Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 103 IB 50



103 Ib 50

11. Auszug aus dem Urteil vom 18. März 1977 i.S. Schweizerischer Bund für
Naturschutz gegen Burgergemeinde von Venthône und Staatsrat des Kantons
Wallis Regeste

    Rodungsbewilligung.

    Die in Art. 26 Abs. 3 FPolV aufgestellte Richtlinie, wonach finanzielle
Interessen nicht als gewichtiges Bedürfnis gelten, ist auch für die
Beurteilung von Rodungsgesuchen öffentlich-rechtlicher Körperschaften
zu beachten. Dass ein Gemeinwesen für ein bedeutendes, im öffentlichen
Interesse liegendes Werk Mittel benötigt und mit der Finanzierung auf
dem ordentlichen Weg Mühe hat, stellt keinen ausreichenden Grund dar,
um eine Rodung zu bewilligen, die den Verkauf von Bauland ermöglichen
sowie aus dessen Erlös die Finanzierung des Werkes sichern soll (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Der Staatsrat des Kantons Wallis hat der Burgergemeinde von
Venthône die Bewilligung erteilt, von dem ihr gehörenden Wald eine
Fläche von 2910 m2 zwecks Schaffung von Bauplätzen für Ferienhäuser zu
roden. Der Erlös aus dem Verkauf des zu rodenden Waldgrundstückes soll
die Finanzierung der dringend notwendigen Renovationsarbeiten am Schloss
von Venthône ermöglichen. Der Schweizerische Bund für Naturschutz reicht
gegen die erteilte Rodungsbewilligung Verwaltungsgerichtsbeschwerde ein
und verlangt deren Aufhebung. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde
gut und hebt die angefochtene Verfügung auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Gemäss Art. 26 FPolV dürfen Rodungen nur bewilligt werden,
wenn sich hiefür ein gewichtiges, das Interesse an der Walderhaltung
überwiegendes Bedürfnis nachweisen lässt.

    a) Ein solches Bedürfnis kann namentlich anerkannt werden, wenn
das geplante Werk auf den vorgesehenen Standort im bisher bewaldeten
Gebiet angewiesen ist. Ferienhäuser sind an sich - im Gegensatz zu
Hochspannungsleitungen, Eisenbahnlinien oder Skipisten - überhaupt nicht
standortgebunden. Die Rodung zur Schaffung von Bauland wurde bisher nur
ganz ausnahmsweise als zulässig betrachtet, und zwar in Gemeinden mit sehr
hohem Waldanteil an der Gesamtfläche und keiner andern Möglichkeit zu einer
gewissen baulichen Entwicklung; dabei wurde stets verlangt, dass dieses
Bedürfnis zur Beanspruchung von Wald durch die Ortsplanung überzeugend
nachgewiesen sei. Zur Förderung des Tourismus in einer bestimmten Ortschaft
oder Region wurden Rodungen bewilligt, sofern sich das konkrete Projekt
auf Gesamtstudien stützen konnte, aus denen hervorging, dass das geplante
Werk für die lokale Entwicklung von grosser Bedeutung sein konnte (BGE
98 Ib 499 E. 7; 96 I 506 E. 4).

    Im vorliegenden Fall wird nicht behauptet, die vorgesehene Schaffung
von Bauplätzen für Ferienhäuser dränge sich aus planerischen Gründen
auf, weil nicht genügend Bauland zur Verfügung stehe, sodass für diesen
Zweck eine gewisse Waldfläche im Interesse einer vernünftigen Entwicklung
geopfert werden sollte. Es wird auch nicht geltend gemacht, die vorgesehene
Überbauung wäre für den Tourismus von entscheidender Bedeutung. Eine
solche Argumentation könnte angesichts des Entwicklungsstandes von
Montana-Vermala auch kaum stichhaltig sein. Eine Standortgebundenheit, auch
eine relative Standortgebundenheit im weitesten Sinne (z.B. Notwendigkeit
der Baulandbeschaffung in der Gemeinde oder Region), ist somit nicht
nachgewiesen. Die Überlegung, die Burgergemeinde als Waldeigentümerin
brauche Geld für die Schlossrestauration und habe nur gerade an dieser
Stelle ihres Grundeigentums die Möglichkeit, Bauland abzutreten, führt
nicht zu einer Standortgebundenheit im Sinne von Art. 26 Abs. 3 FPolV,
so wenig wie die Argumentation eines privaten Waldeigentümers, er könne
das für seine Familie zweckmässige Einfamilienhaus nur bauen, wenn ihm
eine Rodung auf seinem Grundstück bewilligt werde.

    b) Zwischen der in Frage stehenden Rodung und der Erhaltung des
Schlosses Venthône besteht kein räumlicher oder sachlicher, sondern
ausschliesslich ein finanzieller Zusammenhang. Die Burgergemeinde möchte
durch Verkauf von Bauplätzen Geldmittel beschaffen, um ihren Beitrag an
die Restauration des Schlosses leisten zu können.

    Die in Art. 26 Abs. 3 FPolV aufgestellte Richtlinie, wonach finanzielle
Interessen nicht als gewichtiges Bedürfnis gelten, ist selbstverständlich
auch für die Beurteilung von Rodungsgesuchen öffentlich-rechtlicher
Körperschaften zu beachten. Dass ein Gemeinwesen für bedeutende, im
öffentlichen Interesse liegende Werke - wie Strassen, Schulhäuser,
Kanalisation usw. - Mittel braucht und mit der Finanzierung auf dem
ordentlichen Weg Mühe hat, kann an sich kein Grund sein, durch Bewilligung
einer Rodung den Verkauf von Bauland zu ermöglichen. Würde man diese
Grundsatzfrage anders entscheiden, so wäre das Walderhaltungsgebot in
weitem Masse in Frage gestellt; denn für die Gemeinden und Bürgergemeinden
als Waldeigentümer wäre die Versuchung doch recht gross, bedeutende
Bauvorhaben mindestens teilweise durch Rodung von wenig ertragreichem
Wald zu finanzieren. Wäre es zulässig, das öffentliche Interesse
an einem konkreten Vorhaben dem Interesse an der Erhaltung von ein
paar Aren Wald gegenüberzustellen, so müsste wohl die grossräumig
konzipierte, auf lange Frist angelegte Walderhaltung gegenüber einem
nachgewiesenen akuten Bedürfnis meistens unterliegen. Das entspräche
dem klaren Zweck des Forstpolizeirechts nicht. Zudem würden auf diesem
Wege die öffentlichrechtlichen Körperschaften gegenüber den privaten
Waldeigentümern in einer stossenden Weise privilegiert. Während der
Private seinen Wald erhalten muss und nicht zur Beschaffung von flüssigen
Mitteln roden darf, müssten die Gemeinwesen sich nicht im selben Mass an
das Walderhaltungsgebot halten, sondern könnten zu Finanzierungszwecken
Rodungsbewilligungen bekommen.

    c) Der Staatsrat des Kantons Wallis hat denn auch richtigerweise sich
zur Begründung des angefochtenen Entscheides nicht in allgemeiner Form auf
eine solche Möglichkeit der Finanzierung öffentlicher Aufgaben durch Rodung
berufen. Er glaubt aber, der besondere Fall der Erhaltung des Schlosses
Venthône vermöge die erteilte Rodungsbewilligung zu rechtfertigen.

    Die Erhaltung eines schützenswerten historischen Baudenkmals ist
rechtlich gesehen eine öffentliche Aufgabe wie irgendeine andere. Dass
deren Erfüllung über den Kreis der Gemeinde hinaus von kantonalem oder
nationalem Interesse ist, kommt allenfalls durch Subventionen von Bund
und Kanton zum Ausdruck. Aus grundsätzlichen Erwägungen ist wegen der
Konsequenzen für die gesamte Forstpolizei die Überlegung abzulehnen,
eine Rodung dürfe zur Beschaffung finanzieller Mittel bewilligt werden,
wenn der Erlös für die Erfüllung einer solchen dringlichen öffentlichen
Aufgabe bestimmt sei. Der Wald darf nicht in diesem Sinn als finanzielle
Reserve betrachtet werden.

    d) Ob allenfalls in Extremfällen - etwa bei einer Gemeinde, die
sich in einer finanziellen Notlage befindet und die Erhaltung eines ihr
gehörenden wertvollen Bauwerks nur durch eine Waldrodung zu finanzieren
vermag - ein gewichtiges, das Interesse an der Walderhaltung überwiegendes
Bedürfnis anerkannt werden dürfte, kann hier offen bleiben. Abgesehen
davon, dass Beiträge von Bund und Kanton solche Situationen zeitlicher und
sachlicher Dringlichkeit weitgehend vermeiden sollten, lässt sich nämlich
im vorliegenden Fall aufgrund der Akten nicht annehmen, die Erhaltung
des Schlosses Venthône sei nur möglich, wenn die Rodung bewilligt werde.

    Dass das Schloss einer gründlichen baulichen Erneuerung bedarf,
war offenbar schon seit Jahren bekannt. Die Kosten der vorgesehenen
Arbeiten belaufen sich nach Voranschlag auf Fr. 956'000.--. Dadurch
soll das Gebäude in einen für die Verwaltung brauchbaren Zustand
versetzt werden. An diese Gesamtkosten bezahlen der Kanton und
die politische Gemeinde nach den nicht bestrittenen Angaben des
Beschwerdeführers zusammen Fr. 500'000.--. Die Bundessubvention beträgt
45% der subventionsberechtigten Kosten. Subventionsberechtigt ist,
was der Erhaltung des Baudenkmals dient; nicht subventioniert werden
Einrichtungen für die bessere Benützbarkeit. Wenn keine besonders
kostspieligen Einrichtungen in der Gesamtsumme enthalten sind, dürfte
die Bundessubvention mindestens Fr. 300'000.-- bis Fr. 400'000.--
betragen. Der noch ungesicherte Restbetrag der Finanzierung kann somit kaum
sehr bedeutend sein. Auf jeden Fall ist der Nachweis keineswegs erbracht,
dass ohne die Rodung die Erhaltung des Bauwerks gefährdet wäre. Der Bund
ist zwar mit der Gewährung und Auszahlung seiner Subventionen immer etwas
im Rückstand und wartet meistens die Vollendung der Restauration ab. In
dringenden Fällen sind aber vorherige Zahlungen möglich. Obschon durchaus
glaubhaft ist, dass es der Burgergemeinde Venthône nicht leicht fällt,
einen angemessenen Beitrag an die Restauration zu leisten, so ist doch
die Erhaltung des Bauwerks finanziell soweit gesichert und nicht von
der Rodung abhängig. Durch die angefochtene Rodung soll nicht einer
eigentlichen finanziellen Notlage gesteuert werden, die nicht auf andere
Weise zu meistern wäre und den baulichen Zerfall des Schlosses zur Folge
haben müsste; vielmehr will der Staatsrat mit der Rodungsbewilligung die
Restfinanzierung auf einem einfachen Weg ermöglichen. Damit verletzt er
jedoch das Forstpolizeirecht des Bundes.