Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 V 46



103 V 46

11. Auszug aus dem Urteil vom 10. Januar 1977 i.S. Oetiker gegen
Staatliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt und Schiedskommission für
Arbeitslosenversicherung des Kantons Basel-Stadt Regeste

    Der Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung besteht, unter
gleichen Voraussetzungen in allen Zweigen der bundesrechtlichen
Sozialversicherung, auch für das kantonale Beschwerdeverfahren (Bestätigung
der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    II.1.- a) Im Gegensatz zu Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG, anwendbar
auch auf dem Gebiete der Invalidenversicherung (Art. 69 IVG), der
Ergänzungsleistungen (Art. 7 Abs. 2 ELG), der Erwerbsersatzordnung
(Art. 24 EOG) und der Familienzulagen für landwirtschaftliche Arbeitnehmer
und Kleinbauern (Art. 22 Abs. 3 FLG) sowie im Gegensatz zu Art. 56
Abs. 1 lit. d MVG und Art. 30bis Abs. 3 lit. f und 121 Abs. 1 KUVG,
welche dem Beschwerdeführer im kantonalen Beschwerdeverfahren einen
Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung einräumen, enthält das AlVG
keine entsprechende Bestimmung. Es fragt sich, ob diese Differenzierung
innerhalb der eidgenössischen Sozialversicherungsgesetzgebung vom Richter
und den Parteien hinzunehmen ist.

    b) Gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG kann eine bedürftige Partei, deren
Begehren nicht zum vorneherein aussichtslos erscheint, auf Gesuch von der
Bezahlung von Verfahrenskosten befreit werden. Und laut Abs. 2 kann der
bedürftigen Partei ein Anwalt beigegeben werden, wenn sie nicht imstande
ist, ihre Sache selbst zu vertreten.

    Diese Ordnung über die unentgeltliche Verbeiständung ist indessen
laut Art. 1 Abs. 3 VwVG im kantonalen Beschwerdeverfahren nicht
anwendbar. Deshalb ist nach den besonderen Bestimmungen der einzelnen
Sozialversicherungsgesetze des Bundes und - im Rahmen dieses Bundesrechts
- der Kantone zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen einer Partei
im kantonalen Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege -
insbesondere die unentgeltliche Verbeiständung - bewilligt werden muss. Das
Eidg. Versicherungsgericht erklärte dazu in BGE 98 V 116, es rechtfertige
sich, die unentgeltliche Rechtspflege in allen Sozialversicherungszweigen
auf der jeweils gleichen Verfahrensstufe unter gleichen Voraussetzungen
zu gewähren.

    Darauf weisen auch die weitgehend identischen Formulierungen
betreffend die unentgeltliche Rechtspflege in den einzelnen
Sozialversicherungsgesetzen hin. Der Anspruch auf unentgeltliche
Verbeiständung namentlich besteht in der Regel dort, "wo die
Verhältnisse es rechtfertigen" (Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG, Art.
56 Abs. 1 lit. d MVG, Art. 30bis Abs. 3 lit. f KUVG; vgl. Art. 121
Abs. 1 KUVG). Die unentgeltliche Verbeiständung muss mithin - unter der
gleichzeitigen Voraussetzung, dass die Partei bedürftig und der Prozess
nicht offensichtlich aussichtslos ist - grundsätzlich bewilligt werden,
sofern sie nach den konkreten objektiven und subjektiven Umständen nicht
als unnötig erscheint. Praktisch wird man sich im Einzelfall fragen,
ob eine nicht bedürftige Partei unter sonst gleichen Verhältnissen
vernünftigerweise einen Rechtsanwalt beiziehen würde, weil sie selber
zuwenig rechtskundig ist und das Interesse am Prozessausgang den Aufwand
rechtfertigt (BGE 98 V 118).

    Dem Sinne des Art. 65 Abs. 2 VwVG und der bisherigen Rechtsprechung
nach (BGE 98 V 116) besteht mangels anderer bundesgesetzlicher
Willensäusserung kein Grund, dem bedürftigen Rechtsuchenden, dessen
Ansprüche aus dem AlVG nicht offensichtlich aussichtslos sind, die
unentgeltliche Verbeiständung im kantonalen Beschwerdeverfahren zu
verweigern, zumal diese unter sonst gleichen Voraussetzungen für die
Verfechtung von Ansprüchen aus allen übrigen Sozialversicherungsgesetzen
des Bundes gewährt werden kann. Zu diesem Ergebnis war das
Eidg. Versicherungsgericht für den letztinstanzlichen Prozess unter
der Herrschaft des alten Verfahrensrechts (Bundesbeschluss betreffend
die Organisation und das Verfahren des Eidg. Versicherungsgerichts vom
28. März 1917) schon in EVGE 1962 S. 163 gelangt.