Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 V 52



103 V 52

13. Urteil vom 20. September 1977 i.S. S. gegen Ausgleichskasse des
Verbandes Schweizer Metzgermeister und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich Regeste

    Herabsetzung von Sozialversicherungsbeiträgen (Art. 11 Abs. 1 AHVG).

    - Zeitlich massgebender Sachverhalt.

    - Voraussetzungen der Herabsetzung.

Sachverhalt

    A.- S. ist Metzgermeister in selbständiger Stellung und hat
daher der Ausgleichskasse des Verbandes Schweizer Metzgermeister
die Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Gestützt auf die
Wehrsteuermeldung der 18. Periode vom 25. April 1976 setzte die
Ausgleichskasse am 19. Mai 1976 seine persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge
für die Jahre 1976 und 1977 aus einem reinen Erwerbseinkommen
von Fr. 100'105.-- auf jährlich Fr. 8'908.80 fest. Mit einem
Herabsetzungsgesuch verlangte S. am 16. August 1976 die Reduktion
des jährlichen Beitrages auf Fr. 4'000.--, weil sich seine
Einkommensverhältnisse im Jahre 1976 wesentlich verändert hätten. Die
Ausgleichskasse wies das Gesuch am 23. August 1976 verfügungsweise ab.

    B.- S. liess gegen diese Verfügung bei der AHV-Rekurskommission
des Kantons Zürich Beschwerde einreichen und geltend machen, sein
Einkommen betrage nicht mehr Fr. 113'000.--, sondern lediglich zwischen
Fr. 70'000.-- und Fr. 90'000.--; er bitte daher, den festgesetzten Betrag
zu reduzieren. - Die Rekurskommission wies die Beschwerde mit Entscheid
vom 21. März 1977 ab, soweit sie darauf eintrat. Die Begründung ergibt
sich im wesentlichen aus den nachfolgenden Erwägungen.

    C.- Der Versicherte gelangt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
rechtzeitig an das Eidg. Versicherungsgericht und lässt sein Begehren
um Herabsetzung seiner Sozialversicherungsbeiträge auf Fr. 4'000.--
erneuern. Zur Begründung wird ausgeführt, er habe infolge Scheidung die
Geschäftsliegenschaft käuflich erwerben müssen. Dies bewirke, dass alle
verfügbaren Mittel in diese Liegenschaft investiert bzw. an die geschiedene
Frau ausbezahlt worden seien. Damit die Weiterführung des Geschäftes
gewährleistet sei, müsse er sämtliche Abgaben auf ein erträgliches Mass
reduzieren lassen.

    Die Ausgleichskasse trägt in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Sie weist zudem darauf hin, dass sie
von der Steuerverwaltung eine rektifizierte Meldung erhalten habe. Das
Einkommen betrage nun für das Jahr 1973 Fr. 94'059.-- und für das Jahr
1974 Fr. 99'199.--; das im Betrieb arbeitende Eigenkapital belaufe sich
auf Fr. 295'000.--. Die Sozialversicherungsbeiträge verminderten sich
daher für die Jahre 1976 und 1977 auf je Fr. 7'288.80.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ist einem obligatorisch Versicherten die Bezahlung der Beiträge
aus selbständiger Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten, so können seine
Beiträge auf begründetes Gesuch hin für bestimmte oder unbestimmte Zeit
angemessen herabgesetzt werden (Art. 11 Abs. 1 AHVG). Die Voraussetzung
der Unzumutbarkeit ist erfüllt, wenn der Beitragspflichtige bei Bezahlung
des vollen Beitrages seinen und seiner Familie Notbedarf nicht befriedigen
könnte.

    Nach ständiger Rechtsprechung (BGE 96 V 143 Erw. 3; EVGE 1965
S. 200) beurteilt der Sozialversicherungsrichter die Gesetzmässigkeit
der angefochtenen Verfügungen in der Regel nach dem Sachverhalt, der zur
Zeit des Verfügungserlasses gegeben war. Tatsachen, die jenen Sachverhalt
seither verändert haben, sollen in Normalfall Gegenstand einer neuen
Verwaltungsverfügung sein. Es fragt sich, ob diese Ordnung auch für
die richterliche Kontrolle von Verwaltungsverfügungen über Erlass oder
Herabsetzung von Forderungen des Versicherungsträgers wegleitend sein kann.

    Da der ganze oder partielle Erlass solcher Forderungen eine
wirtschaftliche Notlage des Schuldners voraussetzt (Art. 11 und Art. 47
Abs. 1 AHVG), muss der endgültige Erlass- bzw. Herabsetzungsentscheid
- unter Vorbehalt von Fällen missbräuchlicher Verzögerung - auf die
ökonomischen Verhältnisse des Schuldners abstellen, die im Zeitpunkt
gegeben sind, da er bezahlen sollte. Damit ist zugleich gesagt, dass
weder weit zurückliegende noch durchschnittliche wirtschaftliche
Verhältnisse entscheidend sein können. Dennoch ist der im Erlass-
bzw. Herabsetzungsprozess erstmals angerufene Richter nicht verpflichtet,
direkt und abschliessend zu überprüfen, ob und allenfalls wie weit sich
die wirtschaftliche Lage des Schuldners seit Eröffnung der angefochtenen
Verfügung über das Erlass- oder Herabsetzungsgesuch verändert hat. Der
Richter kann sich gegebenenfalls auf die Feststellung beschränken, dass
die Verwaltungsverfügung zur Zeit ihrer Eröffnung richtig war, und es der
Partei, die seither veränderte erhebliche Tatsachen behauptet, überlassen,
eine neue Verfügung zu provozieren. Es ist ihm aber auch nicht verwehrt,
unter Umständen - aus prozessökonomischen Gründen - nach Gewährung des
rechtlichen Gehörs seinem Urteil den neuen Sachverhalt zugrunde zu legen,
wie er dies übrigens - obschon ausnahmsweise - auf andern Gebieten des
Sozialversicherungsrechts tut (BGE 98 V 251, 98 Ib 512).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall ist es einerlei, ob auf den Sachverhalt
zur Zeit des Verfügungserlasses oder auf die gegenwärtige Lage des
Beschwerdeführers abgestellt wird. Wie das Eidg. Versicherungsgericht
im nicht veröffentlichten Entscheid vom 27. Juni 1966 i.S. Magnenat
ausführte, ist nicht nur auf das Erwerbseinkommen, sondern auf die
gesamte wirtschaftliche Lage des Beitragspflichtigen abzustellen
(Vermögen, Vermögensertrag, Verdienst weiterer Familienmitglieder,
Schulden, Unterhalts- und Unterstützungspflichten). Aus der von der
Kasse in der Vernehmlassung angeführten rektifizierten Wehrsteuermeldung
geht hervor, dass der Beschwerdeführer 1973 ein steuerbares Einkommen
von Fr. 94'059.-- und 1974 ein solches von Fr. 99'199.-- erzielte.
Nach Darstellung des Beschwerdeführers erfolgte in der Zwischenzeit
die Scheidung seiner Ehe. Nähere Angaben über die dadurch bewirkte
Vermögens- und Einkommensveränderung werden von ihm nicht dargelegt,
es findet sich lediglich der Hinweis, dass er wegen der Scheidung die
Geschäftsliegenschaft habe erwerben müssen; selbst wenn man jedoch annimmt,
dass sich die güterrechtliche Auseinandersetzung auf die Vermögenslage
des Beschwerdeführers auswirkte und dass allfällige Unterhalts-
und Unterstützungspflichten das Nettoeinkommen des Beschwerdeführers
vermindern, kann bei den angeführten Einkommensverhältnissen der Jahre
1973/1974, die sich bis heute offenbar nicht wesentlich zu Ungunsten des
Beschwerdeführers veränderten - in der erstinstanzlichen Beschwerde wird
ein Einkommen von Fr. 70'000.-- bis Fr. 90'000.-- behauptet -, von einer
Notlage im Sinne von Art. 11 Abs. 1 AHVG keine Rede sein. Dies auch dann
nicht, wenn der Beschwerdeführer durch den Kauf der Geschäftsliegenschaft
vorübergehend in Liquiditätsschwierigkeiten geraten sein sollte.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.