Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 225



103 IV 225

63. Urteil des Kassationshofes vom 24. November 1977
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern gegen G. Regeste

    Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Der Richter, der im Fall der
Realkonkurrenz und ohne Vorliegen von Strafmilderungsgründen auf das
gesetzliche Minimum der Einsatzstrafe erkennt, verletzt den Grundsatz
der verbindlich vorgeschriebenen Straferhöhung.

Sachverhalt

    A.- Am 25. März 1977 verurteilte das Kriminalgericht des Kantons Luzern
G. wegen gewerbsmässigen Diebstahls, fortgesetzter Sachbeschädigung und
gewerbsmässigen Betrugs zu zehn Monaten Gefängnis unter Berücksichtigung
des Strafmilderungsgrundes der aufrichtigen Reue (Art. 64 Abs. 5 StGB)
und zu Fr. 100.-- Busse. Es gewährte dem Verurteilten den bedingten
Strafvollzug.

    Das Obergericht des Kantons Luzern, bei welchem der Schuldpunkt des
erstinstanzlichen Entscheides nicht mehr angefochten war, verneinte
am 8. September 1977 das Vorliegen des Strafmilderungsgrundes der
aufrichtigen Reue und verurteilte G. zu einem Jahr Zuchthaus, abzüglich 4
Tage Untersuchungshaft, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei
Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 100.--.

    B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei
im Strafpunkt aufzuheben und die Sache zur Neubemessung der Strafe an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    G. beantragt in seinen Gegenbemerkungen, es sei die Beschwerde
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Nach Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB verurteilt der Richter, wo jemand
durch eine oder mehrere Handlungen mehrere Freiheitsstrafen verwirkt,
den Täter zu der Strafe der schwersten Tat "und erhöht deren Dauer
angemessen". Nach Wortlaut und Sinn schreibt diese Bestimmung dem Richter
unter dem Vorbehalt, dass keine Strafmilderungsgründe gegeben sind,
zwingend zweierlei vor: Die Bemessung der Einsatzstrafe innerhalb des
Strafrahmens der schwersten Tat einerseits, und die Erhöhung der Dauer
der Einsatzstrafe anderseits. Das heisst, mit anderen Worten, dass dort,
wo der Richter das vom Gesetz für die schwerste Tat bestimmte Strafminimum
im konkreten Fall als zureichende Strafe für die schwerste Tat erachtet,
er dem Umstand, dass noch weitere strafbare Handlungen begangen oder
Deliktstatbestände erfüllt worden sind, in dem Sinne Rechnung tragen muss,
dass er die auf jenes gesetzliche Mindestmass beschränkte Einsatzstrafe
erhöht. Er darf es also nicht bei jenem Strafminimum bewenden lassen,
mögen auch strafmindernde Umstände zugunsten des Täters sprechen. Art.
63 StGB kann in solchen Fällen nur in dem Masse wirksam werden,
als dem Richter überhaupt Ermessen zusteht. Das ist aber - wo keine
Strafmilderungsgründe vorliegen - einzig bei Bemessung der Einsatzstrafe
innerhalb des für die schwerste Tat geltenden gesetzlichen Strafrahmens
und bezüglich der obligatorisch vorgeschriebenen Erhöhung der Einsatzstrafe
nur hinsichtlich ihres Ausmasses, nicht aber auch bezüglich des Grundsatzes
der Strafschärfung selber der Fall.

    Das hat die Vorinstanz im vorliegenden Fall verkannt, wenn sie den
Beschwerdegegner bloss zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt hat. Art. 148
Abs. 2 StGB sieht für gewerbsmässigen Betrug Zuchthaus bis zu zehn Jahren
und Busse vor und weist damit diese Straftat als die im vorliegenden Fall
schwerste aus. Da die kürzeste Dauer der Zuchthausstrafe ein Jahr ist
(Art. 35 StGB), war diese hier auch das Minimum für die Einsatzstrafe,
nachdem die Vorinstanz ausdrücklich die Frage nach dem Vorliegen von
Strafmilderungsgründen verneint hatte. Angesichts der Realkonkurrenz des
gewerbsmässigen Betrugs mit gewerbsmässigem Diebstahl und fortgesetzter
Sachbeschädigung hätte sie deshalb jene Strafe zwingend erhöhen müssen. Das
hat sie nicht getan. Ihr Urteil ist infolgedessen wegen Verletzung von
Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufzuheben und die Sache entsprechend dem
Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil im Strafpunkt
aufgehoben und die Sache zu neuer Bemessung der Strafe an die Vorinstanz
zurückgewiesen.