Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IV 115



103 IV 115

33. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 23. Juni 1977 i.S. X. gegen
Generaldirektion PTT Regeste

    1. Art. 28 VStrR. Zur Beschwerdeführung ist nur befugt, wer durch
den angefochtenen Entscheid (noch) zumindest teilweise beschwert und
demzufolge an dessen Änderung interessiert ist (Erw. 1).

    2. Art. 46 Abs. 1 lit. a VStrR. Beim Verdacht einer Widerhandlung gegen
ein Verwaltungsgesetz des Bundes dürfen Gegenstände, die als Beweismittel
von Bedeutung sein können, beschlagnahmt werden Die Beschlagnahme hat
provisorischen Charakter (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Vor einiger Zeit strahlten im Raume Zürich sogenannte Piratensender
unter der Bezeichnung "Atlantis", "Atlantis I" und "Atlantis II"
Sendungen aus. X. wurde verdächtigt, der Urheber der Piratensendungen
"Atlantis I" und "Atlantis II" zu sein. Es wurde deshalb gegen ihn ein
Verwaltungsstrafverfahren eröffnet, das noch hängig ist.

    Im Mai dieses Jahres kündigte der "Piratensender 101" auf Flugblättern,
die im Raume Zürich verteilt wurden, eine Piratensendung auf den 23. Mai
1976 an. Die Sendung wurde am angegebenen Datum von 19.30 bis 19.50
Uhr ausgestrahlt. Am Schluss der Sendung wurde bekanntgegeben, dass die
nächste Ausstrahlung am 6. Juni 1977, um 19.30 Uhr, erfolgen werde.

    Am 6. Juni 1977 eröffnete die Sektion Funküberwachung der
Generaldirektion PTT eine sich auf den "Piratensender 101" beziehende
Untersuchung gemäss Art. 37 ff. VStrR gegen unbekannte Täterschaft wegen
Widerhandlung im Sinne von Art. 42 des Bundesgesetzes betreffend den
Telegraphen- und Telephonverkehr vom 14. Oktober 1922 (SR 784.10). Als
der "Piratensender 101" am Abend desselben Tages seine Sendungen aufnahm,
konnte er im Gebiet des Albishorns geortet werden. Die Sendeanlage mit
Originaltonbandkassette wurde in der Nähe des Parkplatzes des Restaurants
"Albishorn", in einem Rucksack im Unterholz versteckt, aufgefunden.
Die Täterschaft war unbekannt. Die Polizei überwachte in der Folge das
aufgefundene Versteck in der Annahme, es könnte jemand im Laufe der Nacht
das verborgene Sendematerial abholen wollen. Im Zuge der Fahndung wurden
alle Fahrzeuge in der Umgebung des ausgemachten Senderstandortes überprüft.

    In derselben Nacht lenkte X. in Begleitung seines Bekannten
G. einen Personenwagen kurz nach 22.30 Uhr zum Parkplatz des Restaurants
"Oberalbis". Bei der Wegfahrt wurde er von der Polizei angehalten und
festgenommen. Die Polizeiorgane verbrachten ihn auf die Hauptwache der
Kantonspolizei Zürich, wo am 7. Juni 1977, um 01.00 Uhr, verschiedene
Gegenstände beschlagnahmt wurden, die X. in seinem Wagen mitgeführt hatte,
nämlich:

    - 1 Plastikkoffer, enthaltend zwei Mikrofone, zwei Kabel mit Stecker
und zwei Stative,

    - 1 Plastikkoffer, enthaltend ein Mikrofon und zwei Stative,

    - 1 Scanner FANON,

    - 10 Tonband-Kassetten,

    - 1 Kleintonband-Gerät mit Kassette,

    - 1 Wipic-Antenne mit Fuss,

    - 5 Stabantennen,

    - 2 Mini-Kassetten,

    - 1 Blatt A4 mit Kroki und Polizei- und PTT-Wagennummern.

    B.- Mit einer vom 10. Juni 1977 datierten, am selben Tage der Post
übergebenen und an die Generaldirektion PTT gerichteten Eingabe erhob X.
Beschwerde. Er beantragte die Herausgabe der beschlagnahmten Gegenstände
sowie die Feststellung, dass die gegen ihn ausgeführten Amtshandlungen
unangebracht waren und die Art. 45 ff. VStrR verletzt wurden.

    Die Generaldirektion PTT überwies die Beschwerde am 16. Juni 1977 in
Anwendung von Art. 26 Abs. 3 VStrR der Anklagekammer des Bundesgerichts.
Gleichzeitig beantragte sie die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden könne.

Auszug aus den Erwägungen:

            Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Art. 28 VStrR ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die
angefochtene Amtshandlung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an
deren Aufhebung oder Änderung hat. Die Beschwerde an die Anklagekammer des
Bundesgerichts im Verwaltungsstrafverfahren setzt demnach ein aktuelles
Rechtsschutzbedürfnis voraus. Zur Beschwerdeführung ist nur befugt, wer
durch den angefochtenen Entscheid (noch) zumindest teilweise beschwert und
demzufolge an dessen Änderung interessiert ist. Ein Rechtsschutzbedürfnis
fehlt, wenn der Beschwerdeführer durch den Entscheid, den er anficht,
nicht mehr beschwert ist. So wird die Haftbeschwerde eines Verhafteten
nach konstanter Praxis als gegenstandslos abgeschrieben, wenn der
Beschwerdeführer während des Beschwerdeverfahrens freigelassen wurde. Ein
Freigelassener kann mit einer Haftbeschwerde auch nicht die gerichtliche
Feststellung verlangen, er sei zu Unrecht verhaftet worden, sondern es
steht ihm höchstens zu, eine Entschädigung wegen ungerechtfertigter Haft im
Sinne von Art. 99 ff. VStrR geltend zu machen oder eine Aufsichtsbeschwerde
gegen den Untersuchungsbeamten zu führen, von dem er glaubt, er habe ihn zu
Unrecht verhaftet. Was für die Verhaftung als schwerstem Eingriff in die
persönliche Freiheit gilt, muss sinngemäss auch für weniger weitgehende
Zwangsmassnahmen gelten.

    b) Der Beschwerdeführer macht im vorliegenden Fall vor allem geltend,
die Untersuchungsbeamten hätten

    - sich ihm gegenüber, trotz wiederholten Aufforderungen und entgegen
der Vorschrift des Art. 49 VStrR, nicht ausgewiesen;

    - alle in seiner Handtasche und im Auto vorgefundenen Papiere
durchsucht, ein bis zwei an ihn adressierte, noch verschlossene Briefe
geöffnet und gelesen, sich dabei in spöttischer Weise über den Inhalt
unterhalten und dadurch gegen Art. 50 VStrR verstossen;

    - ihn wie einen Verbrecher in ein Polizeiauto verbracht,
einer Leibesvisitation unterzogen und dadurch den Grundsatz der
Verhältnismässigkeit verletzt;

    - ihn während der Untersuchung in unzulässiger Weise unter Druck
gesetzt.

    Durch alle diese Vorkommnisse ist der Beschwerdeführer heute
nicht mehr beschwert. Auf seine Beschwerde ist deshalb insoweit nicht
einzutreten. Sollte er der Ansicht sein, die fraglichen Beamten hätten
die ihnen zustehenden Kompetenzen überschritten, stünde es ihm frei,
gegen jene eine Aufsichtsbeschwerde zu erheben oder allenfalls eine
Verantwortlichkeitsklage einzuleiten. Die Anklagekammer des Bundesgerichts
kann im Verwaltungsstrafverfahren gegenüber Kompetenzüberschreitungen
der behaupteten Art nicht als Disziplinarbehörde angerufen werden.

Erwägung 3

    3.- a) Nach Art. 46 Abs. 1 lit. a VStrR dürfen im Rahmen eines
Verwaltungsstrafverfahrens unter anderem Gegenstände mit Beschlag belegt
werden, die als Beweismittel von Bedeutung sein können.

    b) Der beschlagnahmte Scanner, die Mini-Kassetten, das
Kleintonband-Gerät und das beschlagnahmte Blatt A4 mit Kroki und Polizei-
und PTT-Wagennummern waren geeignet, den Beweis dafür zu erbringen,
dass der Beschwerdeführer in verbotener Weise den Polizeifunk abgehört
und aufgezeichnet hatte. Die Beschlagnahme der genannten Gegenstände war
demnach gerechtfertigt. Dass der Scanner und die beiden Mini-Kassetten als
Beweismittel von Bedeutung sein können, wird übrigens vom Beschwerdeführer
selber anerkannt.

    Die beschlagnahmten weiteren Kassetten konnten möglicherweise
Aufzeichnungen für die Piratensendungen "Atlantis", "Atlantis I" oder
"Atlantis II" enthalten. Diese Gegenstände konnten an Ort und Stelle
nicht überprüft werden, so dass deren Beschlagnahme zur Beweissicherung
ebenfalls gerechtfertigt war.

    Die beschlagnahmten Stabantennen sind je nach ihrer Beschaffenheit für
den UKW- oder KW-Sende- und Empfangsbetrieb verwendbar. In der Untersuchung
wird durch Messungen und Vergleichungen abzuklären sein, ob sie sowie
die beschlagnahmten Mikrofone und das beschlagnahmte weitere Material
allenfalls für den Betrieb des Piratensenders "Atlantis", "Atlantis I"
oder "Atlantis II" verwendet wurden. Insoweit können diese Gegenstände
als Beweismittel ebenfalls von Bedeutung sein, so dass ihre Beschlagnahme
zu Recht erfolgte.

    Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich im Zeitpunkt der vom
"Piratensender 101" ausgestrahlten Sendung in Zürich aufhielt, beweist
entgegen der in der Beschwerde vertretenen Meinung noch nicht, dass der
Beschwerdeführer mit dieser oder anderen Piratensendungen nichts zu tun
gehabt habe. Einerseits konnte der "Piratensender 101" automatisch oder
möglicherweise durch eine vom Beschwerdeführer angestellte Hilfsperson
in Betrieb gesetzt worden sein und anderseits wird in der Untersuchung
abgeklärt werden müssen, ob das beschlagnahmte Material allenfalls für die
Sendungen von "Atlantis", "Atlantis I" oder "Atlantis II" verwendet wurde.
   c) Die Beschlagnahme der fraglichen Gegenstände hält
demnach vor dem Gesetze stand. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit ist
durch diese Massnahme nicht verletzt, weil im Bereich der Piratensendungen
wie in demjenigen des Hobbyfunks weniger einschneidende Massnahmen
in der Regel nicht geeignet sind, die durch die Telegraphen und
Telefonverkehrsgesetzgebung angestrebte gute Ordnung zu sichern. Der
Beschlagnahme im Sinne von Art. 46 VStrR kommt im übrigen nur
provisorischer Charakter zu; sie wird aufgehoben, wenn sich der gegenüber
dem Beschwerdeführer entstandene Verdacht im Laufe der Untersuchung als
unbegründet erweist und sich herausstellt, dass er das beschlagnahmte
Material, wie er behauptet, erst am Nachmittag des 6. Juni 1977 für den
Aufbau einer Lautsprecheranlage für ein Fussballspiel ausgeliehen hat.
Die Beschwerde ist deshalb in diesem Punkte als unbegründet abzuweisen.

Entscheid:

             Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.