Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 267



103 IV 267

74. Urteil des Kassationshofes vom 15. Dezember 1977 i.S. G. gegen
Statthalteramt des Bezirkes Zürich Regeste

    Art. 49 Abs. 4 lit. a SSV. Richtiges Verhalten vor einer
Lichtsignalanlage, insbesondere beim Aufleuchten des Gelblichts.

Sachverhalt

    A.- G. fuhr am 1. Oktober 1976 nach 11 Uhr mit seinem Lastwagen
innerorts durch die Zürcherstrasse in Dietikon Richtung Zürich. Als er sich
der Schönenwerdkreuzung näherte, schaltete die Signalanlage von Grün auf
Gelb. Statt zu bremsen, beschleunigte G. seine Geschwindigkeit von ca. 60
km/h noch etwas, um vor dem Wechsel auf Rotlicht durchzukommen. Die Ampel
schaltete auf Rot, als der Lastwagen noch 5 m von der Anlage entfernt
war. G. fuhr trotzdem in unvermindertem Tempo über die Kreuzung. Der
Fahrtschreiber zeigte eine Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h.

    Hätte G. beim Aufleuchten des Gelblichtes sofort gebremst, so wäre
es ihm mit normaler Betriebsbremsung möglich gewesen, vor dem Signal
anzuhalten.

    B.- G. wurde vom Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich wegen
Missachtung des Rotlichts gemäss Art. 90 Ziff. 1 und 27 Abs. 1 SVG sowie
Art. 49 Abs. 1 SSV zu Fr. 50.-- Busse verurteilt. Das Obergericht des
Kantons Zürich wies am 21. Juni 1977 seine Nichtigkeitsbeschwerde ab.

    C.- Mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde macht G. geltend, er
habe sich auf die normale Dauer der Gelbphase von vier Sekunden verlassen
dürfen; nur weil die Phase mit drei Sekunden anormal kurz gewesen sei, habe
er nicht mehr durchfahren können. Er sei nicht verpflichtet gewesen, eine
Schnellbremsung vorzunehmen, was zu Auffahrkollisionen hätte führen können.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Soweit die tatsächlichen Verhältnisse vom Beschwerdeführer
anders dargestellt werden als von der Vorinstanz, ist er nicht zu
hören. Einwendungen gegen das Beweisverfahren und die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b,
277bis Abs. 1 BStP). Es ist also von der Tatsache auszugehen, dass
der Lastwagen mit normaler Betriebs- und nicht etwa nur mit brüsker
Notbremsung rechtzeitig vor dem Signal hätte angehalten werden können,
wenn der Beschwerdeführer beim Lichtwechsel auf Gelb sofort gebremst
hätte. Ebenso steht fest, dass das Licht auf Rot schaltete, als der
Lastwagen noch 5 m entfernt war.

Erwägung 2

    2.- Die Bedeutung der Gelblichtphase zwischen Grün und Rot ergibt
sich für den vernünftigen Fahrer von selbst und ist in Art. 49 Abs. 4
lit. a SSV lapidar wiedergegeben: "Halt für Fahrzeuge, die noch vor der
Verzweigung halten können". Ausführlicher umschrieben ist sie in BGE 85
IV 156, 90 IV 99 und 92 IV 212. Durch die Lichtsignale soll verhindert
werden, dass mehrere Verkehrsströme gleichzeitig die gleiche Verkehrsfläche
benützen. Dabei hat das stehende Gelblicht den Zweck, dem Fahrer vor dem
Aufleuchten des absolut Halt gebietenden Rot die Möglichkeit zu geben,
mit normaler Bremsung anzuhalten oder, wenn das nicht mehr möglich ist,
die geschützte Verkehrsfläche zu verlassen, bevor der andere Verkehrsstrom
Grünlicht erhält. Es folgt daraus, dass der Fahrer bei Grün in normalem,
den Verhältnissen angepasstem Tempo weiterfahren darf, immerhin im Hinblick
auf den möglichen Farbwechsel mit Bremsbereitschaft, um nötigenfalls sofort
anhalten zu können. Gelingt ihm dies nicht mehr ganz vor einem Haltebalken,
so hat er womöglich vor der gemeinsam benützten Verkehrsfläche zu halten,
wenn auch nach dem Balken (BGE 101 IV 338). Keinesfalls darf er bei
Rotlicht noch in diese Verkehrsfläche hineinfahren.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer hätte beim Aufleuchten des Gelblichtes noch
mit normaler Bremsung vor dem Licht anhalten können. Noch besser wäre er
dazu in der Lage gewesen, wenn er bei der Annäherung an die Kreuzung nicht
noch etwas beschleunigt hätte, sondern mit der örtlichen Lage angepasster
Geschwindigkeit, d.h. nicht mit der Innerortshöchtsgeschwindigkeit,
weitergefahren wäre. Mit diesen Feststellungen ist bereits dargetan, dass
der Beschwerdeführer zu Recht bestraft wurde. Die Dauer der Gelblichtphase
spielt keine Rolle. Hielt der Beschwerdeführer vorschriftsgemäss nach
Aufleuchten von Gelb an, so hatte er sich auf jeden Fall richtig verhalten,
gleichgültig, wie lange das Signal gelb leuchtete. Hielt er dagegen nicht,
obwohl er hiezu in der Lage war, so verstiess er wiederum auf jeden Fall
gegen Art. 49 SSV, selbst wenn es ihm bei besonders langer Gelbphase
möglich gewesen wäre, die Kreuzung vor dem Wechsel auf Rot zu überqueren.

Erwägung 4

    4.- Niemand kann sich der Tatsache verschliessen, dass die Gelbphase
häufig dazu missbraucht wird, noch rasch durchzufahren, obwohl an sich
angehalten werden könnte. Auch ein sehr verbreiteter Missbrauch vermag
jedoch die Rechtslage nicht zu ändern.

    Höchstens kann einem Fahrer zugestanden werden, dass er es im
Zweifelsfall nicht darauf ankommen lassen muss, nur mit brüskem Bremsen
oder nicht mehr ganz rechtzeitig vor dem Licht (und eventuell dem
Haltebalken) anzuhalten, namentlich wenn dicht aufgeschlossen weitere
Fahrzeuge folgen. Eine nicht übertrieben strenge Beurteilung lässt sich
besonders bei Fahrzeugen mit langem Bremsweg und geringen Ausmassen bei
guter Beschleunigung (z.B. Motorräder) rechtfertigen, die die kritische
Verkehrsfläche rasch freigeben. Das Gegenteil trifft für Lastwagen und
erst recht für Lastenzüge zu. Diese müssen daher generell mit mässiger
Geschwindigkeit auf Verkehrslichter zufahren.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.