Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 82



103 Ib 82

16. Urteil des Kassationshofes vom 20. Juni 1977 i.S. Widmer gegen
Jugendstaatsanwalt des Kantons Zürich Regeste

    Art. 93bis Abs. 2 und Art. 93ter Abs. 2 StGB.

    Jugendliche, die zur Durchführung einer Erziehungsmassnahme gestützt
auf Art. 93bis Abs. 2 StGB in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen
wurden, sich aber der Anstaltsdisziplin beharrlich widersetzen, dürfen bis
zur Schaffung einer geschlossenen Arbeitserziehungsanstalt in analoger
Anwendung des Art. 100bis Ziff. 4 StGB in eine Strafanstalt versetzt
werden.

Sachverhalt

    A.- Widmer war vom Obergericht des Kantons Zürich am 5. Juli
1976 der wiederholten und fortgesetzten Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz schuldig erklärt und in Anwendung von Art. 91
Ziff. 2 StGB in ein Erziehungsheim für Jugendliche eingewiesen worden. Da
er sich in einem Schülerinternat als untragbar erwies, versetzte ihn die
Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich gemäss Art. 93bis Abs. 2 StGB in
eine Arbeitserziehungsanstalt. Dort entwich er dreimal, zuletzt in der
Absicht, sich ins Ausland abzusetzen, worauf die Jugendanwaltschaft
am 18. Februar 1977 gestützt auf Art. 93ter Abs. 2 StGB und Art. 7
VStGB 1 seine Einweisung in die Strafanstalt Regensdorf anordnete und
eine Rückversetzung in die Arbeitserziehungsanstalt nach dreimonatigem
Aufenthalt in der Strafanstalt in Aussicht nahm.

    Den von Widmer gegen diese Verfügung geführten Rekurs wies der
Jugendstaatsanwalt des Kantons Zürich am 22. März 1977 ab.

    Widmer führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt Aufhebung
der Verfügungen der Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich und des
Jugendstaatsanwaltes des Kantons Zürich.

    Der Beschwerdeführer macht geltend, für seine Versetzung
aus der Arbeitserziehungsanstalt in die Strafanstalt fehle die
gesetzliche Grundlage. Art. 93ter Abs. 2 StGB sei weder nach
seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn anwendbar. Die Versetzung des
Jugendlichen in die Arbeitserziehungsanstalt stelle gegenüber der
Einweisung in ein Erziehungsheim an sich schon eine Verschärfung der
Massnahme dar. Für ausserordentlich schwer erziehbare Jugendliche
sei die Arbeitserziehungsanstalt ebensogut geeignet wie die in Art.
93ter Abs. 2 StGB genannte Anstalt für Nacherziehung, weshalb auch
die Übergangsbestimmung des Art. 7 VStGB 1 nicht anwendbar sei. Die
Durchführung einer Massnahme an Jugendlichen in einer Strafanstalt
widerspreche zudem dem Willen des Gesetzgebers.

    Die Jugendanwaltschaft, der Jugendstaatsanwalt und das Eidgenössische
Justiz- und Polizeidepartement schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur gegen Verfügungen
letzter Instanzen der Kantone zulässig (Art. 98 lit. g OG). Soweit der
Beschwerdeführer die Aufhebung der Verfügung der Jugendanwaltschaft des
Bezirks Zürich verlangt, die nicht als letzte kantonale Instanz entschied,
ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Jugendliche, die nach Art. 91 StGB in ein Erziehungsheim oder
nach erfülltem 17. Altersjahr aufgrund von Art. 93bis Abs. 2 StGB
in eine Arbeitserziehungsanstalt eingewiesen worden sind und sich als
ausserordentlich schwer erziehbar erweisen, können gemäss Art. 93ter Abs. 1
StGB in ein Therapieheim versetzt werden. Sodann sieht Art. 93ter Abs. 2
StGB vor, dass Jugendliche, die sich in einem Erziehungsheim als untragbar
erweisen, aber nicht in ein Therapieheim gehören, in eine Anstalt für
Nacherziehung versetzt werden können.

    Dem Beschwerdeführer ist darin beizupflichten, dass Art. 93ter Abs. 2
StGB die Versetzung eines schwer erziehbaren Jugendlichen in eine Anstalt
für Nacherziehung nur zulässt, wenn er sich in einem Erziehungsheim
befindet; die Versetzung aus einer Arbeitserziehungsanstalt in eine
Nacherziehungsanstalt wird dagegen nicht vorgesehen. Der Wortlaut
entspricht offenbar auch dem Sinn der Bestimmung. In die Anstalt
für Nacherziehung sollen besonders schwierige Jugendliche eingewiesen
werden, die keiner heilpädagogischen Betreuung und keiner psychiatrischen
Untersuchung oder Behandlung in einem Therapieheim bedürfen, aber wegen
ihrer Disziplinlosigkeit oder Renitenz eine strenge Nacherziehung in
einer geschlossenen Anstalt nötig haben (Botschaft, BBl 1965 I 593;
Sten.Bull. StR 1967 S. 74). Die Nichterwähnung der Arbeitserziehungsanstalt
ist in der Tat damit zu erklären, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen
ist, die der Anstalt für Nacherziehung zugedachte Aufgabe könne
ebensogut in einer Arbeitserziehungsanstalt erfüllt werden. Diese
wird somit der Anstalt für Nacherziehung praktisch gleichgestellt
(BOEHLEN, Kommentar zum Schweizerischen Jugendstrafrecht, N. 9 in fine
zu Art. 93ter und N. 3 letzter Absatz zu Art. 93bis). Art. 93ter Abs. 2
schliesst demnach die disziplinarische Versetzung eines Jugendlichen aus
der Arbeitserziehungsanstalt in eine Nacherziehungsanstalt und damit auch
in die Strafanstalt grundsätzlich aus.

Erwägung 3

    3.- Das vom Gesetzgeber mit der Teilrevision des StGB vom 18.
März 1971 angestrebte Ziel, besondere Jugendanstalten zu errichten, um zu
verhindern, dass Massnahmen an Jugendlichen in Strafanstalten vollzogen
werden, konnte jedoch bis anhin nicht verwirklicht werden. Deshalb wird
Art. 93ter Abs. 2 StGB in der Verordnung 1 zum StGB im Sinne einer
Übergangslösung dahin ergänzt, dass Jugendliche, die sich in einem
Erziehungsheim als untragbar erweisen, bis zur Schaffung einer Anstalt
für Nacherziehung in die Strafanstalt eingewiesen werden können (Art. 7
VStGB 1). Nicht wesentlich anders liegen aber auch die Verhältnisse auf dem
Gebiet der Arbeitserziehungsanstalten für Jugendliche und junge Erwachsene,
die nach Art. 100bis Ziff. 2 StGB getrennt von den übrigen Anstalten
zu führen sind. Zurzeit bestehen nur offene Arbeitserziehungsanstalten,
während die Mittel zur Durchführung wirksamer disziplinarischer Massnahmen
in der Regel nur geschlossenen Anstalten zur Verfügung stehen. Aus diesem
Grund ermächtigt auch Art. 100bis Ziff. 4 StGB die vollziehende Behörde,
einen in die Arbeitserziehungsanstalt für junge Erwachsene Eingewiesenen,
der sich der Anstaltsdisziplin beharrlich widersetzt oder sich gegenüber
Erziehungsmethoden der Anstalt als unzugänglich erweist, bis zur Errichtung
einer geschlossenen Arbeitserziehungsanstalt in eine Strafanstalt zu
versetzen (vgl. Schlussbestimmungen der Änderung vom 18. März 1971,
Abschnitt III Ziff. 2). Wenn aber das Gesetz es erlaubt, Jugendliche, die
sich in einem Erziehungsheim als untragbar erweisen, und junge Erwachsene,
die sich in einer offenen Arbeitserziehungsanstalt nicht halten, bis zur
Schaffung geschlossener Sonderanstalten in die Strafanstalt zu versetzen,
so muss die gleiche Übergangslösung ebenso gegenüber Jugendlichen
zulässig sein, die sich dem Vollzug der Erziehungsmassnahme in einer
offenen Arbeitserziehungsanstalt widersetzen. Im letztern Fall eine
Ausnahme zu machen, wäre widersprüchlich und mit dem Sinn und Zweck des
Jugendstrafrechts nicht vereinbar.

    Es versteht sich, dass die Versetzung von Jugendlichen aus
der Arbeitserziehungsanstalt in die Strafanstalt nicht aufgrund von
Art. 93ter Abs. 2 vorzunehmen ist, der nach seinem Wortlaut vorerst die
unzweckmässige Rückversetzung in ein Erziehungsheim erforderte. Vielmehr
drängt sich die Anwendung von Art. 100bis Ziff. 4 auf. Die Durchführung
der Erziehungsmassnahme in einer Arbeitserziehungsanstalt ist nur an
Jugendlichen möglich, die bereits das 17. Altersjahr zurückgelegt
haben (Art. 93bis). Ausserdem wird diese Massnahme in einer
Arbeitserziehungsanstalt für junge Erwachsene gemäss Art. 100bis StGB
vollzogen (BBl 1965 I 592; BOEHLEN, aaO N. 3 zu Art. 93bis). Wenn auch die
Erziehungsmassnahme durch den Vollzug in einer Arbeitserziehungsanstalt
rechtlich nicht zur Arbeitserziehungsmassnahme wird und namentlich
weiterhin die Entlassungsvorschriften des Jugendstrafrechts (Art. 94
StGB) gelten, so wird der Jugendliche doch uneingeschränkt der
Ordnung des Anstaltbetriebes und der Zielsetzung des Art. 100bis
Ziff. 3 unterstellt. Praktisch wirkt sich also in solchen Fällen
die Erziehungsmassnahme wie eine Arbeitserziehungsmassnahme aus und
unterscheidet sich von dieser in Wirklichkeit nicht.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer, der sich bereits im Erziehungsheim
als untragbar erwies und deshalb in eine Arbeitserziehungsanstalt
eingewiesen wurde, ist dort dreimal entwichen, zuletzt in der Absicht,
sich ins Ausland abzusetzen. Er hat sich damit der Anstaltsdisziplin
beharrlich widersetzt. Die Voraussetzungen für seine Versetzung in die
Strafanstalt sind daher gemäss Art. 100bis Ziff. 4 StGB gegeben, so dass
die angefochtene Verfügung im Ergebnis Bundesrecht nicht verletzt.

Entscheid:

             Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.