Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 49



103 IV 49

12. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. April 1977
i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden Regeste

    Art. 91 Abs. 3 SVG. Vereitelung der Blutprobe. Das Widersetzen oder
Entziehen ist vollendet, sobald die unverzügliche Entnahme der Blutprobe
verhindert wird.

Sachverhalt

    A.- G. hielt sich am 6. Januar 1975 von 17 bis ca. 21.30 Uhr im Hotel
Residenz Astoria in Lenzerheide auf, danach bis ca. 23.15 Uhr im Hotel
Waldhaus in Valbella. An beiden Orten trank er Alkohol. Beim Wegfahren
aus dem Parkplatz stiess er mit seinem Mercedes gegen ein auf der andern
Strassenseite abgestelltes Fahrzeug, das gegen ein weiteres geschoben
wurde, wodurch erheblicher Sachschaden entstand. G. fuhr, obschon er den
Zusammenstoss bemerkt hatte, ohne anzuhalten weg. Nach einem Aufenthalt
im "Safari" in Chur, wo er keinen Alkohol mehr zu sich nahm, fuhr er
gegen 1 Uhr zurück Richtung Valbella, um die Schadensangelegenheit an
Ort und Stelle in Ordnung zu bringen. Die nach seiner polizeilichen
Anhaltung im Araschger-Rank um 1.45 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine
Blutalkohol-Konzentration von 1,3 Gew. %o.

    Der Kreisgerichtsausschuss Alvaschein sprach G. am 11. Juli 1975 des
Fahrens in angetrunkenem Zustand "im Sinne von Art. 91 Abs. 1 und Art. 31
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG" schuldig und verurteilte
ihn zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 60 Tagen.

    Auf Berufung der Staatsanwaltschaft stellte der
Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden am 10. November 1976 das Verfahren
gegen G. wegen Nichtbeherrschen des Fahrzeugs und pflichtwidrigem Verhalten
nach Unfall zufolge Verjährung ein, sprach ihn des vorsätzlichen Fahrens
in angetrunkenem Zustand und der versuchten Vereitelung der Blutprobe
schuldig und verurteilte ihn zu 60 Tagen Gefängnis.

    Mit Nichtigkeitsbeschwerde begehrt G. Aufhebung des
kantonsgerichtlichen Urteils und Rückweisung der Sache zur Freisprechung
von der Anklage der versuchten Vereitelung der Blutprobe, zur Verurteilung
zu einer Freiheitsstrafe von höchstens 30 Tagen und zur Gewährung des
bedingten Strafvollzugs.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer rügt, zu einem Versuch der Vereitelung der
Blutprobe sei es nicht gekommen, weil er die Rückfahrt zum Unfallort
angetreten und damit eine Blutentnahme in Kauf genommen habe, als
die Ermittlung der Blutalkohol-Konzentration für den rechtserheblichen
Zeitpunkt noch ohne weiteres möglich gewesen sei. Wenn die Fahrt nach Chur
nicht überhaupt als straflose Vorbereitungshandlung zu qualifizieren sei,
so liege höchstens unvollendeter Versuch der Vereitelung einer Blutprobe
vor, was zu milderer Bestrafung führen müsse.

    a) Art. 91 Abs. 3 SVG ist nach ständiger Rechtsprechung (BGE 100 IV
262 E 4 mit Verweisen) auf alle Fälle anwendbar, in denen die Blutprobe
vereitelt wurde, selbst wenn sie nicht oder noch nicht amtlich angeordnet
war. Es genügt, dass der Täter nach den Umständen des Falles mit einer
Blutprobe als realer Wahrscheinlichkeit rechnete oder rechnen musste. Dass
der Beschwerdeführer eine solche Massnahme erwartete, ergibt sich aus
den vorinstanzlichen Urteilserwägungen zweifelsfrei, nach welchen er
gegenüber dem Untersuchungsrichter zugestand, sich aus Furcht vor einer
Blutprobe von der Unfallstelle entfernt zu haben.

    b) Zur Ausführung einer strafbaren Handlung ist nach ständiger
Rechtsprechung (BGE 99 IV 153 mit Verweisen) jede Tätigkeit zu rechnen, die
nach dem Plan des Täters auf dem Weg zum Erfolg den letzten entscheidenden
Schritt darstellt, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt. Es ist
offensichtlich, dass der Beschwerdeführer diesen entscheidenden Schritt
unternahm, als er nach dem Zusammenstoss aus Furcht, einer Blutprobe
unterworfen und des Fahrens in angetrunkenem Zustand überführt zu werden,
ohne die Geschädigten oder die Polizei zu benachrichtigen sich von der
Unfallstelle entfernte, nach Chur fuhr, dort seinen Wagen abstellte und
sich längere Zeit in einem Nachtlokal aufhielt. Daran vermag der von
ihm später angeblich gefasste Entschluss zur Rückkehr an den Unfallort,
"um die Sache in Ordnung zu bringen", nichts zu ändern.

    c) Unvollendeter Versuch der Vereitelung der Blutprobe könnte
nur vorliegen, wenn der Beschwerdeführer die strafbare Tätigkeit
nicht zu Ende geführt hätte (Art. 21 Abs. 1 StGB). Nicht zu Ende
geführt wäre sie, wenn Art. 91 Abs. 3 SVG das blosse Behindern
der Blutentnahme zur Tatbestandsvollendung nicht genügen liesse,
sondern ein Verunmöglichen der Blutprobe während der Zeit forderte,
wo auf ihrer Grundlage die Blutalkohol-Konzentration für den kritischen
Zeitpunkt noch zuverlässig zu ermitteln ist. Inwiefern das der Fall sei,
legt der Beschwerdeführer nicht dar. Aus Wortlaut, Sinn und Zweck von
Art. 91 Abs. 3 SVG ergibt sich nichts derartiges. Der die Täterhandlung
kennzeichnende Begriff des Sich-Entziehens findet sowenig wie jener des
Sich-Widersetzens nach allgemeinem Sprachgebrauch nur auf dauerndes und
erfolgreiches Entziehen bzw. Widersetzen Anwendung. Für die Hinderung
einer Amtshandlung (Art. 286 StGB), im französischen Gesetzestext als
"Opposition aux actes de l'autorité" bezeichnet und damit hinsichtlich
des verwendeten Rechtsbegriffs in Übereinstimmung stehend mit der
französischen und italienischen Fassung von Art. 91 Abs. 3 SVG, soweit
es sich um Widersetzen ("se sera opposé", "si oppone") handelt, hat die
Rechtsprechung längst erkannt, dass blosse Behinderung genügt, Verhinderung
zur Tatbestandserfüllung nicht nötig ist (BGE 71 IV 101). Wenn zwischen
Art. 286 StGB und Art. 91 Abs. 3 SVG eine Verwandtschaft besteht, diese
Bestimmung zwar nicht in jener aufgeht, sondern eine Sondernorm für
das Gebiet des Strassenverkehrs bildet (BGE 95 IV 147), aber dort den
geordneten Gang der Rechtspflege (BGE 102 IV 42) umfassend schützen will,
dann wäre mit diesem Zweck die Annahme nicht vereinbar, Art. 91 Abs. 3 SVG
verlange bei gleicher Begriffsumschreibung anderes oder mehr als Art. 286
StGB zur Tatbestandsvollendung. Stehe Widersetzen oder Entziehen in Frage,
führt deshalb SCHULTZ (Strafbestimmungen des SVG, S. 205 und 206) aus,
so sei die Straftat vollendet, sobald die unverzügliche Durchführung
der angeordneten Untersuchung verhindert werde. Ob sie in einem späteren
Zeitpunkt in zuverlässiger Weise gleichwohl vorgenommen werden könne, sei
unerheblich. Ein Versuch könne deshalb kaum je in Frage stehen. Bei der
Vereitelung des Zweckes der Massnahme macht sich nach der Rechtsprechung
des vollendeten Deliktes von Art. 91 Abs. 3 SVG schuldig, wer in Kenntnis
der drohenden Blutprobe den Unfallort verlässt, sich heimbegibt und dort
weiteren Alkohol zu sich nimmt, auch wenn rechtzeitig eine Blutprobe
durchgeführt und der Alkoholisierungsgrad für den kritischen Zeitpunkt
zuverlässig bestimmt werden kann (BGE 102 IV 42). Bereits in BGE 95 IV
148 war ausgeführt worden, habe der Täter im konkreten Fall mit einer
Blutprobe oder anderen Massnahmen als realer Wahrscheinlichkeit gerechnet
oder rechnen müssen, so dürfe er nichts unternehmen, was die Vornahme
einer unverfälschten Untersuchung stören könne. Wenn demnach bei er
Zweckvereitelung, wo eine Gleichstellung des für die Umschreibung der
Täterhandlung verwendeten Begriffes ("vereitelt") mit einem absoluten
Verunmöglichen bedeutend näher läge, und für eine solche auch eingetreten
worden ist (SCHULTZ, aaO S. 205), nach der Rechtsprechung die blosse
Störung oder Behinderung genügt, dann kann es bei einem Sich-Entziehen
oder Sich-Widersetzen nicht anders sein.

    Da der Beschwerdeführer durch seine Behinderung der unverzüglichen
Durchführung einer Blutprobe seine strafbare Tätigkeit zu Ende geführt hat,
ist kein Raum für die Annahme, es liege ein unvollendeter Versuch vor.

    Entgegen seiner Meinung hätte übrigens unvollendeter Versuch nicht
notwendig zu milderer Bestrafung führen müssen (vgl. BGE 98 IV 49).