Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 V 74



103 V 74

20. Urteil vom 6. September 1977 i.S. L. gegen Allgemeine Krankenkasse
Zürich und Versicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 12 KUVG. Zur Leistungspflicht der Krankenkassen aus der
Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung bei ambulanter Behandlung in
einer Heilanstalt.

Sachverhalt

    A.- M. L. ist bei der Allgemeinen Krankenkasse Zürich für
Krankenpflege und zusätzlich für Spitalkosten (Fr. 90.-- im Tag) sowie
für Spitalbehandlungskosten (bis Fr. 5'000.--) versichert. Am 13. April
1976 musste sie sich einer medizinisch indizierten Sterilisation
unterziehen. Der Eingriff erfolgte nach der laparoskopischen Methode,
wobei die Versicherte noch am gleichen Tag nach Hause entlassen werden
konnte. Dr. med. M. stellte für die Operation und für Konsultationen
Rechnung im Betrage von Fr. 725.--. Dazu kamen Rechnungen für die Narkose
von Fr. 250.-- sowie für "Operationssaalbenützung, Narkosemittel, Lösungen,
Verbandmaterial und Wäscheverbrauch" von Fr. 550.--. Die Versicherte
überwies die Rechnungen im Gesamtbetrag von Fr. 1'525.-- der Krankenkasse
in der Meinung, diese habe für die Kosten voll aufzukommen.

    Am 16. Juli 1976 teilte die Kasse dem Ehemann der Versicherten
verfügungsweise mit, an die Behandlungskosten werde lediglich ein Beitrag
von Fr. 300.-- geleistet. Massgebend sei die ärztliche Taxordnung der
Krankenkassen im Kanton Zürich. Da jedoch für den durchgeführten Eingriff
keine besondere Tarifposition bestehe, sei die Vergütung vom Vertrauensarzt
unter Berücksichtigung des Aufwandes festgesetzt Worden. Leistungen aus
der Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung könnten nicht erbracht
werden, weil die Behandlung ambulant erfolgt sei.

    B.- Beschwerdeweise machte der Ehemann der Versicherten geltend,
die Operation habe nicht ausserhalb eines Spitals durchgeführt werden
können. Eine Hospitalisation habe tatsächlich stattgefunden, auch wenn
sie nur von kurzer Dauer gewesen sei. Dass die Versicherte das Spital
gleichentags habe verlassen können, sei der neuartigen Operationsmethode
und dem Umstand zu verdanken, dass keinerlei Komplikationen eingetreten
seien.

    Das Versicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit
Entscheid vom 24. September 1976 ab. Das Gericht stellte im wesentlichen
fest, Leistungen der Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung setzten
einen Spitalaufenthalt voraus. Ein solcher liege nicht vor, wenn sich der
Versicherte einer Behandlung im Spital unterziehe und noch gleichentags
wieder nach Hause entlassen werde. Die Beschwerdeführerin habe daher
keinen Anspruch auf Leistungen der Zusatzversicherung. Dass die Kasse die
Leistungen aus der Krankenpflegeversicherung auf Fr. 300.-- beschränkt
habe, sei nicht zu beanstanden.

    C.- Vertreten durch ihren Ehemann, erhebt die Versicherte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, die Krankenkasse sei zu
verpflichten, die Kosten der Sterilisation voll zu übernehmen. Zur
Begründung wird vorgebracht, nach dem einschlägigen Kassenreglement
setzten die Leistungen der Zusatzversicherung keine Mindestdauer des
Spitalaufenthaltes voraus. Auch sei unbeachtet geblieben, dass der Eingriff
ausschliesslich in einem Spital mit entsprechenden zusätzlichen Kosten
durchgeführt werden könne. Die Ausrichtung einer Pauschalvergütung von
Fr. 300.-- erweise sich daher als willkürlich.

    Die Krankenkasse und das Bundesamt für Sozialversicherung beantragen
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG umfassen die Leistungen
der Krankenpflegeversicherung bei ambulanter Behandlung die ärztliche
Behandlung, die vom Arzt angeordneten, durch medizinische Hilfspersonen
vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen, die vom Arzt
verordneten Arzneimittel und angeordneten Analysen und die Behandlung
durch einen Chiropraktor. Nach Ziffer 2 der Bestimmung haben die Kassen
bei Aufenthalt in einer Heilanstalt die zwischen dieser und der Kasse
vertraglich festgelegten Leistungen zu übernehmen, mindestens aber die
ärztliche Behandlung, einschliesslich der wissenschaftlich anerkannten
Heilanwendungen, der Arzneimittel und Analysen nach den Taxen der
allgemeinen Abteilung sowie einen täglichen Mindestbeitrag an die übrigen
Kosten der Krankenpflege.

    Das Gesetz enthält keine Bestimmungen darüber, nach welchen Kriterien
die insbesondere für die Leistungsdauer (Art. 12 Abs. 3 und 4 KUVG) und
die Kostenbeteiligung des Versicherten (Art. 14bis KUVG) wesentliche
Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung zu erfolgen
hat. Praxisgemäss liegt eine ambulante Behandlung auch dann vor, wenn
die medizinische Massnahme in einer Heilanstalt durchgeführt wird,
der Versicherte jedoch am gleichen Tag nach Hause zurückkehren kann
(vgl. BONER/HOLZHERR, Die Krankenversicherung, S. 41). Stationäre
Behandlung ist anzunehmen, wenn sich der Versicherte während mehr
als eines Tages unter Inanspruchnahme eines Spitalbettes in einer
Heilanstalt zur Behandlung aufhält. Besondere Regeln gelten für partiellen
Heilanstaltsaufenthalt (vgl. RSKV 1970 S. 233).

Erwägung 2

    2.- a) Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die streitige Operation
als ambulante Behandlung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG zu gelten
hat. Weil die Beschwerdeführerin das Spital noch am Tage des Eingriffs
wieder verlassen konnte, steht ihr kein Anspruch auf Kassenleistungen
nach den für stationäre Heilanstaltsbehandlung gültigen Regeln zu.

    b) Es stellt sich indessen die Frage, ob die Beschwerdeführerin aus den
vereinbarten Zusatzversicherungen weitergehende Leistungen beanspruchen
kann. Mit Bezug auf die Spitalkosten-Zusatzversicherung ist dies schon
deshalb zu verneinen, weil ihr keine Unterkunfts- und Verpflegungskosten
aus stationärer Behandlung entstanden sind. Fraglich erscheint dagegen,
wie es sich hinsichtlich der Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung
verhält. Diesbezüglich läge es nahe, die Leistungen von einer stationären
Behandlung im Sinne der für die Krankenpflegeversicherung massgebenden
Abgrenzung abhängig zu machen. Damit bliebe jedoch unberücksichtigt,
dass heute vermehrt Eingriffe, die der Arzt früher in der eigenen Praxis
vorgenommen hat, ambulant im Spital durchgeführt werden. Anderseits
hat sich die Zahl der ambulanten Spitalbehandlungen dadurch erhöht,
dass Eingriffe, die bisher eine mehrtägige Hospitalisation notwendig
machten, dank neuer Behandlungsmethoden ambulant durchgeführt werden
können. Es ist offensichtlich, dass dem Versicherten dadurch zunehmend
Lücken im Versicherungsschutz entstehen. die Anlass dazu geben können, den
Spitalaufenthalt über das Notwendige hinaus zu verlängern. Unbefriedigend
ist auch, dass der Arzt, welcher eine üblicherweise stationär durchgeführte
Behandlung kostensparend ambulant vornimmt, den Versicherten mit Kosten
belastet, die sonst ganz oder teilweise die Krankenkasse tragen müsste.

    Diese schon im Rahmen der Grundversicherung nicht befriedigenden
Ergebnisse erweisen sich umso stossender, wenn der Versicherte
Zusatzversicherungen abgeschlossen hat mit dem Zweck, sich auch gegen die
von der Krankenpflegeversicherung nicht gedeckten Kosten einer im Spital
durchgeführten Behandlung abzusichern. Wie das Gesamtgericht entschieden
hat, ist dem Versicherten daher ein Anspruch auf Leistungen aus der
Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung grundsätzlich auch für die in
Heilanstalten vorgenommene ambulante Behandlung einzuräumen. Voraussetzung
ist, dass eine Durchführung der Massnahme im Spital medizinisch notwendig
ist. Vorbehalten bleiben statutarische Bestimmungen, mit welchen
Leistungen aus der Zusatzversicherung bei ambulanter Spitalbehandlung
ausgeschlossen werden.

Erwägung 3

    3.- Demnach bleibt lediglich zu prüfen, ob die Statuten
und Reglemente der Allgemeinen Krankenkasse Zürich Leistungen
der Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung an die streitige
Behandlung ausdrücklich ausschliessen. Laut Art. 1 des massgebenden
Kassenreglementes bezweckt die Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung,
die "für Krankenpflege versicherten Mitglieder in Ergänzung
der Spitalkosten-Zusatzversicherung bei Aufenthalt in
Akutspitälern ... zusätzlich zu versichern". Leistungen
der Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung setzen nach
Art. 3 des Reglementes voraus, dass der Versicherte auch
der Spitalkosten-Zusatzversicherung beigetreten ist; dagegen
ergibt sich aus dem Kassenreglement nicht, dass Leistungen aus
der Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung nur erbracht
werden, falls der Versicherte gleichzeitig auch Leistungen der
Spitalkosten-Zusatzversicherung beanspruchen kann. Hiezu besteht auch keine
sachliche Notwendigkeit, von welcher Annahme das Eidg. Versicherungsgericht
schon in seinem Urteil vom 29. Mai 1972 i.S. Beaud ausgegangen ist (RSKV
1972 S. 175 Erw. 5b).

    Im übrigen enthalten weder die Statuten noch das Kassenreglement
besondere Leistungsvoraussetzungen, die im vorliegenden Zusammenhang
zu beachten wären. Namentlich verlangt das Kassenreglement
keine Mindestdauer des Spitalaufenthaltes für die Leistungen der
Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung. Es kann daher nicht gesagt
werden, die Kassenbestimmungen schlössen Leistungen der Zusatzversicherung
bei ambulanter Spitalbehandlung ausdrücklich aus.

Erwägung 4

    4.- Demzufolge hat die Beschwerdeführerin grundsätzlich Anspruch auf
Leistungen auch aus der Spitalbehandlungskosten-Zusatzversicherung. Damit
ist nicht gesagt, dass die Kasse für die gesamten Kosten gemäss den ihr
von der Versicherten eingereichten Rechnungen aufzukommen hat.

    Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführerin - weil keine stationäre
Heilanstaltsbehandlung im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG vorliegt -
ein Selbstbehalt aufzuerlegen ist, bleibt offen, inwieweit die Rechnungen
in tariflicher Hinsicht zu Recht bestehen. Wie es sich damit verhält,
hat zunächst die Krankenkasse festzustellen.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung vom 16. Juli 1976
aufgehoben und die Krankenkasse verhalten, der Versicherten eine neue
beschwerdefähige Verfügung über die ihr zustehenden Kassenleistungen
zuzustellen.