Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 II 96



103 II 96

15. Urteil der II. Zivilabteilung vom 13. Mai 1977 i.S. Thurflug AG Lommis
und Motorfluggruppe der Sektion Thurgau des Aero-Clubs der Schweiz gegen
Lauchetal AG Regeste

    Art. 667 Abs. 1 ZGB (Verhältnis zwischen Luftrecht und Grundeigentum).

    1. Abgesehen von den im Luftfahrtgesetz ausdrücklich vorgesehenen
Fällen steht der Luftraum der Luftfahrt nur soweit zur Verfügung als
die dem Grundeigentümer vom Privatrecht eingeräumten Rechte nicht
beeinträchtigt werden (E. 2).

    2. Das Überfliegen eines Grundstücks in geringer Höhe ohne vertragliche
Bewilligung des Grundeigentümers in der Umgebung eines privaten Flugplatzes
ist widerrechtlich (E. 3).

    3. Ist die Errichtung einer Baute in der Anflugschneise eines
Flugplatzes, mit der unter anderem auch die Verhinderung des Flugbetriebs
bezweckt wird, rechtsmissbräuchlich? (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Die Thurflug AG und die Motorfluggruppe der Sektion Thurgau
des Aero-Clubs der Schweiz sind Eigentümerinnen mehrerer Grundstücke
bei Lommis/TG, auf denen sie gestützt auf eine Betriebsbewilligung
des eidgenössischen Luftamtes vom Jahre 1962 ein privates Flugfeld
betreiben. Am 15. Dezember 1972 wurde die Lauchetal AG mit Sitz in
Lommis gegründet. Gemäss ihren Statuten bezweckt sie den Kauf und
Verkauf, die Verwaltung und Überbauung von Grundstücken sowie den
Betrieb von Baumschulen und Gartenanlagen. Ihrem Verwaltungsrat
scheinen im wesentlichen die gleichen Leute anzugehören, die auch
in einem "Aktionskomitee für Fluglärmbekämpfung Lommis und Umgebung"
massgebend sind. Es gelang ihr, in unmittelbarer Nähe des Flugfeldes
zwei Grundstücke zu erwerben, insbesondere die westlich der Flugfeldpiste
liegende, von dieser lediglich durch ein Meliorationssträsschen getrennte,
bisher unüberbaute Parzelle Nr. 124 im Ausmass von rund 19 000 m2.

    Im August 1974 stellte die Lauchetal AG bei der Ortsvorsteherschaft
Lommis ein Baugesuch für eine Einstellhalle zu land- und
forstwirtschaftlichen Zwecken. Die Halle sollte in die Südostecke der
Parzelle Nr. 124 auf der Fortsetzung der Pistenachse zu stehen kommen
und einen Grundriss von rund 20 auf 21 m sowie eine Höhe von 12,45 m
aufweisen. Die Thurflug AG und die Motorfluggruppe erwirkten darauf beim
Gerichtspräsidenten Münchwilen am 20. August 1974 ein provisorisches
Bauverbot und leiteten innert der angesetzten Frist Bauverbotsklagen
beim Bezirksgericht Münchwilen ein. Dieses hiess die Klagen mit Urteil
vom 28. Mai 1976 mit der Begründung gut, das Bauvorhaben der Beklagten
sei rechtsmissbräuchlich. Das Obergericht des Kantons Thurgau hiess eine
von der Beklagten eingereichte Berufung am 16. Dezember 1976 gut, wies
die Klagen ab und hob das provisorische Bauverbot auf.

    Gegen das obergerichtliche Urteil haben die Klägerinnen beim
Bundesgericht gemeinsam staatsrechtliche Beschwerde und getrennt Berufung
eingereicht. Auf die staatsrechtliche Beschwerde trat das Bundesgericht
nicht ein. Mit den beiden Berufungen beantragen die Klägerinnen sinngemäss,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Klage abzuweisen; eventuell
sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Beklagte und das
Obergericht beantragen die Abweisung der Berufungen.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die im vorinstanzlichen Urteil und in der Berufung der Thurflug AG
diskutierte Frage, ob die Beklagte für ihr Bauvorhaben bereits im Besitze
einer öffentlichrechtlichen Baubewilligung sei bzw. ob diesem Bauvorhaben
öffentlichrechtliche Vorschriften des eidgenössischen, kantonalen oder
kommunalen Bau- und Planungsrechtes entgegenstünden, ist für den Entscheid
in der vorliegenden Streitsache ohne Bedeutung. Der Zivilrichter hat
lediglich zu prüfen, ob das Bauvorhaben der Beklagten private Rechte der
Klägerinnen verletze. Auch die öffentlichrechtlichen Vorschriften des
Bundes über die Luftfahrt sind nur insofern von Bedeutung, als sich aus
ihnen eine Beschränkung des Grundeigentums im Sinne von Art. 641 Abs. 1
und Art. 667 Abs. 1 ZGB ableiten lässt.

Erwägung 2

    2.- Eine Verletzung von Bundesrecht erblicken die Klägerinnen in erster
Linie in der Auffassung des Obergerichts, ein Flugfeldinhaber verstosse
gegen das öffentliche Luftrecht, wenn er ohne besondere vertragliche
Einigung mit den Nachbarn deren Grundstücke in einer Höhe von weniger
als 150 m überfliege. Die Beurteilung dieser Rüge ruft einer Prüfung nach
dem Verhältnis zwischen Luftrecht und Grundeigentum.

    Gemäss Art. 1 des Luftfahrtgesetzes (LFG; SR 748.0) ist die
Benützung des Luftraumes über der Schweiz durch Luftfahrzeuge
im Rahmen der Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes und der übrigen
Bundesgesetzgebung gestattet. Beschränkungen des Grundeigentums in
der Umgebung von Flugplätzen enthalten insbesondere die Art. 42 und
43 LFG. Sie gelten aber nur für öffentliche Flugplätze, die gemäss
Art. 37 Abs. 1 LFG einer Konzession bedürfen, und begründen zudem,
wenn sie einer Enteignung gleichkommen, eine Entschädigungspflicht
(Art. 44 LFG). Private Flugplätze, die nicht dem öffentlichen Verkehr
dienen (sogenannte Flugfelder, Art. 31 Abs. 2 LFV, SR 748.01) und die
gemäss Art. 37 Abs. 2 LFG lediglich einer Bewilligung des eidgenössischen
Luftamtes bedürfen, haben gemäss Art. 44ter LFG die nötigen Massnahmen zur
Gewährleistung des Betriebes auf privatrechtlichem Weg zu treffen. Weitere
Beschränkungen des Eigentums finden sich in den Art. 41 und 50 LFG. Nach
der erstgenannten Bestimmung kann der Bundesrat Vorschriften erlassen,
um Luftfahrthindernisse zu untersagen, zu beseitigen oder anzupassen,
wobei im Falle der Enteignung eine Entschädigungspflicht besteht, und
in Art. 50 wird ein Enteignungsrecht für öffentliche Flugplätze und für
Vorkehren zur Flugsicherung statuiert.

    Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt. dass der Luftraum dem
Gemeingebrauch durch die Luftfahrt so weit zur Verfügung steht, als
dadurch die dem Grundeigentümer vom Zivilrecht eingeräumten Rechte nicht
beeinträchtigt werden. Eine Beschränkung des Grundeigentums ist nur in den
vom Luftrecht ausdrücklich vorgesehenen Fällen, im Falle einer Enteignung
zudem nur gegen volle Entschädigung, zulässig (vgl. dazu OPPIKOFER, Die
aktuellen Probleme des Luftrechts, ZSR 65/1946 S. 206a ff.; GULDIMANN,
Cuius est solum, eius est usque ad coelum, Zeitschrift für Luftrecht
1/1952 S. 215 ff.; BAI, Luftrecht und Grundeigentum, Diss. Zürich 1955
S. 64 ff. und 114 ff.; ROCHAT, La protection contre les obstacles à la
navigation aérienne, Diss. Lausanne 1974 S. 22 Nr. 30).

    Keine eigentlichen Eigentumsbeschränkungen, sondern lediglich
polizeiliche Vorschriften über den Flugverkehr bilden die Bestimmungen
über die minimale Flughöhe (BAI, aaO S. 204). Diese beträgt, wie
die Vorinstanz richtig feststellt, gemäss Art. 60 der Verfügung des
Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement über die
Verkehrsregeln für Luftfahrzeuge vom 3. Dezember 1971 (SR 748.121.11) über
dichtbesiedelten Zonen 300 m und im übrigen 150 m. Die Mindestflughöhen
gelten indessen nach der genannten Bestimmung für den Abflug und die
Landung nicht. Beim Starten und Landen darf somit ein Flugzeug eine Höhe
von weniger als 300 bzw. 150 m einhalten, ohne damit gegen Vorschriften
des öffentlichen Luftrechtes zu verstossen. Insoweit kann demnach dem
obergerichtlichen Urteil nicht zugestimmt werden. Ob das Überfliegen
eines Grundstücks rechtmässig oder widerrechtlich erfolgt, beurteilt
sich - von den besonderen Eigentumsbeschränkungen in der Umgebung von
öffentlichen Flugplätzen abgesehen - allein nach privatrechtlichen
Gesichtspunkten. Der Grundeigentümer kann sich gemäss Art. 641 Abs. 2
ZGB gegen das Überfliegen zur Wehr setzen, wenn es ihn in der Ausübung
seiner Eigentumsrechte behindert (BGE 95 II 405/6).

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 667 Abs. 1 ZGB erstreckt sich das Grundeigentum so
weit in den Luftraum, als für seine Ausübung ein Interesse besteht. Das
ist für die Beklagte bis zu einer Höhe von 12,45 m ohne jeden Zweifel
der Fall (so auch BGE 95 II 405). Vom eidgenössischen Privatrecht her
gesehen bestehen keine Bestimmungen, die der Beklagten die Errichtung so
hoher Bauten auf ihrem Grundstück verbieten würden, und die Klägerinnen
vermögen auch keine aufgrund von Art. 686 ZGB erlassene Vorschrift des
kantonalen privaten Baurechts anzurufen, die dem Bauvorhaben der Beklagten
entgegenstehen würde (was übrigens das Bundesgericht nicht zu überprüfen
hätte). Daraus folgt, dass den Klägerinnen nur dann ein Anspruch zustehen
würde, das fragliche Grundstück in so geringer Höhe zu überfliegen,
wenn ihnen hiefür seitens der Beklagten vertraglich ein Recht eingeräumt
worden wäre. Das ist jedoch nicht geschehen. Auf die bloss prekaristische
Duldung der Überflüge durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten können sich
die Klägerinnen selbstverständlich nicht berufen, da die Beklagte durch
ein allfälliges derartiges Verhalten des früheren Grundeigentümers nicht
gebunden wäre und zudem eine prekaristische Erlaubnis voraussetzungslos
jederzeit widerrufen werden kann.

    Im Ergebnis ist somit, wenn auch mit etwas anderer Begründung, der
Vorinstanz doch darin zuzustimmen, dass das Überfliegen des Grundstücks
der Beklagten durch die Klägerinnen rechtswidrig erfolgt. Diesem Umstand
kommt bei der Beurteilung der Frage, ob die Beklagte rechtsmissbräuchlich
handle, Bedeutung zu.

Erwägung 4

    4.- Im Grunde genommen gehen die Klägerinnen mit der Vorinstanz
darin einig, dass der Beklagten ihr Bauvorhaben nur untersagt werden
kann, wenn dessen Ausführung einen offenbaren Rechtsmissbrauch im
Sinne von Art. 2 Abs. 2 ZGB darstellt. Das könnte nach den zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz nur dann bejaht werden, wenn die von der
Beklagten projektierte Baute keinen vernünftigen andern Zweck hätte,
als den Flugbetrieb der Klägerinnen zu hindern oder zu stören. Das ist
jedoch nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
nicht der Fall. Wenn diese ausführt. die Beklagte räume ein, dass die
Scheune "auch eine Abwehrfunktion" habe, so liegt darin indirekt die
Feststellung, dass mit ihr ausserdem noch weitere Zwecke verfolgt werden,
und die Vorinstanz legt diese denn auch dar. Sie hält fest, dass sich
die geplante Überbauung unter den statutarischen Gesellschaftszweck der
Beklagten subsumieren lässt und dass sie eine Wertvermehrung für die
Parzelle mit sich bringt. Die Beklagte kann daher ein schützenswertes
Interesse für die Erstellung der Halle geltend machen. Sie braucht sich
nicht auf Diskussionen mit den Klägerinnen darüber einzulassen, ob der
Betrieb einer Baumschule auf ihrem Grundstück bessere oder geringere
Erfolgsaussichten habe, ob für die von ihr verfolgten Zwecke auch ein
weniger hohes Gebäude genügen würde und ob dessen Standort allenfalls
auf eine andere Stelle des Grundstückes verlegt werden könne. Alle diese
Fragen würden sich nur dann stellen, wenn die Klägerinnen in der Ausübung
eines ihnen zustehenden Rechts behindert würden. Dagegen können sie sich
nicht darüber beklagen, dass ihnen die Ausübung einer widerrechtlichen
Handlung verunmöglicht wird. Es liesse sich vielmehr die Frage stellen,
ob die Beklagte zur Errichtung der geplanten Baute nicht auch dann befugt
wäre, wenn sie mit deren Ausführung kein anderes Interesse verfolgen würde,
als die Klägerinnen am rechtswidrigen Überfliegen ihres Grundstückes zu
hindern. In dieser Hinsicht lässt sich der vorliegende Tatbestand nicht
mit dem von MERZ (N. 347 zu Art. 2 ZGB) angeführten französischen Fall
Clément-Bayard/Coquerel (DALLOZ, Recueil périodique, 1913 II S. 181 und
1917 I S. 79) vergleichen. Dort ging es darum, dass der Nachbar eines
Flugplatzes 10-11 m hohe Holzgestelle errichtete und auf diesen zudem
noch 2-3 m lange, spitze Eisenstangen montierte, in der ausschliesslichen
Absicht, dem Flugplatzinhaber zu schaden und diesen zu veranlassen,
ihm sein Grundstück zu einem übersetzten Preis abzukaufen. Obwohl
nach den Feststellungen beider urteilenden Gerichtsinstanzen auch die
Holzgestelle keinerlei vernünftigen Sinn hatten, wurde der Geklagte
lediglich verpflichtet, die Eisenstangen zu entfernen, nicht auch die
Holzgestelle abzubrechen.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die beiden Berufungen werden abgewiesen und das Urteil des Obergerichts
des Kantons Thurgau vom 16. Dezember 1976 bestätigt.