Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 202



103 IV 202

59. Urteil des Kassationshofes vom 9. September 1977 i.S. J. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau Regeste

    BG betr. Strafbestimmungen zum Handelsregister- und Firmenrecht,
Art. 2 Abs. 2.

    1. Die Verwendung ohne Täuschungsabsicht einer Firma, die mit der
im Handelsregister eingetragenen nicht übereinstimmt, bleibt straflos,
wenn sie nicht geeignet ist, im geschäftlichen Verkehr eine Täuschung
über eine erhebliche Tatsache zu bewirken (Erw. 1).

    2. Die Verwendung der falschen Firma muss vorsätzlich erfolgen;
hinsichtlich ihrer Eignung zu erheblicher Täuschung genügt Fahrlässigkeit
(Erw. 2c und d).

Sachverhalt

    A.- Die S. AG hat ohne Zusatz der im Handelsregister eingetragenen
Firma "S. AG" während Jahren bis ungefähr Mitte April 1975 unter
verschiedensten Bezeichnungen intensive Werbung mit Prospekten,
Flugblättern, Inseraten und dergl. betrieben.

    J., Verwaltungsratsmitglied der S. AG, wurde vom Bezirksamt
Arbon am 7. Januar 1976 gemäss Art. 2 Abs. 2 des Bundesgesetzes
betreffend Strafbestimmungen zum Handelsregister- und Firmenrecht
mit Fr. 500.-- gebüsst. Die Bezirksgerichtliche Kommission Arbon und
die Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau haben am
2. September bzw. 20. Dezember 1976 diese Strafverfügung bestätigt.

    Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt J., das Urteil der
Rekurs-Kommission des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur
Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragt Abweisung der
Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Firma dient u.a. der Individualisierung des Unternehmens. Sie
muss wahr sein und darf zu keinen Täuschungen über Identität und Natur
des Geschäftes und zu keinen Verwechslungen mit andern Unternehmen
führen. Der Firmenträger ist daher verpflichtet, die Firma unverändert
so, wie er sie angenommen hat und wie sie im Handelsregister eingetragen
worden ist, zu verwenden (sog. Firmengebrauchspflicht). Es würde nichts
nützen, dass die Firma im Register in einer Form eingetragen ist, die
eine Täuschung ausschliesst, wenn es nachher dem Unternehmen erlaubt
wäre, eine Firma zu verwenden, die von der eingetragenen abweicht. Die
einmal eingetragene Firma ist etwas Bestimmtes und Individuelles. Sie
darf nicht von der eingetragenen Form abweichen und bald so, bald anders
geschrieben werden. Insbesondere ist es nicht zulässig, den sogenannten
Firmenkern wegzulassen und nur den Firmenzusatz zu verwenden. Unter
Gebrauch der Firma ist jede Verwendung, die in unmittelbarer Beziehung
zum geschäftlichen Verkehr steht, zu verstehen, so die Verwendung auf
Geschäftsschildern und Geschäftspapieren wie Katalogen, Preislisten,
Prospekten, Empfehlungskarten, der Gebrauch auf Briefköpfen, bei der
Zeichnung der Firma und in Adressbüchern oder Telefonverzeichnissen
(vgl. Botschaft des Bundesrates, BBl 1921 III 261 ff.; FRITZ VON STEIGER,
Handelsregister- und Firmenstrafrecht, 1942, SJK 249 S. 1/2; PATRY, Die
Geschäftsfirmen, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. VIII 1, S. 154 ff.).

    Art. 2 des Bundesgesetzes betreffend Strafbestimmungen zum
Handelsregister- und Firmenrecht vom 6. Oktober 1923 (SR 221.414;
im folgenden "Gesetz" genannt) sanktioniert die Pflicht, die im
Handelsregister eingetragene Firma im geschäftlichen Verkehr unverändert
zu verwenden. Nach Abs. 1 wird zu Gefängnis bis zu sechs Monaten oder
zu Busse bis zu Fr. 20'000.-- oder zu beiden Strafen verurteilt, "wer,
um eine Täuschung zu bewirken, für ein im Handelsregister eingetragenes
Geschäft eine Firma verwendet, die mit der im Handelsregister eingetragenen
nicht übereinstimmt". Abs. 2 lautet:

    "Wer ohne Täuschungsabsicht für ein solches Geschäft eine Firma
   verwendet, die mit der im Handelsregister eingetragenen nicht
   übereinstimmt, wird mit Busse bis zu 10'000 Franken bestraft. Der

    Täter bleibt straflos, wenn durch Verwendung dieser Firma eine
   erhebliche Täuschung nicht bewirkt werden kann."

    Der Entwurf des Bundesrates ging weiter. Selbst wenn eine Täuschung
durch die falsche Firma ausgeschlossen gewesen wäre, hätte eine
Polizeibusse verhängt werden müssen. Diese in Art. 2 Abs. 3 des Entwurfes
enthaltene Vorschrift wurde aber vom Ständerat gestrichen und durch einen
zweiten Satz in Absatz 2 ersetzt, der wie folgt lautete: "Der Täter bleibt
straflos, wenn durch Verwendung dieser Firma eine Täuschung nicht bewirkt
werden kann." Im Nationalrat fand Huber, auch diese Fassung des Ständerates
gehe noch zu weit. Irgendeine Täuschung sei stets denkbar. Wer solle
den Beweis leisten, dass eine Täuschungsmöglichkeit stets ausgeschlossen
sei? Die unbeabsichtigte Täuschung "über ganz unerhebliche Dinge" solle
straflos bleiben. Gedacht wurde in beiden Räten vorab an den Fall, dass der
in der Firma ausgeschriebene Vorname im geschäftlichen Verkehr abgekürzt
werde, ohne dass dadurch über die Identität des Unternehmens Zweifel
entstünden. In diesem Sinne wurde dann im definitiven Text gesagt, der
Täter bleibe straflos, wenn durch die Verwendung dieser (falschen) Firma
eine "erhebliche" Täuschung nicht bewirkt werden könne (Sten.Bull. 1923,
N S. 346). Straflos soll also bleiben, und das ergibt den richtigen Sinn
des Gesetzes, die Verwendung der falschen Firma, die nicht geeignet ist,
im geschäftlichen Verkehr eine Täuschung über eine erhebliche Tatsache
zu bewirken.

Erwägung 2

    2.- a) Die S. AG hat im Rahmen einer intensiven Werbung
verschiedenste Firmen verwendet, welche mit der eingetragenen Firma nicht
übereinstimmten. Diese Bezeichnungen waren beim Publikum, an das sich
diese Reklame richtete, geeignet, erhebliche Täuschungen in geschäftlichen
Belangen, insbesondere über die Identität der Firma, die hinter dieser
Werbung stand, zu bewirken. Sie führten denn auch zu Beanstandungen und
zu einem Zivilprozess wegen unlauteren Wettbewerbs.

    b) Das alles steht fest und ist unbestritten. Der Beschwerdeführer
will hingegen nicht gewusst haben, dass die Verwendung einer andern als
der im Handelsregister eingetragenen Firma im geschäftlichen Verkehr
verboten ist. Damit kann er aber nicht gehört werden, stellt doch die
Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich (Art. 277bis Abs. 1 BStP)
fest, der Beschwerdeführer habe im Rahmen des Zivilprozesses eindrücklich
zur Kenntnis nehmen müssen, dass eine Firma im Rahmen der Werbung keinen
andern Namen als den eingetragenen verwenden dürfe.

    Ein Irrtum hierüber schlösse im übrigen den Vorsatz nicht aus. Er würde
sich als Rechtsirrtum im Sinne von Art. 20 StGB qualifizieren, für den der
Beschwerdeführer nach den Umständen keine zureichenden Gründe gehabt hätte.

    c) Was die Eignung der falschen Firma zu erheblicher Täuschung
betrifft, muss Fahrlässigkeit genügen. Darüber war man sich schon in
der parlamentarischen Beratung klar (Voten Huber und Bundesrat Häberlin,
Sten.Bull. 1923 N S. 346 f.). Es besteht also zum vornherein kein Anlass,
von der Vermutung des Art. 333 Abs. 3 StGB abzugehen, wonach die in
andern Bundesgesetzen als dem Strafgesetzbuch unter Strafe gestellten
Übertretungen strafbar sind, auch wenn sie fahrlässig begangen werden,
sofern nicht nach dem Sinne der Vorschrift nur die vorsätzliche Begehung
mit Strafe bedroht ist. Fraglich ist bloss, ob ein in dieser Richtung
gehender einfacher oder Eventualvorsatz noch unter Absatz 2 von Art. 2
des Gesetzes vom 6. Oktober 1923 fallen würde. Da aber der Kassationshof
nicht mit einem Antrag auf Anwendung der strengeren in Absatz 1 enthaltenen
Vorschrift befasst ist, kann die Frage offen bleiben.

    d) Hingegen stellt sich die Frage, ob es zum subjektiven Tatbestand des
Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes gehört, dass der Täter im Sinne des Vorsatzes
von der Verwendung falscher Firmen wusste. Sie ist zu bejahen. Gemäss
Art. 333

    Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 334) StGB ist nicht nur nach dem
eindeutigen Wortlaut, sondern auch nach dem Sinne des Gesetzes zu
entscheiden.

    Als das Gesetz geschaffen wurde, war Vorsatz erforderlich (Art. 7
Gesetz in Verbindung mit dem alten Bundesstrafrecht Art. 11; LUDWIG,
ZSR n.F. 44/1925 S. 27a Anm. 2), soweit das Gesetz nicht ausdrücklich
Fahrlässigkeit genügen lässt. Da sich das Gesetz über das Wissen
um die falsche Firmierung nicht ausspricht (es handelt nur von der
Täuschungsabsicht), muss daraus geschlossen werden, die falsche Firmierung
selber (nicht weitere Folgen wie Täuschung, Schädigung) müsse vorsätzlich
erfolgt sein. Dass mit dem Inkrafttreten des StGB daran etwas geändert
werden sollte, ist nicht anzunehmen, zumal nun ergänzende eidgenössische
Strafbestimmungen in Kraft traten, um schwere Fälle zu treffen (Betrug,
unlauterer Wettbewerb, unwahre Angaben über Handelsgesellschaften usw.).

    Absatz 2 des Art. 2 knüpft an den 1. Absatz an. Dort wird aber Vorsatz
hinsichtlich der falschen Firmierung vorausgesetzt. Denn nur wenn der
Täter sich dessen bewusst ist, kann er sie als Mittel der Voraussetzung
der Täuschung, die ja in Absatz 1 bewusst ist, benützen. Absatz 2 hebt
aber nicht diesen Vorsatz betreffend falsche Firmierung auf, sondern nur
die weitergehende Täuschungsabsicht. Bezüglich der erstern gilt, wie in
Absatz 1, Vorsatz.

    Im übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass eine falsche Firmierung
sehr leicht versehentlich erfolgen kann (Nichtausschreiben des in der
Firma enthaltenen Vornamens usf.). Eine besondere Überwachungspflicht
unter Strafdrohung auch insoweit zu statuieren, geht über das Nötige
hinaus. steht Anlass zu Beanstandungen, so wird üblicherweise zuerst
reklamiert; dann fehlt in der Regel für die Zukunft der gute Glaube. Ferner
besteht die Möglichkeit von Ordnungsstrafen.

    Die Vorinstanz stellt fest, durch Generalversammlungsbeschluss vom 20.
November 1974 habe eine Aufteilung der Geschäftsführung in dem Sinne
stattgefunden, dass die Werbung dem damaligen Verwaltungsratspräsidenten
T. übertragen wurde. Sie trifft jedoch keine Feststellungen darüber, ob
der Beschwerdeführer wusste, dass auch nach diesem Delegationsbeschluss
falsche (mit dem Handelsregister nicht übereinstimmende) Firmen verwendet
wurden. Sie hat sich deshalb darüber auszusprechen und entsprechend neu
zu urteilen. In diesem Sinne ist die Sache zurückzuweisen.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der
Rekurs-Kommission des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 20. Dezember
1976 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.