Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 162



103 IV 162

48. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Juni 1977
i.S. J. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau Regeste

    Art. 186 StGB, Hausfriedensbruch.

    1. Begriff (Erw. 1 und 2).

    2. Nach geltendem Zivilrecht kann der Ehemann gegen den Willen der
Ehefrau einer Drittperson das Haus verbieten; die Ehefrau kann nicht durch
eigene Einladung das vom Ehemann erlassene Hausverbot unwirksam machen
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- S. schickte am 2. Februar 1976 dem Geliebten seiner Frau, J.,
einen eingeschriebenen Brief folgenden Inhalts:

    "Hausverbot

    Ich verbiete hiermit Herrn J. ab sofort das auf meinen Namen im
Grundbuch
   eingetragene Grundstück und das sich darauf befindliche Haus in O. zu
   betreten.

    Bei Zuwiderhandlung werde ich Strafanzeige einreichen."

    S. traf am 2. April 1976 abends, als er überraschend aus dem
Militärdienst zurückkehrte, J. zusammen mit seiner Ehefrau in seinem
Hause an. Er erstattete Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs. J. machte
geltend, er habe sich auf Einladung der Ehefrau S. bei ihr aufgehalten,
was diese als zutreffend bestätigte.

    B.- Das Bezirksgericht Bremgarten erklärte J. des Hausfriedensbruchs
schuldig und auferlegte ihm Fr. 120.-- Busse.

    Eine Berufung des J. wies das Obergericht des Kantons Aargau am
16. März 1977 ab.

    C.- J. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung
der Sache an die Vorinstanz zur Freisprechung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Des Hausfriedensbruchs gemäss Art. 186 StGB macht sich insbesondere
schuldig, wer gegen den Willen des Berechtigten in ein Haus unrechtmässig
eindringt. Art. 186 StGB schützt das Hausrecht, nämlich die Befugnis,
über das Haus ungestört zu herrschen und in ihm den eigenen Willen frei zu
betätigen. Träger dieses Rechts ist derjenige, dem die Verfügungsgewalt
über das Haus zusteht, gleichgültig, ob sie auf einem dinglichen oder
obligatorischen oder auf einem öffentlichrechtlichen Verhältnis beruht
(BGE 90 IV 76).

    Es unterliegt keinem Zweifel, dass sowohl der Ehemann wie die Ehefrau
gegenüber einem Störer das Hausrecht ausüben können, gleichgültig, wer
Eigentümer oder Mieter ist. Jedes von ihnen könnte z.B. gegenüber einem
aufsässigen Vertreter oder lästigen Nachbarn ein Hausverbot erlassen und
bei dessen Verletzung gültig Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellen.

Erwägung 2

    2.- Das Hausrecht garantiert die Unverletzlichkeit des eigenen Heims,
nicht wie in der Beschwerde behauptet den Anspruch darauf, nicht mit einem
bestimmten Dritten konfrontiert zu werden. Der Hauseigentümer, der jedem
Bettler und Hausierer durch Anschlag an der Tür seines Wohnblocks das
Betreten verbietet, wohnt möglicherweise in einer andern Stadt und begibt
sich nur alle paar Jahre in sein Haus; das Hausverbot gilt gleichwohl,
bei Übertretung kann - auch durch den abwesenden Eigentümer - Strafantrag
gestellt werden.

    Abwegig ist die These des Beschwerdeführers, ein an sich gültiges
Hausverbot des Ehemannes gegen einen Ehestörer entfalte nur Wirkung für
die Zeit, wo normalerweise der Ehemann zuhause sei, nicht aber bei dessen
längerer Abwesenheit.

    Das Gegenteil ist richtig: Für die Zeit des Aufenthalts zuhause
bedürfte es nicht eines schriftlichen Hausverbots, hier könnte der
Hausherr selbst zum Rechten sehen. Um sich dagegen zu schützen, dass
während längerer Abwesenheit des Hausherrn der unerwünschte Hausfreund
sich im Heim niederlässt, war das Hausverbot das zweckmässige Mittel;
bei dessen Übertretung konnte der Hausherr auch dann Strafantrag stellen,
wenn er sie gar nicht persönlich feststellte, sondern z.B. durch Nachbarn
informiert wurde.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob ein Ehegatte gegen
den Willen des andern einer Drittperson wirksam das Haus verbieten kann
und ob dieser durch eigene Einladung das vom Ehegatten erlassene Hausverbot
unwirksam machen kann.

    a) Wie Vorinstanz und Beschwerdeführer mit Recht feststellen, sind die
sachen- und obligationenrechtlichen Verhältnisse nicht entscheidend. Das
Hausrecht steht wie erwähnt an sich beiden Ehegatten zu, gleichgültig,
wer von ihnen Eigentümer bzw. Mieter der Räume ist.

    b) Nach geltendem Recht ist der Mann das Haupt der Gemeinschaft
(Art. 160 Abs. 1 ZGB). Er vertritt sie nach aussen (Art. 162 Abs. 1
ZGB). Stehen Rechte Mann und Frau gleichermassen zu, so entscheidet im
Streitfall der Wille des Mannes (so ausdrücklich für die Ausübung der
elterlichen Gewalt Art. 274 Abs. 2 ZGB). Bei Meinungsverschiedenheiten
darüber, ob eine Drittperson das eheliche Heim aufsuchen darf oder ihm
fernbleiben muss, kommt es auf die Willensäusserung des Mannes an.

    Diese heute noch geltende Ordnung wird sich mit dem neuen Eherecht
ändern, das die Gleichberechtigung der Ehegatten bringt. Wie dannzumal
über ein streitiges Hausverbot zu entscheiden ist, kann hier offen bleiben.

    c) Alle Rechte gelten nur unter Vorbehalt des Missbrauchs (Art. 2 ZGB;
BGE 94 I 520 E. 4a). Erlässt ein Ehemann ohne schutzwürdiges Interesse
gegenüber einem Dritten ein Hausverbot und beeinträchtigt er dadurch eine
angemessene persönliche Beziehung des andern Ehegatten, so kann dieser
die Hilfe des Eheschutzrichters anrufen.

    Der Beschwerdeführer (und die Ehefrau des Beschwerdegegners) behauptet
nicht, S. habe das Hausverbot ohne triftigen Grund erlassen. Zwischen
dessen Ehefrau und dem Beschwerdeführer bestand ein ehebrecherisches
Verhältnis. Dass die Ehefrau bei dieser Sachlage sich nicht beim
Eheschutzrichter über das Hausverbot gegenüber dem Beschwerdeführer
beklagte, ist verständlich.

    d) Man könnte sich fragen, ob ein Hausverbot und eine Bestrafung wegen
Hausfriedensbruchs die geeigneten Mittel zur Verteidigung der verletzten
Rechte eines Ehegatten sind, oder ob hiefür einzig die Rechtsbehelfe
des Ehe- und des Scheidungsrechts eingesetzt werden dürfen. Es bedeutet
indessen nicht einen übermässigen Eingriff in die höchstpersönlichen
Rechte eines Ehegatten auf freie Gestaltung seiner Beziehungen zu Dritten,
wenn ihm durch Strafdrohung gegenüber dem Dritten verunmöglicht wird,
mit diesem im ehelichen Heim in ehewidrigen Kontakt zu treten. Was im
gemeinsamen Haus geschieht, ist nicht ausschliesslich die höchstpersönliche
Angelegenheit jedes Ehegatten, sondern berührt auch den anderen, solange
die eheliche Gemeinschaft nicht aufgehoben ist.