Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 199



103 IV 199

58. Urteil des Kassationshofes vom 18. Juli 1977 i.S. W. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Regeste

    Art. 2 Abs. 4 und Art. 4 Abs. 2 des BRB vom 14. Februar 1968 über
die Feststellung der Angetrunkenheit von Strassenbenützern bzw. Art. 139
Abs. 4 und Art. 141 Abs. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen
und Fahrzeugen zum Strassenverkehr vom 27. Oktober 1976.

    1. Verstreicht zwischen dem letzten Alkoholkonsum und der Blutentnahme
eine Zeit von mehr als dreiviertel Stunden, so ist keine zweite
Blutentnahme vorzunehmen (E. 2).

    2. Weichen die Resultate der nach zwei verschiedenen Methoden
durchzuführenden Blutanalyse nicht mehr als 0,10%o voneinander ab, so ist
die Abweichung nicht wesentlich und damit keine Wiederholung erforderlich
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- W. trank am 8. Januar 1976 in einer Wirtschaft in Zürich in der
Zeit zwischen 01.00 Uhr und 02.00 Uhr einen Café-Marc und nach 02.00 Uhr
einen zweiten, worauf er um ca. 02.15 Uhr seinen Personenwagen von der
Langstrasse über den Sihlquai Richtung Escher-Wyss-Platz lenkte. Die
Polizei, die ihn dort anhielt, ordnete eine Blutentnahme an, die um
03.00 Uhr vorgenommen wurde. Die gefundenen Analysenwerte von 0,97
und 0,93%o ergaben nach Abzug einer Fehlerquelle von + 0,05%o einen
Mindestalkoholgehalt von 0,92%o. Davon ausgehend, dass 3/4 des zuletzt
konsumierten Café-Marc (0,12%o) im Zeitpunkt der Blutentnahme noch nicht
resorbiert gewesen seien, kam das Gerichtlich-Medizinische Institut der
Universität Zürich zum Ergebnis, dass die Blutalkoholkonzentration zur
Zeit der Fahrt 0,8%o betragen habe.

    B.- Das Obergericht des Kantons Zürich, das auf das
gerichtsmedizinische Gutachten abstellte, erklärte W. am 9. Mai 1977
des Fahrens in angetrunkenem Zustand (Art. 91 Abs. 1 SVG) schuldig und
verurteilte ihn zu 20 Tagen Gefängnis.

    C.- W. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Obergerichtsurteil sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe durch eine
ungenügende Prüfung der Berichte des gerichtsmedizinischen Instituts zwei
Bestimmungen über die Feststellung der Angetrunkenheit, nämlich Art. 139
Abs. 4 und Art. 141 Abs. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen
und Fahrzeugen zum Strassenverkehr vom 27. Oktober 1976 (VZV; AS 1976 II
2493 f.), verletzt. Diese Verordnung ist jedoch erst am 1. Januar 1977
in Kraft getreten und nicht rückwirkend anwendbar (Art. 154 VZV). Für
die Beurteilung der in Frage stehenden Berichte vom 14. Januar 1976 und
15. April 1976 sind daher die damals noch geltenden Vorschriften des
BRB vom 14. Februar 1968 über die Feststellung der Angetrunkenheit von
Strassenbenützern massgebend.

Erwägung 2

    2.- Die Behauptung des Beschwerdeführers, es hätte eine zweite
Blutentnahme vorgenommen werden müssen, ist unbegründet. Nach Art. 2
Abs. 4 des erwähnten BRB ist eine zweite Blutentnahme nur geboten,
wenn der Verdächtigte kurz vor der ersten noch Alkohol zu sich genommen
hat. Das trifft hier nicht zu. Den letzten Alkohol hat W. spätestens
um 02.10 Uhr konsumiert, während die Blutentnahme um 03.00 Uhr erfolgt
ist. Zwischen beiden Ereignissen verstrich also eine Zeitspanne von mehr
als dreiviertel Stunden, die nicht mehr als kurz bezeichnet werden kann.
Auch der neue Art. 139 Abs. 4 VZV erachtet die Zeit von dreiviertel
Stunden als oberste Grenze.

Erwägung 3

    3.- Unzutreffend ist auch der Einwand des Beschwerdeführers, die
Blutanalyse hätte wiederholt werden müssen. Nach Art. 4 Abs. 2 des
BRB, der mit Art. 141 Abs. 2 VZV wörtlich übereinstimmt, schreibt die
Wiederholung nur vor, wenn die Resultate der nach zwei verschiedenen
Methoden durchzuführenden Analyse wesentlich voneinander abweichen. Im
vorliegenden Fall, wo die Abweichung nur 0,04%o betrug, war sie nicht
von wesentlicher Bedeutung; sie hält sich gegenteils in der untern Hälfte
des hier zulässigen Rahmens, der nach den Richtlinien des Eidg. Justiz-
und Polizeidepartementes vom 5. März 1968 bis zu 0,10%o reicht
(vgl. H. R. GUYER, Zur Praxis der Interpretation von Blutalkoholwerten,
in Aktuelle Fragen aus dem Gebiete der Gerichtsmedizin S. 7, herausgegeben
vom Kriminalistischen Institut des Kantons Zürich). Daran ändert auch
nichts, dass die Fehlerquelle für jede der beiden Methoden + 0,05%o
beträgt. Dem ist dadurch Rechnung getragen worden, dass für den Zeitpunkt
der Blutentnahme ein Minimalwert von 0,92%o angenommen wurde. Dass dieser
Wert durch Abzug der Fehlerquote von 0,05%o vom höheren Resultat errechnet
wurde, erklärt sich daraus, dass der tiefere Wert nur eine Abweichung nach
unten, der höhere nur eine solche nach oben bedeuten kann und infolgedessen
zur Ermittlung des für den Verdächtigten günstigsten Minimalwerts die
Fehlerquote vom höheren Analysenresultat abgezogen werden muss (GUYER,
aaO S. 8).

    Die Vorinstanz hat somit Bundesrecht nicht verletzt, wenn sie auf
die Blutanalyse und das Ergänzungsgutachten abstellte und gestützt darauf
den Beschwerdeführer wegen Fahrens in angetrunkenem Zustande verurteilte.

Erwägung 4

    4.- Die subsidiäre Begründung der Vorinstanz, wonach der
Beschwerdeführer auch dann nicht freizusprechen wäre, wenn seiner
abweichenden Berechnungsmethode gefolgt wurde, weil ein Schluss-Sturztrunk
vorgelegen hätte, braucht unter diesen Umständen nicht mehr überprüft
zu werden.

Entscheid:

              Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.