Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 III 79



103 III 79

16. Entscheid vom 24. Oktober 1977 i.S. Konkursmasse Chyro AG Regeste

    Auf dem Zirkularweg gefasste Gläubigerbeschlüsse im Konkursverfahren
(Art. 252 ff. SchKG).

    1. Ob die Beschlüsse der zweiten Gläubigerversammlung auf dem
ordentlichen oder auf dem Zirkularweg zu fassen sind, bleibt dem Ermessen
der Konkursverwaltung überlassen (E. 2).

    2. Verzichtet ein Konkursgläubiger auf die Geltendmachung von
Verantwortlichkeitsansprüchen, die ihm auf Grund von dem Gemeinschuldner
gewährten Darlehen zustehen, so kann die Konkursmasse, vertreten durch
die Konkursverwaltung, nicht versuchen, diese Ansprüche anstelle des
Gläubigers durchzusetzen. Der Konkursmasse kommen nicht mehr Rechte zu,
als dem Gemeinschuldner ohne Konkurseröffnung zugestanden hätten (E. 3).

    3. Die Aufsichtsbehörde einer Stiftung ist unter bestimmten
Voraussetzungen zur Beschwerdeführung namens der Stiftung im
Beschwerdeverfahren gemäss Art. 17 ff. SchKG legitimiert (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Das Konkursamt Rorschach, vertreten durch den a.o.
Konkursverwalter H. Bösch, erliess im Konkurs der Chyro AG am 2. Juli 1977
ein Zirkularschreiben an die Gläubiger. Darin wurde festgehalten, dass
die Personalfürsorgestiftung der Chyro AG dieser Firma einen Betrag aus
Wertschriftenerlös von Fr. 151'951.-- zugehalten sowie ein Darlehen von Fr.
100'000.-- gewährt habe. Da diese Forderungen privilegiert seien, hätten
die übrigen Gläubiger der 2. Klasse sowie diejenigen der 3. und 5. Klasse
nun das Nachsehen. Der Konkursverwalter beantragte den Gläubigern daher,
einen Rechtsanwalt mit der Abklärung und allfälligen Geltendmachung von
Verantwortlichkeitsansprüchen gegen die Organe der Fürsorgestiftung, gegen
den Stadtrat Rorschach als Aufsichtsbehörde über die Fürsorgestiftung,
eventuell gegen die regierungsrätliche Oberaufsicht, weiter eventuell
gegen die Kontrollstelle der konkursiten Chyro AG und schliesslich
eventuell gegen die Helvetia-Leben, die als Versicherungsgesellschaft die
Fürsorgestiftung führte, zu betrauen. Dieser Antrag sollte als angenommen
gelten, wenn nicht die Mehrheit der Gläubiger der 2., 3. und 5. Klasse ihn
innert zehn Tagen durch schriftliche Einsprache ablehnten. Stillschweigen
wurde damit als Zustimmung gewertet.

    B.- Der Stadtrat von Rorschach erhob am 12. Juli 1977 bei der
Aufsichtsbehörde des Kantons St. Gallen für Schuldbetreibung und
Konkurs Beschwerde mit dem Begehren, das Rundschreiben des Konkursamtes
vom 2. Juli 1977 als widerrechtlich aufzuheben und die mit diesem
Schreiben in Zusammenhang stehenden Entschädigungen und Auslagen als
nicht der Konkursmasse der Chyro AG belastbar zu erklären. Das Amt für
Stiftungsaufsicht des kantonalen Departements des Innern schloss sich
der Beschwerde am 14. Juli 1977 an.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerden mit Entscheid
vom 12. September 1977 gut, soweit auf sie eingetreten werden konnte, und
hob den Gläubigerbeschluss auf Abklärung bzw. gerichtliche Geltendmachung
von Verantwortlichkeitsansprüchen gegenüber Organen und Aufsichtsinstanzen
der Personalfürsorgestiftung der Chyro AG auf. Die Aufsichtsbehörde
bejahte die Beschwerdelegitimation des Stadtrates von Rorschach und
des kantonalen Departements des Innern, obwohl die Beschwerdeführer
nicht Gläubiger der Chyro AG sind. Ferner hielt sie fest, nach der
Auffassung der Beschwerdeführer stünden Verantwortlichkeitsansprüche nur
der Stiftung selber zu, nicht aber der Konkursmasse der Chyro AG. Dieser
an sich zutreffende Standpunkt könne aber nicht zur Beschwerdebegründung
herangezogen werden, weil die Aufsichtsbehörde nicht über den materiellen
Bestand eines von der Masse geltend gemachten Anspruchs entscheiden
könne. Hingegen verneinte die Aufsichtsbehörde, dass der Gläubigerbeschluss
gemäss Zirkularschreiben gültig zustandegekommen sei. Sie wies darauf
hin, dass allein die Gläubiger der 2. Klasse das aus dem Antrag der
Konkursverwaltung fliessende Risiko von Anwalts- und Gerichtskosten tragen
würden, während die Gläubiger der 5. Klasse nichts zu verlieren, sondern
nur zu gewinnen hätten durch jeden Versuch, der Masse weitere Aktiven zu
erschliessen. Damit bestehe für sie überhaupt keine echte Wahl zwischen
Zustimmung oder Ablehnung. Bei diesen krassen Interessengegensätzen
innerhalb der Konkursgläubigerschaft sei eine Beschlussfassung, wie sie
das Zirkularschreiben vom 2. Juli 1977 vorsehe, völlig unangemessen. Der
Beschluss sei daher aufzuheben.

    C.- Die Konkursmasse Chyro AG, vertreten durch das Konkursamt
Rorschach, führt Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts mit den Anträgen:

    "1. Es sei festzustellen, dass der Stadtrat Rorschach und
   das Amt für Stiftungsaufsicht des Departements des Innern des

    Kantons St. Gallen zur Beschwerde gegen den Erlass des Zirkulars
   des Konkursamtes Rorschach vom 2. Juli 1977 bzw. gegen den zufolge
   dieses Zirkulars gefassten Gläubigerbeschluss nicht legitimiert waren.

    2. Es sei festzustellen, dass das in Ziff. 1 erwähnte

    Zirkular nicht widerrechtlich und der zufolge dieses Zirkulars
   gefasste Gläubigerbeschluss deshalb rechtsgültig zustandegekommen ist.

    3. Der angefochtene Entscheid sei infolgedessen aufzuheben."

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In formeller Hinsicht macht die Rekurrentin geltend, sie sei zur
Anfechtung des Entscheids der kantonalen Aufsichtsbehörde legitimiert, weil
dieser die Konkursverwaltung daran hindere, gewisse Verantwortlichkeits-
und Schadenersatzansprüche der Konkursmasse überprüfen zu lassen,
wodurch Interessen der Konkursmasse verletzt würden. Nach ständiger
Rechtsprechung ist das Konkursamt als Konkursverwaltung befugt, im Namen
der Konkursmasse gegen einen die Interessen der Gläubiger verletzenden
Entscheid einer kantonalen Aufsichtsbehörde Beschwerde bzw. Rekurs zu
führen. Im vorliegenden Fall beruft sich die a.o. Stellvertretung des
Konkursamtes Rorschach auf derartige Interessen, so dass auf den Rekurs
einzutreten ist (BGE 102 III 80, 92 und 100 III 65 mit Hinweisen).

    Im weitern rügt die Rekurrentin, dass der angefochtene Entscheid keine
Rechtsmittelbelehrung enthalte. Entgegen ihrer Meinung ist der Entscheid
infolge dieses Mangels jedoch nicht bundesrechtswidrig; denn die kantonalen
Aufsichtsbehörden sind von Bundesrechts wegen nicht verpflichtet, ihre
Entscheide mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen, wenn das auch
wünschbar wäre (BGE 101 III 97).

Erwägung 2

    2.- Wie in der Rekursschrift zutreffend festgehalten wird, ist es nach
ständiger bundesgerichtlicher Praxis zulässig, dass nach Durchführung der
ersten Gläubigerversammlung weitere Beschlüsse auf dem Zirkularweg gefasst
werden (BGE 101 III 54 und 77 mit Hinweisen). Dies gilt insbesondere
auch für das summarische Konkursverfahren. Von dieser Praxis abzuweichen,
besteht im vorliegenden Fall kein Anlass.

    Das bedeutet aber nicht, dass derartige Beschlüsse stets als
Zirkularbeschlüsse gefasst werden müssen. Hält die Konkursverwaltung
selbst oder die kantonale Aufsichtsbehörde dafür, dass die Interessen
der Gläubiger durch dieses vereinfachte Verfahren zu wenig beachtet
würden, muss der ordentliche Weg der Beschlussfassung durch eine
Gläubigerversammlung eingeschlagen werden. Welches Vorgehen im einzelnen
Fall zu wählen ist, bleibt dem Ermessen der Konkursverwaltung bzw. der
kantonalen Aufsichtsbehörde, welche ihr eigenes Ermessen an die Stelle
desjenigen der verfügenden Behörde zu setzen hat, überlassen (BGE 86 III
121; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. I, S. 49). Hebt die
Aufsichtsbehörde einen Zirkularbeschluss auf, so kann das Bundesgericht
auf Rekurs hin lediglich prüfen, ob eine Gesetzesverletzung, wozu auch
Ermessensmissbrauch und -überschreitung gehören, vorliegt, nicht jedoch,
ob der Vorinstanz eine Unangemessenheit zur Last gelegt werden müsste
(BGE 101 III 54, 33 und 100 III 17 mit Hinweisen). Im vorliegenden
Fall hat die kantonale Aufsichtsbehörde den auf dem Zirkularweg
gefassten Gläubigerbeschluss wegen Unangemessenheit und nicht wegen
Gesetzesverletzung aufgehoben. Insofern kann der angefochtene Entscheid
vom Bundesgericht nicht überprüft werden. Damit kann aber auch die in
Ziffer 2 des Rechtsbegehrens der Rekurrentin verlangte Feststellung nicht
getroffen werden.

Erwägung 3

    3.- Im kantonalen Beschwerdeverfahren haben der Stadtrat Rorschach
und das Amt für Stiftungsaufsicht des Departements des Innern ihr
Begehren, den in Frage stehenden Zirkularbeschluss als widerrechtlich
aufzuheben, damit begründet, die Konkursverwaltung sei zu Unrecht davon
ausgegangen, dass der Rekurrentin Verantwortlichkeitsansprüche gegenüber
den Organen ihrer Fürsorgestiftung zustünden; solche Ansprüche stünden
allein der Stiftung zu. Die Vorinstanz pflichtete dem Standpunkt der
Beschwerdeführer an sich bei, nahm aber irrtümlicherweise an, dieser
könne nicht zur Beschwerdebegründung herangezogen werden. Zwar trifft
es zu, dass die Aufsichtsbehörden nicht befugt sind, materiell zu
entscheiden, ob ein von der Masse geltend gemachter Anspruch zu Recht
bestehe oder nicht. Streitige materiellrechtliche Fragen sind nicht
im konkursrechtlichen Beschwerdeverfahren, sondern vom Zivilrichter zu
behandeln. Im vorliegenden Fall geht es indessen gar nicht um die Frage, ob
die Verantwortlichkeitsansprüche, die das Konkursamt aufgegriffen hat, zu
Recht bestehen oder nicht. Im Grunde genommen ist hier einzig die Befugnis
der Konkursverwaltung umstritten, auf Kosten der Masse abklären zu lassen,
ob bestimmte Rechte, die einer Konkursgläubigerin zustehen, sofern diese
auf deren Geltendmachung verzichtet, an ihrer Stelle von der Konkursmasse
durchgesetzt werden könnten. Diese Frage muss jedoch verneint werden. Mit
der den Gläubigern im beanstandeten Zirkular unterbreiteten Anfrage hat
sich die Konkursverwaltung Rechte angemasst, die ihr nicht zustehen. Sie
hat nämlich übersehen, dass die Personalfürsorgestiftung der Chyro AG von
der Gemeinschuldnerin rechtlich unabhängig und selbst nur Gläubigerin im
Konkurs der Chyro AG ist. Ihre Rechte und Verbindlichkeiten sind somit
keinesfalls in die Konkursmasse gefallen. Die Abklärung und allfällige
Geltendmachung von Verantwortlichkeitsansprüchen gegenüber den Organen
der Stiftung und den Stiftungsaufsichtsbehörden wegen der Forderungen an
die Chyro AG stehen nur der Personalfürsorgestiftung zu und nicht etwa
der Konkursmasse. Diese Ansprüche können daher auch nicht vom Konkursamt
allenfalls selbst gerichtlich durchgesetzt oder den anderen Gläubigern
zur Abtretung angeboten werden. Der Konkursmasse erwachsen im Konkurs
nicht mehr Rechte, als dem Gemeinschuldner selbst zugestanden hätten (BGE
102 III 74 E. 2). Die Chyro AG bzw. an ihrer Stelle die Konkursmasse,
vertreten durch die Konkursverwaltung, könnte allenfalls versuchen,
Verantwortlichkeitsansprüche im Sinne von Art. 756 OR gegenüber ihren
eigenen Organen durchzusetzen; sie ist aber nicht berechtigt, solche
gegenüber der durch die Gemeinschuldnerin selbst geschädigten Stiftung
oder deren Organen und Aufsichtsbehörden geltend zu machen.

    Im Ergebnis, wenn auch aus andern Gründen, erweist sich somit die durch
die Vorinstanz vorgenommene Aufhebung des umstrittenen Zirkularbeschlusses
als richtig, so dass der Rekurs abzuweisen ist.

Erwägung 4

    4.- Die kantonale Aufsichtsbehörde hätte den umstrittenen
Gläubigerbeschluss auch ohne formelle Beschwerde kraft ihrer
Aufsichtsgewalt aus den oben dargelegten Gründen von Amtes wegen aufheben
müssen (Art. 13 SchKG; JAEGER, N. 1 zu Art. 13 SchKG; FRITZSCHE, aaO,
S. 42; BGE 86 III 127 und 101 III 45). Es kann deshalb dahingestellt
bleiben, ob den beiden Stiftungsaufsichtsorganen im kantonalen Verfahren
überhaupt die Beschwerdelegitimation hätte zuerkannt werden dürfen. Die
Rekurrentin bestreitet dies, zum Teil mit guten Gründen. Zwar hat das
Bundesgericht in BGE 83 III 149 f. entschieden, dass die Aufsichtsbehörde
unter bestimmten Voraussetzungen zur Vertretung einer Stiftung im
Kollokationsprozess zuzulassen sei. Es führte dazu aus, die in Art. 84
Abs. 2 ZGB der Aufsichtsbehörde zugewiesene Aufgabe schliesse allerdings
nicht ohne weiteres die Befugnis in sich, anstelle der Stiftungsorgane
zu handeln. Dies stehe der Aufsichtsbehörde aber dann zu, wenn die
Stiftungsorgane untätig blieben, obwohl es bestimmter Massnahmen zum
Schutze des Stiftungsvermögens bedürfe. Wie die Vorinstanz mit Recht
annimmt, muss die gleiche Überlegung auch für das betreibungsrechtliche
Beschwerdeverfahren Gültigkeit haben.

    Indessen ist es fraglich, ob im vorliegenden Fall diese von
der Rechtsprechung aufgestellten besonderen Voraussetzungen für die
Beschwerdelegitimation der Stiftungsaufsichtsorgane gegeben sind. Es steht
nämlich nicht fest, dass die Aufsichtsbehörden der Personalfürsorgestiftung
Beschwerde geführt haben, um das Stiftungsvermögen zu schützen. Der
Verdacht liegt vielmehr nahe, dass sie bloss deswegen gehandelt haben,
um selber der drohenden Verantwortlichkeitsklage zu entgehen. Darin
läge aber kaum ein rechtlich schützenswertes Interesse, das durch den
angefochtenen Zirkularbeschluss verletzt wäre und die Legitimation zur
Beschwerdeführung begründen würde. Entgegen der Meinung der Vorinstanz
hätte der Zirkularbeschluss der Konkursgläubigerschaft weder für
die Personalfürsorgestiftung noch für die Stiftungsaufsichtsbehörden
rechtliche Wirkungen gezeitigt, und er hätte auch nicht in die von
den Aufsichtsorganen zu schützenden Vermögensinteressen der Stiftung
eingegriffen; denn die der Stiftung selbst als unmittelbar Geschädigten
zustehenden Verantwortlichkeitsansprüche hätten von der Konkursmasse -
wie bereits dargelegt - weder an sich gezogen noch gültig den andern
Gläubigern zur Abtretung angeboten werden können. Wäre der angefochtene
und von der Vorinstanz als unangemessen aufgehobene Gläubigerbeschluss in
Kraft geblieben, hätte dies für die Stiftung nur die Folge gehabt, dass die
anfallenden Anwaltskosten den allgemeinen Massakosten belastet und dadurch
die Konkursdividenden verkürzt worden wären. Ob dieser Nachteil genügen
würde, um die Beschwerdelegitimation der Stiftungsaufsichtsbehörden zu
bejahen, ist höchst fraglich. Es muss immerhin beachtet werden, dass -
wie die Vorinstanz selbst festgehalten hat - die Beschwerdeführung der
Stiftungsaufsicht anstelle der Stiftung selber die Ausnahme bleiben muss.

Entscheid:

                       Demnach erkennt
          die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.