nach einer Baulandreserve
für die drei Kinder muss ebenfalls zurücktreten, schon deshalb, weil solche
Bauten nicht auf einen bestimmten Standort angewiesen sind. Irgendwelche
Umstände, welche das private Interesse an der Belassung des streitigen
Parzellenteiles in der Bauzone als besonders gewichtig und schützenswert
erscheinen lassen würden, liegen nicht vor. Das der angefochtenen Auszonung
entgegenstehende private Interesse ist im wesentlichen rein finanzieller
Natur. Es ist, falls in der Auszonung eine materielle Enteignung liegen
sollte, durch eine Entschädigung abzugelten. Doch vermag es, was die
sachliche Zulässigkeit der angefochtenen Planungsmassnahme anbelangt,
das dargelegte öffentliche Interesse an der Freihaltung des Areals nicht
aufzuwiegen.

    d) Die Rüge der Verletzung der Eigentumsgarantie erweist sich somit
als unbegründet. Ebensowenig kann der Gemeinde vorgeworfen werden, dass
sie bei der Ausübung ihres planerischen Ermessens in Willkür verfallen
sei und dadurch Art. 4 BV verletzt habe. Indem das Verwaltungsgericht
zu Unrecht eine derartige Verfassungsverletzung annahm und die
Wiedereinzonung des fraglichen Parzellenteiles anordnete, verletzte
es die Gemeindeautonomie. Die von der Gemeinde Sils i.E. erhobene
staatsrechtliche Beschwerde ist daher gutzuheissen und das Urteil des
Verwaltungsgerichtes aufzuheben. Das weitergehende Begehren der Gemeinde,
es sei zugleich der beim Verwaltungsgericht erhobene Rekurs abzuweisen,
ist unzulässig; es obliegt dem Verwaltungsgericht, über dieses bei ihm
hängige Rechtsmittel nach Massgabe der bundesgerichtlichen Erwägungen
neu zu entscheiden. Die staatsrechtliche Beschwerde des Josef Müssgens
ist nach dem Gesagten abzuweisen.