Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 II 141



103 II 141

24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Juni 1977 i.S.
Kollektivgesellschaft H. & W. Spross gegen Deponie AG Regeste

    Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses.

    1. Art. 700 Abs. 1 OR. Die Verhandlungsgegenstände sind bei der
Einberufung genau bekanntzugeben, damit die Aktionäre wissen, worüber
verhandelt und allenfalls beschlossen werden soll.

    2. Art. 700 Abs. 2 OR. Die Angabe "Liquidität der Gesellschaft"
genügt nicht für den Beschluss, das Inventar der Gesellschaft zu verkaufen.

Sachverhalt

    A.- Die Deponie AG, die ihren Sitz in Zürich hat, will gemäss Statuten
Ablagestellen für Abfuhr-, Aushub- und Abbruchmaterial aller Art anbieten,
wozu sie sich jeder geeigneten Massnahme bedienen kann. Ihr Grundkapital
von Fr. 500'000.-- ist zerlegt in 500 Namenaktien; 25 davon gehören der
Kollektivgesellschaft H. & W. Spross.

    Am 27. November 1975 hielt die Deponie AG in Zürich eine
ausserordentliche Generalversammlung ab, an der 354 Aktien vertreten
waren. Die mit der Einladung zugestellte Traktandenliste sah unter
Ziff. 2 die "Liquidität der Gesellschaft" als Verhandlungsgegenstand
vor. Der Verwaltungsrat stellte dazu in der Versammlung den Antrag,
das Inventar an Geräten zu verkaufen, weil die Gesellschaft nach seiner
Feststellung einstweilen stillstehe, aber nicht zu liquidieren sei; es
fehle das Substrat für den weiteren Betrieb, bis von der Behörde eine
Ablagestelle bewilligt werde. Um Schäden am Inventar wegen der Stillegung
zu vermeiden, ersuche der Verwaltungsrat die Versammlung um Zustimmung
zum Verkauf; so könnten auch die nötigen Mittel beschafft werden, um
dringliche Verpflichtungen abzulösen.

    Die Versammlung beschloss daraufhin mit 324 gegen 30 Stimmen, dem
Antrag des Verwaltungsrates zuzustimmen.

    B.- Die Kollektivgesellschaft H. & W. Spross, die sich dem Antrag
widersetzt hatte, klagte am 26. Januar 1976 gegen die Deponie AG
insbesondere mit dem Begehren, den Beschluss der ausserordentlichen
Generalversammlung vom 27. November 1975 über den Verkauf des Inventars
gerichtlich aufzuheben.

    Die Klägerin machte geltend, dieser Beschluss verstosse gegen
Art. 700 OR und § 11 der Statuten. Das Inventar stelle das einzige
Aktivum der Beklagten dar; sein Verkauf komme einer stillen Liquidation
der Gesellschaft gleich. Da das Aktienkapital verloren und die Beklagte
überschuldet sei, hätte die Verwaltung gemäss Art. 725 OR vorgehen müssen;
der ihr nicht angehörende Aktionär sei von ihrem Antrag völlig überrumpelt
worden und habe sich auf das unter Ziff. 2 der Traktanden ohnehin nicht
zu erwartende Geschäft nicht vorbereiten können.

    Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage am 26. Oktober
1976 ab.

    C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, mit
der sie an ihrem Begehren, den Beschluss der Generalversammlung über den
Verkauf des Inventars aufzuheben, festhält.

    Das Bundesgericht heisst dieses Begehren gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

    Nach den Statuten der Beklagten sind in der Einladung zur
Generalversammlung insbesondere die Verhandlungsgegenstände anzugeben (§
7), und kann in der Versammlung nur über Gegenstände gültig beschlossen
werden, die im Einladungsschreiben erwähnt sind (§ 11). Gleich verhält
es sich nach den gesetzlichen Vorschriften. Die Verhandlungsgegenstände
sind bei der Einberufung der Generalversammlung bekanntzugeben, und über
Gegenstände, die nicht in dieser Weise angekündigt worden sind, können
Beschlüsse nicht gefasst werden (Art. 700 Abs. 1 und 2 OR).

    a) Daraus folgt, dass das Gesetz die Verwaltung nicht verpflichtet,
ihre Anträge in das Einladungsschreiben aufzunehmen. Nach dem
Sinn und Zweck seiner Vorschriften muss sie die Aktionäre über die
Verhandlungsgegenstände aber klar und deutlich unterrichten, damit sie
sich mit Hilfe der Statuten nicht bloss auf die Versammlung vorbereiten,
sondern auch vergewissern können, ob ihre Teilnahme dringlich sei. Das eine
wie das andere setzt voraus, dass sie genau wissen, worüber verhandelt
und allenfalls beschlossen werden soll (GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 623;
VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. S. 189; BÜRGI,
N. 24 zu Art. 700 OR; SCHUCANY, N. 3 zu Art. 700 OR).

    Davon ging auch das Handelsgericht aus, als es prüfte, ob das
Traktandum "Liquidität der Gesellschaft" klar genug zum Ausdruck
brachte, dass der Verwaltungsrat das Inventar verkaufen wollte. Es
bejahte dies, weil sich aus den Bilanzen für 1973 und 1974 ein Verlust
von Fr. 197'652.45 ergeben habe und die Erschliessungskosten für neue
Deponie-Gruben mit Fr. 324'600.-- aktiviert worden seien, was die
Kontrollstelle als fragwürdig bezeichnet habe. Dass die Gesellschaft
dringend flüssige Mittel brauchte, sei schon aus einem Rundschreiben vom
29. April 1975 hervorgegangen, welches die Aktionäre mit der Einladung
zur ordentlichen Generalversammlung vom 24. Juni 1975 erhielten.
Damals habe die Gesellschaft über einen Bankkredit von Fr. 350'000.--
verfügt und drei Aktionäre, die für Fr. 250'000.-- als Bürgen hafteten,
durch Rückbürgschaften der übrigen Aktionäre entlasten wollen. Nach der
Generalversammlung vom 24. Juni habe die Verwaltung die Aktionäre ferner
gebeten, Solidarbürgschaften bis zu Fr. 10'000.-- einzugehen, um ein neues
Darlehen zu erhalten, weil die Bank den nicht sichergestellten Kredit
von Fr. 100'000.-- sperrte. Die Klägerin habe um diese Vorgänge gewusst
oder wissen müssen. Auch beim streitigen Traktandum sei es klarerweise
wieder darum gegangen, "in irgend einer Form flüssige Mittel für die
Gesellschaft zu beschaffen". Nichts lasse darauf schliessen, dass nur
über den erfolgreichen Abschluss der Bürgschaftsaktion berichtet werden
sollte, wie die Klägerin behaupte, zumal in der Traktandenliste von den
Bürgschaften nicht die Rede sei. Darum habe die Klägerin den Verkauf
des Inventars als Massnahme, die dem gleichen Zwecke dienen konnte,
nicht zum vorneherein ausschliessen dürfen.

    b) Diese Auffassung hält vor dem Gesetz nicht stand. Die Angabe
"Liquidität der Gesellschaft" besagte überhaupt nicht, dass die
Generalversammlung über den Verkauf des Inventars verhandeln und
beschliessen sollte. Sie liess selbst nach den vom Handelsgericht
angeführten Vorgängen nicht auf einen Verkauf schliessen, sondern bloss
annehmen, dass man der Gesellschaft, wie die Vorinstanz selber einräumt,
"in irgend einer Form" zu flüssigen Mitteln verhelfen wollte. Es geht
indes nicht an, durch einen Verhandlungsgegenstand alles als hinreichend
angekündigt anzusehen, was sich mit ihm noch irgendwie in Verbindung
bringen oder aus seiner Umschreibung nicht kurzerhand ausscheiden
lässt. Solche Ankündigungen brauchen die Aktionäre sich nicht gefallen zu
lassen, würden dadurch die gesetzlichen und statutarischen Vorschriften
über die Einberufung und das Recht der Generalversammlung, bestimmte
Beschlüsse zu fassen, doch weitgehend ausgehöhlt. Gerade darauf laufen
die Erwägungen des Handelsgerichtes aber hinaus.

    Dass die Gesellschaft sich schon seit einiger Zeit in schlechter
finanzieller Lage befand und diese nach bereits bekannten Bemühungen
durch Rück- und Solidarbürgschaften verbessert werden sollte, liess
nicht einmal vermuten, der Verwaltungsrat könnte der Versammlung unter
dem streitigen Traktandum beantragen, das Geräte-Inventar und damit
die eigentlichen Betriebsmittel der Gesellschaft zu verkaufen. Nach
den Vorgängen waren entgegen der Unterstellung des Handelsgerichtes
nicht Verkäufe, sondern in erster Linie ein Bericht über den Verlauf
der Bürgschaftsaktion sowie weitere Auskünfte über den Stand der Dinge
zu erwarten. Dies gilt umsomehr, als das Geräte-Inventar angesichts des
fragwürdigen Bilanzpostens von Fr. 324'600.-- für Deponie-Projekte das
einzige reelle und auch das wichtigste Aktivum der Gesellschaft war. Die
Unterlassung der Verwaltung lässt sich auch nicht damit verharmlosen, dass
die Beklagte nicht stillgelegt, sondern ihr Deponie-Betrieb 1976 durch
ein Drittunternehmen fortgeführt wurde, mag dies mit dem weitgefassten
Gesellschaftszweck auch noch vereinbar gewesen sein. Das bedeutete so
oder anders eine völlige Umstellung der bisherigen Geschäftspraxis,
die von der Verwaltung ebenfalls mit keinem Wort angedeutet worden
war. Unbehelflich ist schliesslich, dass man unter dem streitigen
Traktandum bei Überdenkung aller Möglichkeiten sich auch den Verkauf des
Inventars hätte vorstellen können, wie das Handelsgericht annimmt. Das
genügte offensichtlich nicht, enthob die Verwaltung folglich nicht der
Pflicht, den vorgesehenen Verhandlungsgegenstand klar anzukündigen. Das
angefochtene Urteil verletzt in diesem Punkte Art. 700 Abs. 1 und 2 sowie
die §§ 7 und 11 der Statuten und ist aufzuheben.