Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 121



103 IV 121

34. Urteil des Kassationshofes vom 27. Mai 1977 i.S. L. gegen
Sanitätsdepartement des Kantons Basel-Stadt Regeste

    Art. 41 LMG, Art. 68 Abs. 1 EFV. Deklaration von Fleischgerichten.

    1. Die Strafdrohung des Art. 41 LMG sanktioniert nicht nur
Vorschriften, die die Gesundheit schützen, sondern auch solche, welche
den Konsumenten vor Ausbeutung bewahren (E. 1).

    2. Das LMG und die dazu gehörigen Verordnungen, insbesondere die
Fleischschauverordnung, schreiben nicht vor, aus welcher Fleischart
"Rahmschnitzel" herzustellen sind. Ohne solche Vorschrift ist nach der
vorherrschenden Verkehrsauffassung zu beurteilen, ob die Verwendung
von Truthahnfleisch ohne entsprechende Deklaration eine Täuschung des
Konsumenten darstelle oder nicht (E. 2 bis E. 4).

Sachverhalt

    A.- Ein Wirt in Basel offerierte am 4. Mai 1976 auf seiner Menükarte
"Rahmschnitzel, Nüdeli, gem. Salat" zum Preis von Fr. 7.--. Als
Fleischbestandteil der Rahmschnitzel verwendete er Truthahnfleisch,
ohne auf der Menükarte auf diesen Sachverhalt hinzuweisen.

    In Bestätigung des Urteils des Polizeigerichtspräsidenten verurteilte
das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt den Wirt am 1. Dezember
1976 gestützt auf Art. 41 Abs. 2 des Bundesgesetzes betreffend den
Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen wegen Übertretung
von Art. 68 Abs. 1 der Eidgenössischen Fleischschauverordnung zu einer
Busse von Fr. 100.--.

    Das Fleischgericht war zwar qualitativ und preislich nicht zu
beanstanden. Doch fanden die kantonalen Gerichte, es hätte der Art nach,
d.h. als Truthahnfleisch, bezeichnet werden müssen, um eine Täuschung
der Kunden auszuschliessen.

    Mit Nichtigkeitsbeschwerde beantragt der Verzeigte, das Urteil
des Appellationsgerichts aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit sie ihn freispreche, eventuell von Strafe Umgang
nehme.

    Das Sanitätsdepartement des Kantons Basel-Stadt stellt Antrag auf
Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gegen seine Verurteilung macht der Beschwerdeführer in erster
Linie geltend, eine verfassungs- und gesetzeskonforme Auslegung des Art.
68 Abs. 1 der Eidgenössischen Fleischschauverordnung ergebe, dass Art. 41
Abs. 2 LMG nur eine Täuschung ahnde, welche Leib oder Gesundheit des
Konsumenten gefährde.

    Diese Ansicht ist falsch. Art. 69bis Abs. 1 lit. a BV ermächtigt
den Bund, gesetzliche Bestimmungen zu erlassen, "über den Verkehr mit
Nahrungs- und Genussmitteln", ohne dass diese Befugnis auf den Schutz
von Leben und Gesundheit eingeschränkt wird, wie dies in lit. b für
"den Verkehr mit andern Gebrauchs- und Verbrauchsgegenständen" zutrifft
(BURCKHARDT, Kommentar, 3. Aufl., S. 620 f). Die Botschaft vom 8. März
1895 zur Verfassungsergänzung führte aus, es sei eine wichtige "Aufgabe
der öffentlichen Gesundheitspflege, durch eine wirksame Aufsicht und
Kontrolle den Handel und den Verkauf von gefälschten oder verfälschten
und gesundheitsschädlichen Nahrungs- und Genussmitteln zu unterdrücken und
so das konsumierende Publikum vor Gesundheitsschädigungen oder Ausbeutung
zu schützen" (BBl 1895 I 771/772).

    Dementsprechend ermächtigt Art. 54 Abs. 2 LMG den Bundesrat zu
verordnen, "dass Lebensmittel sowohl im Gross- als im Kleinverkehr so
bezeichnet werden, dass eine Täuschung über ihre Natur und ihre Herkunft
nicht möglich ist". Es entspricht dies, nach der Botschaft vom 28 Februar
1899 zum Entwurf des Lebensmittelgesetzes, dem Zweck des Gesetzes, den
Konsumenten vor Gesundheitsschädigung und vor Ausbeutung zu bewahren
(BBl 1899 I 615).

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer bestreitet die Anwendbarkeit der
Eidgenössischen Fleischschauverordnung (EFV; SR 817.191) auf die Abgabe
gekochter Fleischgerichte in Restaurants an sich nicht. Dafür spricht
Art. 119 LMV, welcher für den Verkehr mit Fleischwaren generell die
Vorschriften der jeweils geltenden Verordnung betreffend das Schlachten,
die Fleischschau und den Verkehr mit Fleischwaren anwendbar erklärt und
diesem einige weitere Vorschriften über Fleischextrakte, Bouillonpräparate
und Sulze hinzufügt. Anwendbar erscheint demnach auch Art. 68 Abs. 1
EFV, auf den die kantonalen Gerichte ihre Verurteilung unmittelbar
stützen. Doch kann die Frage hier offen bleiben. Denn andernfalls würde
Art. 15 Abs. 1 LMV eingreifen. Darnach dürfen für Lebensmittel verwendete
Bezeichnungen, Angaben, Abbildungen und Packungsaufschriften sowie Arten
der Aufmachungen nicht zur Täuschung über Natur, Herkunft, Menge, Gewicht
usw. der betreffenden Lebensmittel geeignet sein. Beide Vorschriften aber
hat der Bundesrat in Erfüllung des gesetzlichen Auftrages (Art. 54 Abs. 2
LMG) erlassen, wonach Lebensmittel sowohl im Gross- als im Kleinverkehr
so bezeichnet werden müssen, dass eine Täuschung über ihre Natur und ihre
Herkunft nicht möglich ist.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, Art. 68 Abs. 1 EFV
enthalte keine generelle Deklarationspflicht. Eine solche bestehe nur für
Pferdefleisch. Allgemein untersagt werde lediglich die Falschdeklaration
von Fleisch und Fleischwaren.

    Dies ist - auch für Art. 54 Abs. 2 LMG und Art. 15 Abs. 1 LMV -
insoweit richtig, als diese Gesetzesvorschriften nicht ausdrücklich
sagen, wie Rahm-Truthahnschnitzel zu bezeichnen sind. Sie schreiben
nur vor, sie seien so zu bezeichnen, dass eine Täuschung des Käufers
ausgeschlossen ist. Ob dies zutrifft, ist von Fall zu Fall zu prüfen und
nicht "ausschliesslich auf Grund der bestehenden gesetzlichen Vorschriften
zu beurteilen", wie die Vorinstanz annimmt.

    Etwas anderes kann weder aus Art. 63 noch aus Art. 74 Abs. 3 EFV
abgeleitet werden. Wenn die erstere Vorschrift das Beseitigen oder
Ändern amtlicher Stempelabdrücke sowie jegliche Behandlung von Fleisch
und Fleischwaren, die zur Täuschung über Herkunft, Eigenart usw. Anlass
geben können, schlechtweg verbietet, so kann sie darunter nicht die durch
die Kochkunst übliche Zubereitung von Fleischgerichten gemeint haben. Und
wenn Art. 74 Abs. 3 vorschreibt, "Wurstwaren, die Fleisch von Kaninchen,
Geflügel und Wildbret enthalten, sind deutlich als solche zu bezeichnen",
so gilt diese besondere Deklarationspflicht nur gerade für Wurstwaren,
nicht aber auch für Truthahnschnitzel, solange eine entsprechende
Vorschrift der Verordnung oder allenfalls eine koordinierende Bestimmung
des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes fehlt. Sie wird
auch nicht durch die Mitteilung des Eidgenössischen Veterinäramtes vom
12. Mai 1976 über die Verarbeitung von Geflügelfleisch in Wurstwaren
ersetzt, wenn sie in Absatz 3 darauf aufmerksam macht, dass auch
zubereitete Fleischgerichte aus oder mit Geflügelfleisch als solche zu
deklarieren seien, sofern nach den allgemeinen Regeln der Küche nicht
offensichtlich auf die Verwendung von Geflügelfleisch geschlossen werden
könne, z.B. Truthahnschnitzel, Geschnetzeltes aus Pouletfleisch. Diese
Verlautbarung beansprucht nicht Verordnungscharakter. Es wird lediglich auf
die allgemeinen Regeln der Kochkunst verwiesen und daraus abgeleitet,
ohne besondern Hinweis auf Geflügel müsse nicht damit gerechnet
werden, Schnitzel seien aus Geflügelfleisch hergestellt. Eine
positive Deklarationspflicht wird daher durch diese Mitteilung des
Eidg. Veterinäramtes nicht begründet. Eine aus Art. 74 Abs. 3 abgeleitete
Strafe würde gegen den Grundsatz "keine Strafe ohne Gesetz" verstossen.

Erwägung 4

    4.- Ob im vorliegenden Fall eine Täuschungsgefahr bestanden habe,
kann nur beurteilt werden, wenn man die begründeten Erwartungen der
Gäste, die ein Tellergericht mit Rahmschnitzel zu Fr. 7.-- bestellen,
kennt. Diese Erwartungen lassen sich weder dem Gesetz noch der Verordnung
allein entnehmen. Der Vorinstanz kann daher nicht in jeder Hinsicht gefolgt
werden, wenn sie eine Erkundigung beim Wirteverein Basel-Stadt ablehnte mit
der Begründung, die Deklarationspflicht richte sich ausschliesslich nach
den gesetzlichen Vorschriften, nicht nach einer allenfalls abweichenden
Beurteilung oder Stellungnahme Dritter.

    Solange eine lebensmittelpolizeiliche Vorschrift fehlt, welche die
Art des Fleisches vorschreibt, aus dem "Rahmschnitzel" hergestellt werden
müssen, ist darauf abzustellen, was Gäste nach festen Regeln der Küche
oder der vorherrschenden Verkehrsauffassung der Konsumenten erwarten
dürfen und was sie ohne entsprechende Deklaration nicht in Kauf nehmen
müssen. Eine solche Feststellung hat die Vorinstanz nicht getroffen,
auch nicht aus eigener Sachkenntnis.

    Aus den erwähnten Gründen könnte der Vorinstanz auch insoweit nicht
zugestimmt werden, als es nach ihrer Meinung unerheblich wäre, wenn bei
einem Menü von nur Fr. 7.-- rund 80% der Gäste zum vornherein Truthahn-
oder allenfalls Schweinefleisch, nicht aber Kalbfleisch erwarten würden,
weil der gesetzliche Schutz auch den restlichen 20% zugutekomme. Diese
Anschauung übersieht, dass der gesetzliche Schutz nur jenen zukommt,
welche in ihrer durch Gesetz, die massgebliche Verkehrsauffassung,
besondere Zusicherung oder andere Umstände begründeten Erwartung getäuscht
werden. Weiter zu gehen wäre in Fällen wo Fleisch hygienisch und dem
Geschmack nach einwandfrei und preiswert ist, nicht gerechtfertigt.

Erwägung 5

    5.- Die Beschwerde ist daher dahin gutzuheissen, dass die Sache
an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie auf geeignete Weise
abkläre, ob ein Gast zur Zeit der Tat bei einem Menü von Fr. 7.-- unter der
Bezeichnung "Rahmschnitzel" auch mit Truthahnfleisch rechnen musste. Sollte
dies zutreffen, müsste der Beschwerdeführer freigesprochen werden; im
gegenteiligen Fall wäre seine Berufung auf Rechtsirrtum erneut zu prüfen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des
Appellationsgerichts-Ausschusses des Kantons Basel-Stadt vom 1. Dezember
1976 aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.