Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 149



103 IV 149

44. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. August 1977 i.S. B.
gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell A.Rh. Regeste

    Art. 110 Ziff. 5, 251 Ziff. 1 StGB; Begriff der Urkunde. Ein
formungültiger Vertrag kann geeignet sein, andere als durch diesen Vertrag
zu begründende Rechte oder Pflichten zu beweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) B. hat in zwei ähnlichen Ausführungen einen auf den 12. August
1972 datierten "Kaufvertrag" gefälscht. Darnach würde G., Eigentümer des
an B. vermieteten Hauses, dieses dem Beschwerdeführer zum Preis von Fr.
76'000.-- verkaufen. Bei Vertragsschluss hätte der Beschwerdeführer, nach
diesem Vertrag, eine Anzahlung von Fr. 25'000.-- geleistet, verbunden
mit der Verpflichtung, jährlich viermal weitere Fr. 5'000.-- zu zahlen,
erstmals am 31. Dezember 1973. Für den Rest von Fr. 31'000.-- würde eine
Hypothek zu 5% Zins errichtet. Wenn der Käufer vertragsbrüchig werde, habe
er keine Ansprüche mehr auf die geleisteten Zahlungen. Der Grundbucheintrag
könne erst bei fertiger Zahlung erfolgen. Erfülle eine der Parteien diese
Abmachung der drei Punkte nicht, so sei das Gemeindegericht Lutzenberg
zur Abklärung zuständig. Die Unterschrift des Verkäufers G. ist, wie der
Vertrag überhaupt, gefälscht.

    B. hat das eine oder das andere gefälschte Vertragsexemplar Frau
H. gezeigt, um sie in Sicherheit zu wiegen und zu Zahlungen an ihn zu
veranlassen. Darin erblickten die kantonalen Gerichte den Tatbestand der
Urkundenfälschung gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB.

    b) Gegen diese Verurteilung wendet der Beschwerdeführer ein, jedermann
wisse, dass der Kauf oder die hypothekarische Belastung eines Grundstückes
der öffentlichen Beurkundung bedürfe, dass ein in einfacher schriftlicher
Form abgeschlossener Vertrag nicht rechtsgültig sei und dass daher
diese Verträge weder nach Gesetz noch nach Verkehrsübung Beweiseignung
hätten. Die Kaufverträge seien derart mit orthographischen Fehlern behaftet
und derart laienhaft aufgestellt, dass man auf den ersten Blick erkennen
müsse, dass es sich um keinen richtigen Kaufvertrag handeln könne.

    c) Ein Vertrag, der wegen Nichteinhaltung der für seine Gültigkeit
erforderlichen Form nichtig ist, ist nicht geeignet, die darin vereinbarten
Rechte und Pflichten zu beweisen; denn diese sind wegen Ungültigkeit
des Vertrages gerade nicht entstanden. Das besagt aber nicht, dass
solche Verträge zum Beweis schlechtweg ungeeignet sind. Sind sie auch
ungeeignet, die im Vertrag in ungültiger Weise vereinbarten Rechte
und Pflichten nachzuweisen, so können sie doch geeignet sein, sonst
Tatsachen von rechtlicher Bedeutung zu beweisen, so den Umstand, dass
durch Konversion der Vertrag im Rahmen eines andern Rechtsgeschäftes
doch willenskonforme Wirkungen entfaltet, dass die Parteien sonst
rechtserhebliche Erklärungen abgegeben haben oder Tatsachen eingetreten
sind, die sonstwie im Rechtsverkehr (Schadenersatz usw.) Bedeutung haben
(HAEFLIGER, Begriff der Urkunde im schweizerischen Strafrecht, Basel
1952, S. 43, für die Absichtsurkunden, z.B. nicht öffentlich beurkundete
Grundstückkaufverträge; STRATENWERTH, BT II S. 464; auch SCHÖNKE/SCHRÖDER,
Kommentar 18. Auflage § 267 N. 9 betreffend Konversion; GOYET, Droit pénal
spécial, 8. Auflage N. 188; ENCYCLOPEDIE DALLOZ, Droit pénal, "Faux en
écriture" N. 68-77 bes. N. 77; Novissimo digesto italiano Bd. 7 "Falsità
in atti" N. 11: "Anche un atto invalido eppur esistente storicamente come
manifestazione di un pensiero incorporata in una scrittura può presentare
un interesse probatorio che è independente da conseguenze di natura tipica
per le quali l'atto era stato formato o concepito").

    d) Im vorliegenden Falle wären die Kaufverträge, ihre Echtheit
vorausgesetzt, objektiv nicht geeignet gewesen, einen Anspruch auf
Übertragung des Eigentums am Hause auf B. zu begründen. Denn dazu fehlte
es an der gesetzlich vorgeschriebenen Form (Art. 257 ZGB, Art. 22 Abs. 2,
216 OR). Zwar wird auch die Auffassung vertreten, selbst ein gefälschter
Vertrag, der aus formellen Gründen ungültig wäre, wenn er echt wäre,
könne Gegenstand eines Urkundendeliktes sein; denn der Formfehler könne
übersehen werden (so für das französische Recht GOYET, Droit pénal spécial,
8. Auflage N. 188 unter Verweis auf Cass. 18. mai 1960, Bulletin criminel
de la Cour de cassation 272). Doch kann diese Frage offen bleiben. Denn
die gefälschten Verträge enthielten zugleich die Quittung dafür, dass
der Beschwerdeführer an den Kauf der Liegenschaft eine Anzahlung von
Fr. 25'000.-- gemacht habe. Auch das hätte einen Vermögenswert und
damit für Frau H. eine Sicherheit bedeutet für den Fall, dass sie vom
Beschwerdeführer ihre Darlehen zurückverlangen sollte (vgl. BGE 101 IV
278). Insoweit handelte es sich deshalb bei der Schrift um eine Urkunde.