Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 165



103 IV 165

49. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. September 1977 i.S. S.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft Regeste

    Art. 189 Abs. 1 StGB. Eine Frau kann zum Widerstand unfähig sein, wenn
sie auf dem Untersuchungsstuhl liegt, keinen Einblick in die Handlungen
des Arztes nehmen kann und überraschenderweise durch diesen geschlechtlich
missbraucht wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:
... In Übereinstimmung mit dem Strafgericht hat die Vorinstanz die
Widerstandsunfähigkeit darin gesehen, dass die auf einem Untersuchungsstuhl
liegenden Patientinnen wegen ihrer Lage (gegenüber Kopflage erhöhte
Beckenlage) keinen Einblick in die Handlungen des Beschwerdeführers
nehmen konnten und wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses nicht
damit rechneten, dass der Beschwerdeführer sich an ihnen vergehen könnte;
sie seien durch die Unzuchtshandlungen überrascht worden, bevor sie nur
an Widerstand hätten denken können.

    Die Willensbetätigung der Frauen war demnach beeinträchtigt, weil sie
wegen ihrer Lage auf dem Untersuchungsstuhl nicht sehen konnten, was mit
ihnen geschah. Und in der Tat hängt eine willensmässige Reaktion von einer
vorgängig durch die Sinne vermittelten äusseren Wahrnehmung ab. Fiel
aber in casu das Sehen weg, so verblieb den Frauen als anderweitige
Wahrnehmung das körperliche Empfinden im Bereich des Geschlechtsteils. Das
aber bedeutete in diesem Fall nichts anderes, als dass sie erst reagieren
konnten, als der Täter bereits im Begriff war, sie zu missbrauchen. Sie
waren somit wegen ihrer besonderen Körperlage ausserstande, einen solchen
Angriff auf ihre geschlechtliche Ehre zum vornherein abzuwehren. Dass
sie, als sie sich schliesslich Rechenschaft darüber gaben, dass
die Handlungen des Beschwerdeführers über das hinausgingen, was die
Untersuchung erforderte, die physische Möglichkeit gehabt hätten, sich
zu wehren, ändert am Gesagten nichts, denn abgesehen davon, dass eine
bloss vorübergehende Widerstandsunfähigkeit genügt, hatte der Täter
in diesem Zeitpunkt die vorbestandene Wehrlosigkeit der Frauen bereits
ausgenützt. Dann aber vermag ihn auch der Umstand nicht zu entlasten,
dass die Frauen sich nach jenem Zeitpunkt nicht wehrten. Das könnte in
casu umsoweniger der Fall sein, als die fraglichen Patientinnen nach
dem angefochtenen Urteil wegen des Vertrauensverhältnisses zum Arzt mit
solchen Handlungen nicht rechneten, von diesen völlig überrascht wurden
und sich schämten (Frau X.), bzw. einen eigentlichen Schock erlitten
(Frau Y.) und deswegen zu einer Abwehr unfähig waren.