Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 V 114



103 V 114

28. Urteil vom 28. November 1977 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung
gegen Herren und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 33 Abs. 3 AHVG. Berechnung der einfachen Altersrente der Witwe auf
Grund ihrer eigenen Erwerbseinkommen und Beitragszeiten: zur Anwendbarkeit
der Vergleichsrechnung gemäss BGE 101 V 184

Sachverhalt

    A.- Die seit April 1952 verwitwete Josy Herren vollendete am
21. Dezember 1975 ihr 62. Altersjahr. Am 27. Oktober 1975 meldete sie
sich zum Bezug einer Altersrente der AHV an.

    Mit Verfügung vom 2. Februar 1976 sprach ihr die Ausgleichskasse
ab 1. Januar 1976 eine einfache Altersrente von Fr. 730.-- im Monat auf
Grund eines eigenen durchschnittlichen Jahreseinkommens von Fr. 19'800.--
aus 24 Jahren gemäss Rentenskala 25 zu.

    B.- Die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich wies eine auf die
Gewährung einer höheren Rente gerichtete Beschwerde mit der Feststellung
ab, die Ausgleichskasse habe der Versicherten die nach den gesetzlichen
Bestimmungen und den massgebenden Berechnungsgrundlagen höchstmögliche
Rente zugesprochen (Entscheid vom 29. April 1976).

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde
macht das Bundesamt für Sozialversicherung geltend, entgegen der
vorinstanzlichen Auffassung sei bei der Rentenberechnung auf Grund der
eigenen Erwerbseinkommen und Beitragszeiten der Witwe die Summe der
Erwerbseinkommen durch die Anzahl Jahre der gesamten Versicherungszeit
(28 Jahre) zu teilen, womit sich eine einfache Altersrente von Fr. 690.--
im Monat bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von Fr. 17'400.--
ergebe. Zur Begründung verweist das Bundesamt auf die Rechtsprechung
des Eidg. Versicherungsgerichts und die gestützt hierauf erlassenen
Verwaltungsweisungen.

    Die Beschwerdegegnerin hat sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
nicht vernehmen lassen.

    D.- In einer im Instruktionsverfahren angeordneten ergänzenden
Stellungnahme äussert sich das Bundesamt für Sozialversicherung zu den
grundsätzlichen Fragen, welche sich im vorliegenden Fall erheben. Darauf
ist, soweit erforderlich, in den nachstehenden Erwägungen zurückzukommen.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Die Berechnung der ordentlichen einfachen Altersrente
erfolgt grundsätzlich nach dem Verhältnis der vollen Beitragsjahre des
Versicherten zu den vollen Beitragsjahren seines Jahrgangs und nach dem
massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommen des Versicherten. Bei
vollständiger Beitragsdauer (Art. 29bis Abs. 1 AHVG) besteht Anspruch
auf die volle Rente, bei unvollständiger Beitragsdauer auf eine Teilrente
entsprechend dem gerundeten Verhältnis zwischen den vollen Beitragsjahren
des Versicherten und denjenigen seines Jahrganges (Art. 29 Abs. 2 und
Art. 38 Abs. 2 AHVG). Innerhalb der anwendbaren Rentenskala (Art. 52 AHVV)
bestimmt sich der Rentenbetrag nach dem durchschnittlichen Jahreseinkommen
des Versicherten (Art. 30 Abs. 1 AHVG). Dieses wird ermittelt, indem die
Summe der Erwerbseinkommen, von denen der Versicherte bis zum 31. Dezember
des Jahres, das der Entstehung des Rentenanspruchs vorangeht, Beiträge
geleistet hat, durch die Anzahl Jahre geteilt wird, während welcher der
Versicherte seit dem 1. Januar des der Vollendung des 20. Altersjahres
folgenden Jahres bis zum genannten Zeitpunkt Beiträge geleistet hat
(Art. 30 Abs. 2 AHVG).

    b) Für die Berechnung der einfachen Altersrente von Witwen sind
nach Art. 33 Abs. 3 AHVG in der Regel die für die Berechnung der
Witwenrente (bzw. der Witwenabfindung) geltenden Berechnungsgrundlagen
massgebend. Der Rentenanspruch richtet sich demzufolge nach dem Verhältnis
der vollen Beitragsjahre des verstorbenen Ehemannes zu denjenigen seines
Jahrganges und nach dessen durchschnittlichem Jahreseinkommen (Art. 33
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 AHVG). Bei der Ermittlung des
durchschnittlichen Jahreseinkommens werden Erwerbseinkommen, von denen
die Ehefrau vor oder während der Ehe Beiträge entrichtet hat, jenen des
Ehemannes hinzugerechnet (Art. 32 Abs. 2 AHVG).

    Nach Art. 33 Abs. 3 AHVG kann die Berechnung der einfachen
Altersrente der Witwe nach den allgemeinen Berechnungsregeln,
d.h. auf Grund der eigenen vollen Beitragsjahre der Witwe und ihres
durchschnittlichen Jahreseinkommens erfolgen, sofern sich dadurch eine
höhere Rente ergibt. Dabei werden die Jahre, während welcher die Witwe
als nichterwerbstätige Ehefrau oder als nichterwerbstätige Witwe keine
Beiträge entrichtet hat, als volle Beitragsjahre gezählt (Art. 55 Abs. 2
AHVV). Dagegen sind gemäss bisheriger Praxis die beitragslosen Jahre
bei der Ermittlung des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens
nicht zu berücksichtigen (Rz. 448 der Wegleitung über die Renten vom
1. Januar 1971).

Erwägung 2

    2.- a) Wie das Eidg. Versicherungsgericht im Urteil vom 9.  Juli 1975
i.S. Forster (BGE 101 V 184) zur Berechnung der einer Ehefrau oder einer
geschiedenen Frau zukommenden einfachen Altersrente ausgeführt hat,
vermag eine unterschiedliche Behandlung der beitragslosen Ehejahre bei
der Ermittlung der anwendbaren Rentenskala (Art. 29bis Abs. 2 AHVG) und
bei der Festsetzung des massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens
(Art. 30 Abs. 2 AHVG) nicht zu befriedigen. Einerseits führte dies
(insbesondere beim Rentenanspruch von Ehefrauen, die im Betrieb des
Ehemannes mitarbeiten) zu Missbräuchen, indem mit einem einzigen
Beitragsjahr die Maximalrente erwirkt werden konnte; anderseits blieb
unberücksichtigt, dass erwerbstätige Ehefrauen neben ihrer Tätigkeit
als Hausfrau und Mutter in der Regel nur einen verhältnismässig geringen
Verdienst erzielen. Bei Frauen, die vor der Ehe oder nach geschiedener
Ehe erwerbstätig gewesen sind, konnte dies zur Folge haben, dass
das massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen und damit die zur
Ausrichtung gelangende einfache Altersrente geringer ausfiel, als wenn
die Versicherte während der Ehe nicht erwerbstätig gewesen wäre und keine
Beiträge geleistet hätte.

    Das Gericht gelangte daher zum Schluss, die Bestimmung von Art. 30
Abs. 2 AHVG sei dahingehend zu ergänzen, dass die beitragsfreien
Ehejahre auch bei der Ermittlung des massgebenden durchschnittlichen
Jahreseinkommens mitzuberücksichtigen sind. Gleichzeitig folgte es
einem Antrag des Bundesamtes für Sozialversicherung, wonach die einfache
Altersrente der verheirateten und der geschiedenen Frau auf Grund einer
Vergleichsrechnung festzusetzen ist, indem einerseits die Summe der
Erwerbseinkommen durch die Anzahl Jahre der gesamten Versicherungszeit
(Variante I) und anderseits nur die Einkommen vor der Ehe (bzw. bei
geschiedenen Frauen vor und nach der Ehe) durch die Zahl der entsprechenden
Beitragsjahre geteilt werden (Variante II). Massgebend ist alsdann das
für die Versicherte günstigere Ergebnis.

    b) In BGE 101 V 184 hat das Eidg. Versicherungsgericht offen gelassen,
ob die Vergleichsrechnung auch auf die einfache Altersrente der Witwe
Anwendung finden kann. Gemäss einem Beschluss des Gesamtgerichts ist
diese Frage nunmehr zu bejahen. Die für die neue Berechnungsmethode
massgebenden Überlegungen treffen weitgehend auch mit Bezug auf die
einfache Altersrente der Witwe zu. Insbesondere vermag auch im Rahmen von
Art. 33 Abs. 3 AHVG in Verbindung mit Art. 55 Abs. 2 AHVV eine ungleiche
Behandlung der beitragslosen Zeiten bei der Ermittlung der anwendbaren
Rentenskala und bei der Festsetzung des massgebenden durchschnittlichen
Jahreseinkommens nicht zu befriedigen. Es ist daher nicht zu beanstanden,
dass die Verwaltung die neue Berechnungsmethode auch auf die Berechnung
der einfachen Altersrente der Witwe anwendbar erklärt hat (ZAK 1975 S. 499
ff. sowie Kreisschreiben an die Ausgleichskassen vom 31. Dezember 1975
betreffend Neuregelung der Berechnung der einfachen AHV/IV-Rente von
Ehefrauen, geschiedenen Frauen und Witwen).

    Es gilt indessen zu berücksichtigen, dass sich die AHV-rechtliche
Stellung der Witwe von derjenigen der Ehefrau und namentlich auch von
derjenigen der geschiedenen Frau in wesentlichen Punkten unterscheidet. Von
Bedeutung ist namentlich, dass die nichterwerbstätige Witwe - im Gegensatz
zur geschiedenen Frau - von der Beitragspflicht befreit ist (Art. 3 Abs. 2
lit. c AHVG). Auf Grund von Variante II der Vergleichsrechnung könnten
daher Witwen, deren Ehe vor Inkrafttreten der AHV geschlossen wurde,
mit einer kurzfristigen Erwerbstätigkeit vor Erreichen der Altersgrenze
in den Genuss der Maximalrente gelangen. Es käme damit wieder zu den
oft missbräuchlich herbeigeführten stossenden Ergebnissen, die es
mit der Einführung der Vergleichsrechnung zu verhindern galt. Diesem
Umstand liesse sich zwar in der Weise Rechnung tragen, dass die nach der
Verwitwung erzielten Erwerbseinkommen durch die Anzahl Jahre der gesamten
Witwenzeit, d.h. unter Einschluss allfälliger beitragsloser Witwenjahre,
geteilt würden. Dies hätte jedoch eine ungleiche Behandlung der nach
Art. 3 Abs. 2 lit. c AHVG von der Beitragspflicht befreiten Witwenjahre
und der nach lit. b des gleichen Artikels beitragsbefreiten Ehejahre
zur Folge. Zudem gilt es zu beachten, dass Witwen künftig vermehrt
voreheliche Erwerbseinkommen und Beitragsjahre aufweisen werden und die
beitragslosen Witwenjahre das massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen
herabsetzen würden. In Übereinstimmung mit dem Antrag des Bundesamtes
für Sozialversicherung sind daher bei Variante II der Vergleichsrechnung
(Berechnung ohne Berücksichtigung der Ehezeit) nur die Erwerbseinkommen und
Beitragszeiten vor der Ehe, nicht dagegen diejenigen nach der Verwitwung
zu berücksichtigen.

    Die getroffene Regelung schliesst nicht aus, dass bei der nach der
Verwitwung erwerbstätigen Frau das durchschnittliche Jahreseinkommen
durch eine während der Dauer der Ehe ausgeübte Teilzeitarbeit (oder das
Fehlen jeglichen Erwerbseinkommens) herabgesetzt werden kann. Dies wirkt
sich auf den Rentenanspruch indessen selten aus, weil die Berechnung der
einfachen Altersrente auf den Grundlagen der Witwenrente in der Regel zu
einem günstigeren Ergebnis führt als die Berechnung auf Grund der eigenen
Erwerbseinkommen und Beitragszeiten der Witwe. Es lässt sich daher auch
unter diesem Gesichtspunkt vertreten, die Vergleichsrechnung gemäss BGE
101 V 184 nur in eingeschränkter Form auf die einfache Altersrente der
Witwe anzuwenden.

Erwägung 3

    3.- a) Im vorliegenden Fall ist für die Berechnung der einfachen
Altersrente nach der allgemeinen Regel des Art. 33 Abs. 3 AHVG von der
Verfügung vom 21. Juli 1952 auszugehen, mit welcher der Beschwerdegegnerin
eine Witwenabfindung von Fr. 1'728.-- zugesprochen worden ist. Massgebend
hiefür war der durchschnittliche Jahresbeitrag des verstorbenen Ehemannes
von Fr. 210.-- aus 4 Jahren und 4 Monaten. Die Berechnungsgrundlagen
waren auf den Zeitpunkt, in welchem der Anspruch auf die einfache
Altersrente entstanden ist (1. Januar 1976), gemäss den seither
eingetretenen Gesetzesänderungen anzupassen. Die Ausgleichskasse
hat die entsprechenden Umrechnungen vorgenommen und das massgebende
durchschnittliche Jahreseinkommen mit Fr. 17'400.-- ermittelt. Nach der
anwendbaren Rentenskala 25 ergibt sich hieraus eine Rente von Fr. 690.--
im Monat.

    b) Es bleibt zu prüfen, ob der Beschwerdegegnerin gemäss der in Erw. 2b
dargelegten Vergleichsrechnung auf Grund der eigenen Erwerbseinkommen und
Beitragszeiten eine höhere Rente zusteht. Dabei ist davon auszugehen, dass
die Versicherte während der Ehe, jedenfalls nach Inkrafttreten der AHV,
keine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat. Dagegen hat sie seit der Verwitwung
(14. April 1952) bis zum 31. Dezember des der Entstehung des Anspruchs
auf die einfache Altersrente vorangehenden Jahres ein beitragspflichtiges
Einkommen von insgesamt Fr. 196'517.-- erzielt.

    Nach Variante I der Vergleichsrechnung ist die Summe der
Erwerbseinkommen durch die Anzahl Jahre der gesamten Versicherungszeit,
d.h. unter Einschluss der beitragslosen Ehejahre zu teilen. Bei
einem Einkommen von Fr. 196'517.-- aus 28 Jahren ergibt sich laut
Rententabelle ein aufgerundetes und nach Art. 30 Abs. 4 AHVG aufgewertetes
durchschnittliches Jahreseinkommen von Fr. 17'400.--. Dem entspricht
gemäss Rentenskala 25 eine einfache Altersrente von Fr. 690.-- im Monat,
was mit dem sich aus den Berechnungsgrundlagen der Witwenabfindung
ergebenden Rentenbetrag übereinstimmt.

    Da die Beschwerdegegnerin keine beitragspflichtigen Erwerbseinkommen
aus der Zeit vor der Ehe aufweist, kann Variante II der Vergleichsrechnung
nicht Anwendung finden. Es muss daher mit der Feststellung sein Bewenden
haben, dass der Beschwerdegegnerin auf Grund der eigenen Erwerbseinkommen
und Beitragszeiten keine höhere Rente ausgerichtet werden kann, als ihr
nach den für die seinerzeitige Witwenabfindung massgebenden und an die
seitherigen Gesetzesänderungen angepassten Berechnungsgrundlagen zusteht.

Entscheid:

        Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung vom 2. Februar
1976 aufgehoben. Die Akten gehen an die Ausgleichskasse zurück zur
Neufestsetzung der Rente im Sinne der Erwägungen.